Von Julia Bröder. Fotos Arne Landwehr, Carolin Auer (Suppes).
In Wiesbadener Traditionsunternehmen geht die nächste Generation an den Start. Mit Respekt. Und oft auch mit Reibung. Fünf Beispiele.
David Suppes krempelt das Unternehmen seines Vaters gerade komplett um. Als der 31-Jährige vor einigen Jahren die Co-Geschäftsführung von Antiquitäten Suppes übernahm, stellte er zwei Bedingungen. Erstens: Der Sohn wollte die Perspektive haben, „als gleichwertiger Geschäftspartner meines Vaters anerkannt zu werden.“ Und zweitens: Er brauchte Freiheit und Rückendeckung für neue Ideen und Veränderungen.
„Das Problem der Generation meines Vaters ist, dass sie sich auf ihren Erfolgen der 80-er- und 90-er-Jahre ausruht“, sagt er. In dieser Zeit war Bernd Suppes mit einem Elektrohandel gut im Geschäft. Als es mit HiFi Suppes zu Ende ging, entstand das Antiquariat aus seiner Leidenschaft für Briefmarken, alte Münzen und historische Wertpapiere. David wuchs in dieser Sammlerwelt auf – jetzt will er Antiquitäten Suppes in die Zukunft führen.
Internationales digitales Netzwerk – und eine Antiquitäten-App
Sein großes Thema: Skalierbarkeit. Sprich: ein Unternehmen so aufzustellen, dass es aus sich heraus wachsen kann. Speziell in seiner Branche bedeutet das, dass er die Antiquitäten nicht mehr schlicht ankauft und direkt wieder weiterverkauft. Stattdessen pflegt er ein internationales digitales Netzwerk aus Händlern, Museen und privaten Sammlern, in dem er Angebot und Nachfrage ganz genau aufeinander abstimmen kann. Ein Beispiel: „Im Moment sind die Nachlässe in Deutschland voll von Meißen-Porzellan, das will hier kein Mensch haben – ein klassischer Händler ginge daran pleite. Wir dagegen bieten es in China an und machen Gewinn.“ David Suppes hat Kommunikation und Marketing studiert, sich an verschiedenen Start-ups beteiligt und bastelt gerade an einer Antiquitäten-App. Er kennt sich mit neuen Technologien aus und weiß, wie man verkauft. Pluspunkte für die Außendarstellung der Firma setzt er außerdem mit einem Showroom und nicht zuletzt mit seinen Auftritten in der ZDF-Sendung „Bares für Rares“. Eine große Verantwortung, findet er, immerhin repräsentiere er damit eine riesige Branche.
Ob sein Vater da nicht das Gefühl habe, der Sohn laufe ihm davon? „Prinzipiell ist er immer erst mal gegen das, was ich vorschlage“, sagt Suppes Junior lachend. Die Website www.suppes.de beispielsweise habe er aus eigener Tasche bezahlt. Heute macht das Unternehmen damit 50 Prozent seines Umsatzes.
Babyboomer gehen in Rente – wer folgt wie nach?
Eine gesunde Reibung, Respekt gegenüber Erfahrung und Wissen auf der einen und Offenheit gegenüber Neuem auf der anderen Seite – möglicherweise ist diese Mischung das Erfolgsrezept für den Generationenwechsel. In den nächsten zehn Jahren werden Millionen Babyboomer in Rente gehen. Dadurch werden nicht nur Posten in großen Konzernen frei. Auch die Inhaber kleiner und mittelständischer Unternehmen müssen sich über ihre Nachfolge Gedanken machen. Die KfW Bank gibt an, dass diese erst in der Hälfte aller Fälle geklärt sei. Allein auf der Unternehmensbörse nexxt-change.org stehen mehr als 400 hessische Betriebe zum Verkauf, vom Käseladen bis zur Versicherungsagentur. Ein Wiesbadener Metzger sagte einmal, dass er seinem Sohn „doch nicht die Schlinge um den Hals legen werde.“
Sortiment der Hut-Dynastie wird trendiger – und Selfies sind gut fürs Geschäft
Und trotzdem übernimmt in vielen Wiesbadener Familienbetrieben eine neue Generation das Ruder. „Natürlich ist gerade der stationäre Handel heute eine große Herausforderung“, gibt Dominik Voigtländer, Sohn der „Hut-Dynastie“ Mühlenbeck zu. Er stieg 2014 bei seinem Vater Andreas ein. Sein Bereich sind der Online-Handel und die Digitalisierung von Hut Mühlenbeck. Zwar habe er sich schon in den Neunzigern mit dem E-Commerce beschäftigt und sei 2010 mit einem eigenen Shop voll ins Online-Geschäft eingestiegen, betont der Senior. Er gehört zu den Geschäftsleuten, denen das Abgeben eher schwerfällt. Aber mit Sohn Dominik gewinnen die digitalen Vertriebswege, darunter auch Amazon und Ebay, weiter an Bedeutung. Außerdem ist das Sortiment moderner und trendiger geworden. Das Geschäft bleibt indes ein wichtiger Anlaufpunkt, die Kunden suchen die Beratung und schätzen die große Auswahl vor Ort. Ein Cowboyhut aus Biberhaar für 1.000 Euro lässt sich ja auch nicht mal eben per Mausklick verkaufen. Voigtländer Junior sieht in seiner Nische großes Potenzial und berichtet schmunzeln: „Mit dem Selfie hat die Kopfbedeckung einen riesigen Aufschwung erfahren.“ Er kann sich vorstellen, in Zukunft Events wie Private Shopping anzubieten, um so noch besser auf die Kundschaft einzugehen.
Die Zukunftsfähigkeit der eigenen Branche gibt Wiesbadens Jungunternehmern den Mut, weiter zu machen. „Essen und Trinken werden die Menschen immer – uns kann Amazon nichts anhaben“, sagt Sven Glöckner, der mit den elterlichen Imbisswagen sein Geld verdient. Und Annkatrin Söhngen, Junior-Geschäftsführerin beim Sanitätshaus und Rehafachhandel Wiesanha, weiß: „Der demographische Wandel macht uns zu einer Branche mit Zukunft. Die Menschen werden immer älter und brauchen unsere Produkte.“
Senior-Junior-Kombi: Kontakte der Eltern plus eigenes Netzwerk
Sven Glöckners Eltern haben sich vor Jahrzehnten mit „Puffer Christ‘l“ einen Namen gemacht, heute führt ihr einziger Sohn die Geschäfte der dazugehörigen Firma Glöckner Eventgastronomie. Nach seiner kaufmännischen Ausbildung machte er einige Schulungen und den LKW-Führerschein, der Rest war Learning by Doing. „Die größte Herausforderung ist es, unsere Qualität zu halten und gleichzeitig unser Angebot zu verbessern und anzupassen“, so Sven Glöckner. Immer mehr Leute kommen beispielsweise mit Allergien und Unverträglichkeiten an den Stand – ein Grund für Glöckner, jetzt auch vegane und glutenfreie Kartoffelpuffer anzubieten. Seine größten Veranstaltungen sind traditionell der Wiesbadener Sternschnuppenmarkt und die Rheingauer Weinwoche, hier zehrt der Junior von den guten Kontakten seiner Eltern. Zusätzlich hat er sich ein eigenes Netzwerk aufgebaut, die Werbetrommel gerührt und lässt seine Imbisswagen mehr und mehr für Firmenveranstaltungen buchen.
Mutters Grundsatz bleibt gültig: abends nach Hause kommen
Den Grundsatz seiner Mutter, abends immer wieder nach Hause zu kommen und nicht, wie es andere Schausteller und Event-Gastronomen tun, mit dem Camper durch Deutschland zu reisen, behält er bei. So haben es ihm seine Eltern vorgelebt und so zeigt er es auch seinem gerade geborenen Sohn.
Und die Puffer Christ‘l selbst? Von Zeit zu Zeit steht Mutter Christel Glöckner zwar noch selbst hinter der Theke. Aber man merkt ihr an, dass sie ihrem Sohn von Herzen vertraut und gern an ihn abgibt. „Wir haben Sven nie gedrängt, in den Familienbetrieb einzusteigen“, betont sie. Er war als Kind zwar immer mal dabei, musste aber nie wirklich aushelfen. Umso mehr freute sie sich, als er mit der Idee auf sie und ihren Mann zukam und Puffer Christ’l auch nach dem Tod ihres Mannes Wolfgang vor drei Jahren eine Zukunft hat.
Nur ausnahmsweise Patriarch
Die Jungen müssen freiwillig kommen, dann klappt es mit der Nachfolge. Davon ist auch Thilo Söhngen überzeugt. Der 57-Jähige führt Wieshana in der dritten Generation, seit vergangenem Jahr ist seine Tochter Annkatrin Co-Geschäftsführerin. Dass sie überhaupt bei Wieshana gelandet ist, war Schicksal, sagt die 27-Jährige. Eigentlich wollte sie in Gießen „Bewegung und Gesundheit“ studieren und erst später übers Arbeiten nachdenken. „Als das nicht klappte, war ich ausnahmsweise Patriarch“, sagt Thilo Söhngen. Er wollte nicht, dass seine Tochter in der Luft hängt und bot ihr an, im elterlichen Betrieb eine kaufmännische Ausbildung zu machen. Man hört den Stolz in seiner Stimme, wenn er von seiner Tochter spricht und davon, dass sie die Lehre mit Bravour meisterte. Später studierte Annkatrin noch Health Care Management und übernahm immer mehr Verantwortung. Sie kümmert sich ums Qualitätsmanagement und treibt die Digitalisierung von Wiesanha voran. Gerade ist sie auf der Suche nach einer Software, mit der sich die Organisation der Tourenplanung ihrer Außendienstler optimieren ließen.
Nachwuchs voller Innovationseuphorie
Prozessoptimierung – ein Stichwort, mit dem die jungen Unternehmer gerne hantieren. Sven Glöckner hat jüngst einen neuen Imbisswagen angeschafft. Nicht, weil er ihn mengenmäßig braucht. Aber er lässt sich schneller auf- und abbauen, das spart Zeit und Geld. Außerdem baut der 31-Jährige, um noch effizienter arbeiten zu können, gerade ein Zentrallager für all seine Materialen und Fahrzeuge. Bei „den Alten“ stößt das auf offene Ohren. „Man muss ihn immer erst mal ein bisschen bremsen“, sagt zwar Bernd Suppes über die Innovationseuphorie seines Sohnes. In Wirklichkeit weiß er, dass Davids Ideen ihn nach vorne bringen. Wann genau er sich komplett aus dem Geschäft zurückzieht, sagt er nicht.
Für Thilo Söhngen ist nach eigener Aussage „in spätestens sieben Jahren Schluss.“ Bis dahin aber gibt er sehr wohl den Ton an und kümmert sich um die Personalführung. „Ich muss noch lernen, manchmal etwas härter durchzugreifen“, meint Annkatrin. Für später kann sie sich vorstellen, Wiesanha gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder zu führen, quasi als Familienbetrieb im doppelten Sinne.
Krasser Bruch mit der Tradition – aber logisch
Ob radikal neuer Kurs oder sanfter Übergang: Es ist spannend zu sehen, was in Wiesbadener Traditionsbetriebe Neues entsteht. Bereits vor zwei Jahren hat Sebastian Schulz, Sohn der Maldaner-Inhaber Renate Schulz-Winkel und Michael Schulz, die Maldaner Coffee Roasters GmbH gegründet. Eine Rösterei für fair und direkt gehandelten Spitzenkaffee, untergebracht in einem stylischen Hinterhof-Loft mitten im Westend. Ein krasser Bruch zum traditionellen Kaffeehaus in der Innenstadt und gleichzeitig ein völlig logischer Schritt. „So haben wir unsere beiden Hauptprodukte, nämlich Kaffee und Kuchen, unter einem Dach“, erklärt Sebastian Schulz. Wenn der studierte Marketingfachmann redet, merkt man aber sofort, dass er mehr will, als die Gäste seiner Eltern mit gutem Kaffee zu versorgen. Das Kaffeehaus war sein zwar sein erster Abnehmer, und seine Familie habe ihn von Anfang an mit Tatkraft und Ressourcen unterstützt. Eine Anstellung bei ihnen wäre für Sebastian Schulz jedoch undenkbar gewesen. Er wollte sein eigenes Ding machen und wirtschaftlich unabhängig sein. Das Business soll wachsen, schon jetzt verkauft Schulz seinen Kaffee online, über Händler und Gastronomen deutschlandweit.
Auch Sven Glöckner schenkt Maldaner Roast aus, Wiesbadens Jungunternehmer sind gut vernetzt. Ebenso wie Annkatrin Söhngen sitzen Sebastian Schulz und Sven Glöckner in der IHK Vollversammlung (bei den Voigtländers steht noch der Senior auf der Liste). „Ich möchte den Wirtschaftsstandort Wiesbaden mitgestalten und weiter aufwerten“, so Schulz. Was seine kleine Kaffeerösterei zukunftssicher macht? „Transparenz und die Besinnung auf Genuss und Qualität.“ Die Frage, ob er auch das Kaffeehaus selbst einmal übernimmt, lässt der 30-Jährige offen. Nur so viel: „Es wäre schön, wenn es in unserer Hand bleibt.“