Von Dirk Fellinghauer. Fotos: thalhaus, Kulturspielhaus Rumeln.
Theater und Bühnen in Hessen dürften, zumindest theoretisch, seit dem 9. Mai wieder öffnen und Vorstellungen spielen. Das thalhaus, bekannte Wiesbadener Kleinkunstbühne im Nerotal mit vielfältigem Programm von Kabarett über Comedy und Theater bis zu Musik, zeigt und beschreibt exemplarisch und eindrücklich, warum „dürfen“ nicht automatisch „tun“ bedeutet, warum „Lockerung“ erst mal gut klingt, eine Umsetzung damit aber längst noch keine ausgemachte Sache ist – im Gegenteil.
Die Lesefassung der neuesten Verordnung des Landes Hessen schreibt neben einem Hygienekonzept auch weitere Auflagen vor, die die Verantwortlichen des thalhaus genau geprüft haben – mit ernüchterndem Ergebnis: „Wir mussten feststellen: Sie sind für das thalhaus Theater kaum einzuhalten.“ Natürlich wolle man die Regeln nicht „weiträumig ausdehnen“, um es „irgendwie hinzubekommen“: „Wir stellen das Interesse unseres Hauses auf keinen Fall über die gesetzlichen Vorgaben, die Ihrer Sicherheit dienen sollen. Wir sind uns der Verantwortung für Sie, für unsere Mitarbeiter und für die Künstler sowie die Gesellschaft im allgemeinen bewusst.“
Testweise Bestuhlung des Saals
„Wie sähe unser Theater aus, wenn die Mindestabstände vorschriftmäßig eingehalten würden?“, haben sich die thalhäusler gefragt – und es ausprobiert. Zur Anschauung haben sie ihren Saal testweise so bestuhlt, dass jede Person 5 Quadratmeter Platz und einen Abstand von mindestens 1,5 Meter zum Nachbarn hat.
„Auf dem Foto aus Sicht der Bühne sehen Sie, wie deprimierend das Ergebnis ist“, kommentiert Marian Drabosenik, Künstlerischer Leiter des thalhaus: „Mit diesen wenigen Plätzen können wir weder dem Künstler gerecht werden, der anteilig aus den Eintrittsgeldern bezahlt wird, noch die Kosten einer Veranstaltung wie GEMA, Künstlersozialkasse oder Mitarbeitergehälter tragen.“
Nicht zuletzt haben die gesetzlichen Auflagen eine Eröffnung der Gastronomie ebenfalls so stark eingeschränkt, dass das thalhaus während der Vorstellung keinen Getränkeausschank anbieten dürfte. Aus all diesen Gründen und nach sehr reiflicher Überlegung hat der Vorstand die Entscheidung getroffen, dass das thalhaus Theater den Spielbetrieb bis zur geplanten Sommerpause nicht aufnehmen wird.
So bedauerlich wie gleichzeitig nachvollziehbar diese Entscheidung ist, so hoffnungsvoll sind die Aussichtne: „Am 2. September soll unser Herbst/Winter-Programm wie gewohnt wieder starten. Die meisten unserer ausgefallenen Vorstellungen haben wir für den Herbst terminiert. Wir hoffen, dass wir Sie dann wieder in unserem frisch renovierten Haus begrüßen können.“
An ihr Publikum, ihr Fans und Unterstützer hat das thalhaus eine Bitte: „Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie bereits gekaufte Karten nicht zurückgeben, sondern sie als Spende an uns sehen. Zusätzlich können Sie uns unterstützen, indem Sie bei #seidabei mitmachen und als kleine Spende eine Eintrittskarte zu einer „Geisterveranstaltung“ kaufen – mehr Informationen dazu finden Sie hier.“
Auch andere Wiesbadener Bühnen äußern sich besorgt
Andere Wiesbadener Bühnen melden sich mit ähnlichen Sorgen und großer Skepsis bezüglich der „Lockerungen“ zu Wort, auch in Verbindung mit der bundesweiten Initiative #kulturerhalten.
Unter anderem haben Freies Theater Wiesbaden oder die Leiterin des kuenstlerhaus43 ein Foto aus dem Kulturspielhaus Rumeln ähnlich dem aus thalhaus geteilt mit dem Text: „So könnte bald jedes Theater nach den neuen Lockerungen aussehen. Für Euch Zuschauer sieht es so aus, als ob in allen Bundesländer die Kultur wieder losgehen kann, aber die neuen Abstandsregelungen sind betriebswirtschaftlich für alle Beteiligen ein Desaster und nicht wirklich umsetzbar. Bitte unterstützt uns und verbreitet dieses Bild weiter, damit die freie Kulturlandschaft überlebt und wir endlich Unterstützung bekommen!“
Lockerungen als falsches Signal: Es geht uns viel zu schnell
„Juchuuu – auf einmal kann die Kultur wieder losgehen! Klingt ja ganz toll“, schreibt das Freie Theater Wiesbaden – und dann: „Eigentlich. Wir wünschen uns nicht sehnlicher als wieder auf der Bühne zu stehen, zu inszenieren, zu spielen,uns und Euch zu sehen. Das nach 7 Wochen alles überstanden und wir wieder in die „Normalität“ zurückkehren sollen, diese beschlossenen Lockerungen sehen wir als falsches Signal! Es geht uns viel zu schnell! Und wir halten diese Schritte für übereilt.“
Die nötigen Vorschriften und Auflagen seien „so skurril wie abstrus, undurchsichtig und nicht umsetzbar“: 20 m² Probenraum pro Schauspieler, ungeklärte Vorschriften für das Spiel auf der Bühne (6 m Abstand der Schauspieler untereinander ohne Maske oder 1,5 m Abstand mit Maske?), nicht umsetzbare Auflagen bezüglich Garderoben, Toilette, Fieber messen usw. Und dazu der fast leere Zuschauerraum, der nicht mal im Ansatz die Kosten deckt, die uns entstehen um zu spielen. „Alles neu müsste sein. Neue Stücke, neue Format, alles auf Abstand und ohne Finanzierung. Alles auf die Schnelle“, klagen die Theatermacher, schauen aber auch in die Zukunft: „Und wir werden wieder spielen, inszenieren. Bald – wenn es von uns zu vertreten ist, wenn wir wieder so inszenieren und für Euch da sein können, dass es sich für uns richtig anfühlt,wenn es passt, dann sehen wir uns wieder.“
Wie sehen Betreiber anderer Bühnen die Lage? Meldet euch gerne mit euren Einschätzungen und Vorhaben.
Und das (potenzielle) Publikum: Könnt ihr euch unter den gegebenen Umständen einen Besuch von Theater oder anderer Kulturstätten vorstellen? Kommentiert und diskutiert hier.
Ich bin selbst Schauspielerin an einem kleinen Theater und wir haben seit dem 16.03. geschlossen. Nun ging alles ganz schnell. Uns wurde vor wenigen Tagen mitgeteilt, dass wir wieder spielen dürfen. Der Abstand von uns zu den Gästen und der Gäste untereinander ist wohl gesichert. Der Mindestabstand auf der Bühne muss nicht berücksichtigt werden, wenn wir unser persönliches Einverständnis dazu geben. Wir mich fühlt sich das nicht richtig an, weil es letztendlich eine Entscheidung jedes Einzelnen zwischen Job und Gesundheit ist. Natürlich möchten alle gern wieder spielen, aber um den Preis der eigenen Gesundheit und der der Kollegen?
(Ich möchte bitte anonym bleiben.)