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Getrennt durch den Rhein, verbunden durch Hip- Hop: Was geht in der Rapszene in Wiesbaden und Mainz?

Von Samira Schwarz. Fotos Evelyn Wiedemann, Ruben Rheinländer, Julius Gabele, David Henselder, Veranstalter, privat.

„Die größte Jam des Landes“– die Tapefabrik, bringt jedes Jahr, am 10. Juni wieder, rund 3.000 Hip-Hop Fans und spannende Acts aus dem ganzen Land im Wiesbadener Schlachthof zusammen. Und wie steht es um die lokale Szene? Unser Eindruck: Die Städte, die durch den Rhein getrennt werden, sind im Hip-Hop eng verbunden.

„Tapefabrik bedeutet Mitmachen – für jeden. Diversität ist sowohl im Booking als auch im Team ein wichtiges Thema. Fällt auf, dass dies nicht gegeben ist, wird im Zweifel noch einmal reagiert,“ erklärt Tapefabrik-Gründer Maximilian Schneider-Ludorff.

Zur Bedeutung der Veranstaltung, die Publikum aus der ganzen Republik anlockt, für die Umgebung meint der Absolvent (2014 Medieninformatik) der Hochschule RheinMain: „Ich maße mir das nicht an, aber ich hoffe, dass wir eine enorme Unterstützung für die Szene und die kulturelle Entwicklung in der Region leisten.“ Es fehle jedoch an Unterstützung und Förderung. Dieses Jahr laufen wieder Gespräche, ob sich die Tapefabrik nächstes Jahr lohnt.

Tapefabrik und Blend-Effekte

Wenn auch nicht unbedingt wegen der „Tapefabrik“: Einige Hip-Hop-Künstler aus Wiesbaden und Mainz haben es bereits nach ganz oben geschafft. Rapper Eno, Kind der auch in einem seiner Albumtitel verewigten „Wellritzstraße“, wurde rasant berühmt und verkaufte bereits über 1,2 Millionen Tonträger. Der aus Mainz stammende Produzent Shuko arbeitet weltweit mit den größten Stars. Doch wie sieht es abseits dieser Phänomene in der Hip-Hop Szene Mainz/Wiesbaden aus? Die Akteur:innen sind sich einig: Die Städte, denen gerne Konkurrenz nachgesagt wird, bilden eine gemeinsame, von Connections geprägte, Szene.

Ein großer Gewinn war die Entscheidung, das BLEND Festival in Kollaboration mit dem Label Sichtexot nach Mainz ins Alte Postlager zu bringen. Bei der Spring Jam im April  fand an zwei Tagen eine Mischung aus Jam, Cypher, Bands, Beatsets, DJs, Skate Contests und Live-Graffiti statt. „BLEND soll ein Festival von der Community für die Community sein“, so Gründer Uli Zeller von Oiyo Records. Locals sind stark vertreten im Line-Up: Sichtexot und die SDSK Crew, sowie der Wiesbadener Rapper Thizzy waren am Start.

Thizzy – Songs mit Reflektion und Tiefe

In seinen Songs setzt sich Thizzy mit der eigenen Psyche auseinander, reflektiert und lässt eine Menge Wut ab. Erste Live-Erfahrungen sammelte er bei „Die schönste Jam“ – mit seiner ausverkauften Show „Thizzy & Friends“ kehrte er im Januar auf die Bühne in der Kreativfabrik zurück. „Nach den Lockerungen von Corona-Maßnahmen überhaupt was auszuverkaufen ist irgendwie crazy“, erzählt er begeistert. Vermarktungstechnisch ist der Rapper viel auf Twitter aktiv, so reisten aus der Twitter-Bubble Menschen aus ganz Deutschland an. „Man kann in Wiesbaden nicht richtig von einer Szene sprechen“, findet der 24-Jährige. „Aber vielleicht versucht dadurch jeder, etwas zu machen und nicht überall passiert das Gleiche,“ erklärt er weiter.

Sichtexot – Institution made in Mainz

Eine Institution für die Szene der Umgebung ist das Mainzer Label Sichtexot. Gegründet 201  von Tufu und Anthony Drawn, konnte sich das Label etablieren und ist aus Mainz nicht mehr wegzudenken. Mehr als vierzig Artists sind mittlerweile beim Label gesigned und weit über die Stadtgrenzen bekannt.

Besser-Samstag schafft Kunst und Kultur

Ein großer Spieler in der Rhein-Main-Szene ist auch Besser-Samstag. Ursprünglich mal der Name des Duos Paddy Besser und Sven Samstag, wurde vor rund zehn Jahren das Label geboren. Das Unternehmen von Paddy und seinem Team hat sich verändert: „Mittlerweile veröffentlichen wir nicht mehr nur Hip-Hop aus dem Wohnzimmerschrank“, erklärt Joël, der für Künstler:innenbetreuung und physischen Vertrieb bei Besser-Samstag zuständig ist. Die Artists beschränken sich nicht mehr auf Wiesbaden. Besser-Samstag geht über die Stadtgrenzen hinaus. „Wir haben die Möglichkeit hier Kunst und Kultur zu schaffen, zu fördern und dafür Räume zu erschließen“, erzählt er. Räume, das sind die Kreativfabrik, das Kontext, Schloss Freudenberg oder der Schlachthof und Kulturpark mit Formaten wie „Besser im Park“.

„Hip-Hop Szene gibt es überall“

Musik hat schon immer eine Rolle im Leben von Joël aka Joeii gespielt. Inspiriert durch seinen Freund MvA, schrieb er erste Songs. Gemeinsam mit dem Beatproduzenten Till aka _tillus brachte er die EPs „Zeit zu bleiben“ und „Allein“ raus, kürzliche feierte er eine fette Releaseparty im Walhalla im EXIL. Die Texte sind offen und emotional. „Wir machen Videos mit Freund:innen, sehr low budget – ganz ganz viele Leute helfen links und rechts“, erklärt er das Marketing.

„Hip-Hop Szene gibt es überall. Und das natürlich auch in `Spießbaden´, auch wenn das vielleicht viele Leute nicht wollen“, stellt er klar. Gut besuchte Deutschrap-Partys, die sich für Künstler:innen und Veranstalter lohnen, fehlen seiner Meinung nach ebenso wie Gage und Räume, und Joeii fragt sich: „Wieso feiert man nicht mal auf einer Party zu Deutschrap und Hip-Hop Hits?“ Kollegin und Producerin Johanna alias Jtothek stimmt dem zu: „Ich erinnere mich an wenige Partys, die nicht nur tot gehörte 90er Jahre Tracks spielen, oder so ´clubby´ aufgezogen werden, dass du mit Jogginghose gleich wieder umdrehen kannst“.

Gemeinsam und doch individuell: Die SDSK-Crew

Als zum Produzentenfreundeskreis von Ozelot und Popadiclo irgendwann der Rapper Ive dazustieß und viel Drive mitbrachte, entstand die SDSK-Crew. Das ist zumindest die Kurzfassung. Sdsk, das sind kaktusman/Ben iti, Ive, Negoucé, Ozelot, popadiclo/John Gelato, Naims, henace/Sergio Cognac, Jean Mozg, und Bill adlib/babydawg/babydrama.  Angefangen mit sieben Producern und einem Rapper, hat sich SDSK weiterentwickelt. Seit 2020 rappen auch Negoucé und er, erzählt der 28-jährige Ozelot.

Die Stile der Crew reichen von Trap, zu Oldschool, Lo-Fi und experimenteller Musik. Auch, dass alle bei anderen Labels sind, beeinflusst ihren Sound. „Ich wurde zum Beispiel unfassbar beeinflusst und inspiriert von Hubert Daviz“, erzählt Popadiclo, der auch beim Sublabel „casuallowgrind“ von Daviz und Anthony Drawn veröffentlicht.

Wahrscheinlich hätten sich die SDSK-Member nie kennengelernt, wenn sie über Deutschland verteilt gewesen wären. „Mainz spielt da meiner Meinung nach auch eine vereinende Rolle“, so Popadiclo. Und auch mit Wiesbaden sei man eng connectet, ergänzt Ozelot. Sowohl auf dem BLEND als auch bei Veranstaltungen von Besser-Samstag sind sie regelmäßig vertreten.

Party-Reihen, Jams & mehr

Bereits seit zehn Jahren bringt „Die schönste Jam“ lokale Künstler:innen in der Kreativfabrik zusammen. Im Line-Up für die 10-Jahre-Jubiläumsausgabe am 3. Juni stehen unter anderem Joeii und seine Crew bestehend aus Kuba, Thomas Hase, Theo und Gangsta Zen. Maßgeblich verantwortlich dafür ist Stealy Dan. Als Resident der Schlachthof-Reihe „Get Low“ und Veranstalter schafft er wichtige Orte für die Szene. Was Schlachthof, Kontext und die Kreativfabrik für Wiesbaden sind, ist das Alte Postlager für Mainz. Graffitis, Skate-Rampen und die Heimat der „Old but Gold Ü30 Hip-Hop Party“. Ab Mai gibt es mit der „Block Party“ auch eine Neuheit für alle unter 30.

„Was fehlt: ein FLINTA-Kollektiv“

Musik gab Rapperin Mimii Raum sich zu entfalten – und eine Stimme. Das verarbeitet sie auch in ihren Songs, wie dem zuletzt erschienenen Album „Level H20“. Das Fuß fassen als Frau in der Szene ist anfangs schwer, „weil du erstmal wirklich Rücken brauchst“, erklärt sie. Die Hip-Hop Welt nimmt sie teils als sehr judgende maskulin geprägte Szene wahr, die oft nicht offen für Neues oder Softes ist.

Was Mimii in der hiesigen Szene fehlte, war ein FLINTA-Kollektiv: „Also Frauen, mit denen man sich da connecten könnte, die  einfach selbstbestimmt ihr Ding machen und darauf scheißen, was andere denken“ erzählt sie. In ihrer Heimatstadt Frankfurt hat sie das gefunden. Doch Mainz und Wiesbaden bleibt sie erhalten: Ihr nächster Gig ist die Tapefabrik.

„Die New Wave ist weiblich und divers“

Mittlerweile in Hamburg lebend, ist die 24-jährige Johanna Kaatz alias Jtothek weiterhin aktiv in Wiesbaden. Sie arbeitet für Backspin, Besser-Samstag und ist Chefredakteurin beim Kulturmagazin „Einerseits“. Seit einiger Zeit produziert sie auch selbst Beats und legt im Juni auf der Tapefabrik Beatstage auf. Veranstaltungen wie diese, das BLEND oder Besser-Samstag halten die Szene zusammen, findet sie.  Und auch wenn Hip-Hop früher häufig von Männern dominiert wurde, Johanna stellt klar: „Die „New Wave“ ist weiblich und divers. Damit wird sich jeder Mann in der (Hip-Hop) Welt abfinden müssen“.

Und bei aller, oft spaßigen Konkurrenz zwischen Wiesbaden und Mainz – nicht zuletzt das weltweit bekannte Graffiti-Event „Meeting of Styles“ verbindet und sorgt für Gemeinschaft. Auch wenn sie durch den Rhein getrennt sind – die Hip -Hop Szene verbindet die Landeshauptstädte.

sensor präsentiert: „Tapefabrik“ 10. Juni, Schlachthof, Neu: Tapefabrik Warm up am 9. Juni im Kesselhaus. www.tapefabrik.de