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Hilferuf-Brief der Wiesbadener Gastronomen: OB reagiert, FDP attackiert – Konkretes erst nach heutigem Treffen

Von Dirk Fellinghauer.

Wie berichtet, haben sich 39 Gastronomen aus Wiesbaden an Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende gewandt mit einem offenen Brief, der einerseits ein dramatischer Hilferuf ist, andererseits sehr konkrete und konstruktive Ideen und Vorschläge enthält, wie man die Nöte im Zusammenhang mit den Corona-bedingten Regelungen und Einschränkungen zumindest hier und da etwas abfedern könnte. Der OB reagierte per Interview und wird sich heute mit den Briefeschreibern treffen, wie diese sensor auf Anfrage mitteilten. Die Wiesbadener FDP zeigt sich derweil „entgeistert“ über die bisherige Reaktion des Rathauschefs und enttäuscht auch von der Untätigkeit des zuständigen Wirtschaftsdezernenten Oliver Franz und verweist auf den ihrerseits schon vor Veröffentlichung des Gastronomen-Briefs vorgelegten „umfangreichen Maßnahmenkatalog , der schnell und einfach umgesetzt werden kann und Handel sowie Gastronomie unmittelbar im Rahmen der kommunalen Möglichkeiten hilft.“ Auch die Wiesbadener Grünen haben sich nun mit Vorschlägen gemeldet, wie etwa Parklets für die Gastronomie in der Innenstadt.

OB Gert-Uwe Mende hat das Interview, das er dem Wiesbadener Kurier zu dem Offenen Brief gegeben hatte, noch am Sonntagabend auch auf seiner offiziellen Facebook-Seite veröffentlicht. Dort äußerte er „Verständnis für den öffentlichen Appell in einer Notlage“, zeigte sich aber auch pikiert über den Weg des offenen Briefs: „Um mit mir ins Gespräch zu kommen, braucht es keine offenen Briefe. Da reichen ein Anruf oder eine E-Mail. Den Initiatoren wurde ein Gespräch auch schon zugesagt, bevor der Brief veröffentlicht wurde.“

„Wir kümmern uns im Rahmen der Möglichkeiten um alle Wirtzschaftszweige“

Zu den Inhalten des Briefs, zur damit öffentlich gemachten Problematik und Dramatik der Lage der Wiesbadener Gastronomen, fiel dem Stadtoberhaupt in den Interview noch nicht allzu viel ein. Die Wahrnehmung der Betroffenen, „dass die Stadt sich nicht um uns kümmert“, kommentierte er: „Wir kümmern uns im Rahmen der Möglichkeiten um alle Wirtschaftszweige“ und verwies auf die schnell veranlasste Stundung der Gewerbesteuer und von Gewerbemieten für städtische Immobilien und auf ein ausführliches Gespräch, das er und Wirtschaftsdezernent Oliver Franz „den Wirtschaftsverbänden“ angeboten hätten. Man hätte auch eine Microsite mit „allen denkbaren Informationen“ auf der städtischen Homepage veröffentlicht, inklusive der von der Stadt unterstützten Aktionen „Buy local“ und „eat local“.

Konkretes erst nach dem Gespräch

Von den Anliegen der Wiesbadener Wirte fühlt er sich offenbar nicht so wirklich angesprochen, geschweige denn zuständig: „Klar ist, das schreiben ja auch die Wirte, dass sich die Forderungen hinsichtlich wirtschaftlicher Unterstützung in erster Linie an Bund und Land richten.“ Nichtsdestotrotz will Mende die im Brief formulierten konkreten Forderungen und Vorschläge mit den Wirten besprechen: „Das Schreiben enthält eine Reihe Ideen, die helfen könnten. Was davon umsetzbar ist, muss im Einzelnen geprüft werden“, sagt er, ohne viel Hoffnung zu machen: „Zum Beispiel der Vorschlag, mehr Außenfläche zur Verfügung zu stellen, muss im Hinblick auf Fluchtwege und Brandschutz geprüft werden.“ Auf die Frage „Was kann/will die Landeshauptstadt darüber hinaus unterstützend tun?“, antwortet der OB: „Jetzt steht erst einmal das Gespräch mit den Initiatoren an“. Involviert ist auch City-Manager Axel Klug, wie dieser im Rahmen einer Diskussion auf Facebook wissen ließ.

Auf seiner Facebook-Seite stieß Mende mit dem Interview auf gemischte Reaktionen. Während die einen seine „prompte Reaktion“ loben und feststellen, dass er sich „um alles kümmert“, kommentiert eine Nutzerin: „Ich lese leider nur Bla Bla“.

FDP: „Ist das alles, was dem OB einfällt?“

Sehr viel mehr haben offenbar auch die Freien Demokraten im Wiesbadener Rathaus nicht aus Mendes Aussagen herausgelesen.

Ist das alles, was dem Oberbürgermeister zur Rettung der Innenstadt einfällt?“, fragt Christian Diers, Vorsitzender der FDP-Rathausfraktion, die „entgeistert“ über die Interview-Aussagen sei: „Gastronomie und weite Teile des Einzelhandels sind beziehungsweise waren knapp eineinhalb Monate geschlossen. Das war genug Zeit, um Ideen für eine Wiederbelebung zu erarbeiten und ihre Umsetzung zu prüfen. Trotzdem scheint man vom offenen Brief der Gastronomen überrascht worden zu sein.“ Es sei „einfach nur enttäuschend“, dass der Magistrat glaube, mit den genannten Maßnahmen und Angeboten seiner Verantwortung nachgekommen zu sein, konstatiert Diers und verweist auf den „umfangreichen Maßnahmenkatalog“, den seine Fraktion vorgelegt habe: „Wir hätten zumindest erwartet, dass Oberbürgermeister und Wirtschaftsdezernent ebenfalls konstruktive Vorschläge ersonnen haben. Das ist aber wohl nicht der Fall.“

„Kommunen haben durchaus Stellschrauben“

Aus Sicht der Freien Demokraten vergessen Oberbürgermeister Mende und Wirtschaftsdezernent Franz, „dass die Kommunen viele Stellschrauben haben, an denen jetzt gedreht werden kann, um den betroffenen Unternehmern und Angestellten in ihrer misslichen Lage zu helfen“. Lucas Schwalbach, wirtschaftspolitischer Sprecher, verweist auf Kommunen wie Frankfurt, wo der dortige Wirtschafts- und Ordnungsdezernent gegenüber der FAZ angekündigt hat, mehr Flächen für die Außenbewirtschaftung zur Verfügung zu stellen.

„Handeln statt Quengeln“

„Zunehmend irritiert“ zeigt sich Schwalbach über „das ständige Abschieben der Verantwortung auf die Landesregierung“. Er kritisiert: „Andere Kommunen schaffen es auch, ihren Gestaltungsspielraum zu nutzen, um die Corona-Auswirkungen vor Ort zu managen. Nur die Landeshauptstadt fordert beharrlich, bei jedem Schritt vom Land an die Hand genommen zu werden.“ Abschließend mäkeln die Freien Demokraten, dass Oberbürgermeister und SPD-Dezernenten fast täglich an der Politik der Landesregierung mäkeln, aber keine eigenen Lösungsvorschläge offerieren: Herr Mende muss in der jetzigen Situation den Wandel vom Geschäftsführer einer Oppositionsfraktion im Landtag zum Oberbürgermeister der Landeshauptstadt schaffen. ‚Handeln statt Quengeln‘ muss die Losung der nächsten Wochen sein“, so Christian Diers.

Vier Säulen zur Stärkung des Einzelhandels

Bereits am 5. Mai hatte die FDP-Rathausfraktion ein „Positionspapier zur Unterstützung des innerstädtischen Handels“ vorgelegt mit „vier Säulen zur Stärkung des innerstädtischen Einzelhandels“ und der Aufforderung: „Wirtschafts- und Ordnungsdezernent Dr. Oliver Franz muss die Aktion “Rettet die Innenstadt” jetzt starten.“

Die Freien Demokraten wollen die Unterstützung der Stadt für den Einzelhandel auf vier Säulen stellen: Der Magistrat soll sichere und günstige Wege in die Innenstadt schaffen, er soll Händler und Gastronomie von Abgaben entlasten und über kurzfristige Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung mehr Kunden in die Innenstadt locken. Zu den Ideen gehören auf Luisen- und Kranzplatz sofort und in großem Stil behelfsmäßige Fahradabstellanlagen, Gespräche mit Parkhausbetreibern soll über eine befristete Absenkung der Parkpreise in den nicht ausgelasteten Parkhäusern auf 50% der Stundenpreises gesprochen werden, gefordert wird außerdem sofort ein professionelles Leerstandsmanagement („Die Stadt muss aktiv auf die Hauseigentümer zugehen, um Zwischennutzungen für Kunst, Pop-Up-Stores oder Start-Ups zu ermöglichen.”) und ein zusätzlicher verkaufsoffener Sonntag in der Vorweihnachtszeit sowie die digitale Messung von Besucherströmen in der Innenstadt, „damit jeder einsehen kann, wie voll die Innenstadt gerade ist und ob es sich nicht lohnen würde, zu einer späteren Stunde einkaufen zu gehen“. Das komplette Papier ist hier zu finden.

„Öffentlichen Raum beleben, Gastronomen retten“  – Grüne fordern kostenlose und unbürokratische Erweiterung der Außengastronomie in der Innenstadt

Heute haben sich auch die Grünen zum Thema gemeldet, nicht mit ausdrücklichem Bezug zu dem offenen Brief, sondern im Hinblick auf die Öffnung der Gastronomie, die ab diesen Freitag, 15. Mai, grundsätzlich wieder möglich ist.

„Ab Freitag können endlich alle wieder ihr Lieblingslokal persönlich besuchen und auch dort verweilen“, freut sich Axel Hagenmüller über die Lockerungen ab dem 15. Mai. „Das ist auch dringend nötig, denn vielen Gastronomen steht genauso wie manchen Einzelhändlern das Wasser bis zum Hals“ so der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Rathaus. „Jetzt sind unbürokratische und kreative Ideen gefragt“. Würden jetzt alle an einem Strang ziehen, dann könnten die Plätze, die innen durch die Abstandsregelungen verloren gehen, durch eine erweiterte, kostenlose Außenbewirtschaftung zum Teil ausgeglichen werden.

Parklets für Gastronomie nutzen

Auf Plätzen und im Straßenraum unbürokratisch insbesondere über die Sommermonate zusätzliche Außenbewirtschaftung zu ermöglichen hält auch Guido Haas, stellvertretender Ortsvorsteher Wiesbaden-Mitte für eine gute Idee. Dabei müssen selbstverständlichen Fluchtwege und Mindestabstände eingehalten werden. Die Grüne Fraktion im Ortsbeirat Mitte sieht insbesondere in der Moritzstraße Handlungsbedarf. „Diese Straße ist belebt wie eine Fußgängerzone, ohne Fußgängerzone zu sein“, verdeutlicht Guido Haas. „In der Corona-Krise fällt es umso mehr auf, wie sich die Menschen auf dem Bürgersteig drängeln, während zugleich die Autos in der zweiten Reihe parken können.“ Deswegen schlagen sie vor, vereinzelt Parkplätze in Form von Parklets (kleine, auf Parkplätzen eingerichtete Sitzbereiche) temporär für die Gastronomie zu nutzen.

„Eine Belebung der Innenstadt fordern wir Grüne seit langem. Neben der Moritzstraße kommen vor allem Bärenstraße, Nerostraße, Taunusstraße, Mauritiusplatz, sowie  Kranz- und Kochbrunnenplatz für eine Erweiterung der Außengastronomie in Frage. Auch in den Vororten mit Flanier- oder kleinen Einkaufsbereichen wie Schierstein und Biebrich kann ich mir kurzfristige Lösungen vorstellen“ ergänzt Dorothée Andes-Müller, planungspolitische Sprecherin im Rathaus und Ortsbeiratsmitglied in Biebrich. Parklets nicht nur in den Vororten, sondern vor allem in der Innenstadt könnten auch „ein solidarisches Zeichen“ sein.

„Was sich am Ende des Jahres als dauerhaft gute Idee herausstellt, kann in der nächsten Saison übernommen werden und so zu einer Bereicherung für alle werden. Aus den Herausforderungen, vor denen wir in der Krise stehen, müssen wir Lösungen für eine Belebung aufzeigen, die die Menschen vielleicht auch nach Corona nicht mehr missen wollen“, so Andes-Müller abschließend.