Direkt zum Inhalt wechseln
|

Geschäft des Monats: Die Radler, Hauptbahnhof, Gleis 11

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos  Nele Prinz.

Ganz weit hinten rechts im Wiesbadener Hauptbahnhof steht ein ganz besonderer Waggon. Er ist blau angemalt wie der von Peter Lustig. Aber hier ist kein lustiger Typ zu Hause, und der Waggon wird sich auch nicht wieder auf Reisen begeben. Es ist „Der Radler“. 2008 startete das Projekt der BauHaus-Werkstätten und der Stadt Wiesbaden. Seitdem sind hier nicht nur Tausende von Fahrrädern repariert worden, sondern auch viele Menschen wieder an eine regelmäßige Beschäftigung herangeführt worden. Beim „Radler“ handelt es sich nämlich um ein Beschäftigungsprojekt. Es ist zur Win-Win-Situation für ganz unterschiedliche Bedürfnisse geworden: Die ehemalige „Schmuddelecke“ auf Gleis 11, die voller Fahrradleichen und Müll war, ist nun sauber und einladend – das freut die Bahn und das Bahnhofsmanagement.

Reparatur, Reinigung, Verleih

Bahnkunden können sich hier unkompliziert ein Fahrrad leihen, Radbesitzer können ihres günstig reparieren oder reinigen lassen, Wiesbadens städtische Bedienstete finden hier für ihre Diensträder fachkundige Wartung und Pflege, und viele Langzeitarbeitslose oder in letzter Zeit auch Flüchtlinge konnten sich hier sinnvoll beschäftigen. Manche Arbeitsverhältnisse mündeten wie gewünscht in den ersten Arbeitsmarkt. Im nächsten Jahr soll es hier einen regulären Ausbildungsplatz geben. Eine tolle Sache also, der blaue Waggon – das finden auch die, die dort arbeiten.

Susanne zum Beispiel, derzeit die einzige Frau. Die 36-Jährige hat früher im Büro gearbeitet, aber ohne eine richtige Ausbildung. Als dann noch gesundheitliche Probleme dazukamen, war sie lange arbeitslos. Bei den BauHaus-Werkstätten, deren Kernkompetenz die Beschäftigungsförderung unter erschwerten Bedingungen ist, konnte sie in unterschiedliche Arbeitsfelder hineinschnuppern. Und blieb beim „Radler“ hängen. „Ich bin sowieso eine leidenschaftliche Schrauberin“, sagt Susanne. „Und hier ist ein echt tolles Team. Die Arbeit macht Spaß.“ Sie hofft, die Ausbildung dann auch regulär machen zu können – bis jetzt ist es ein Ein-Euro-Job. Es gibt unterschiedlichste Finanzierungstöpfe, aus denen die Belegschaft ihren Lohn erhält. Neid ist dem Team fremd. Und zusammengehalten werden sie durch ihre „Fachanleiter“, ausgebildete Techniker mit pädagogischer Zusatzqualifikation: Sven Geyer, ein KFZ-Meister, ehemaliger Opelaner, und Marius Bachofen, Zweiradmechatroniker.

Vom Flugzeugmechaniker zum „Radler“-Mann für alle Fälle

„Die Saison geht gerade wieder los, sagt Geyer. „Den Winter nutzen wir eher zur Fortbildung.“ Natürlich ist das Ziel, die Menschen, die hier das „Schrauben“ lernen, auch wieder in Arbeit zu bringen. Das klappt nicht bei allen, manche merken auch, dass das nichts für sie ist, andere – wie Susanne – sind total begeistert und wollen bleiben. Auch Bijan ist so einer. Der 63jährige Iraner ist eigentlich Flugzeugmechaniker, vor Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen, und fand keine Arbeit. Beim „Radler“ ist er seitdem eine Art „Mann für alles“.

Die Arbeitsfelder sind zahlreich: Räder reparieren, codieren, recyceln, verleihen, putzen, warten. „Alles bitte mit Termin“ – darauf legt Sven Geyer Wert (Telefon 0611/98819555). Mit den örtlichen Läden ist man gut vernetzt, erklärt Clemens Mellentin von den BauHaus-Werkstätten. „Die schicken oft Leute zum Radler, die ältere Fahrräder haben, bei denen sich die Reparatur eigentlich gar nicht mehr lohnt.“ Räder, die sonst vielleicht verschrottet würden, bekommen hier doch noch einmal neues Leben eingehaucht. Nur High-End-Bikes werden nicht bearbeitet. Dafür werden Radtouren organisiert: Ein- bis zweimal im Monat kann man kostenfrei inklusive Leihfahrrad in Wiesbadens schöner Umgebung eine geführte Sonntagsradtour machen. Verliehen werden übrigens auch Helme, Kindersitze, Packtaschen, Anhänger. Das Projekt, das von der Stadt Wiesbaden gefördert wird, muss  für jeden Haushalt neu beantragt werden. „Angesichts der deutlich entspannteren Ausgangslage des Haushalts gegenüber der Situation vor zwei Jahren bin ich da recht optimistisch“, sagt Clemens Mellentin: „Auch die sonstigen Einkünfte aus den Integrationsmaßnahmen sowie den Dienstleistungen sehe ich aktuell nicht gefährdet. Von einer Fortführung 20 18/19 gehe ich aus – zumal auch das Thema Radverkehr in Wiesbaden in den neuen Dezernatszuschnitten nochmals an Bedeutung gewinnen dürfte.“