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Initiative des Monats: Saatgut-Initiative, Blücherstraße 46 / Luisenstraße 19

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Samira Schulz.

„Ochsenherz“, „Goldene Königin“, „Moneymaker“, „Black Cherry“, „Berner Rose“: Hinter diesen fantasievollen Namen verbergen sich alte Tomatensorten. Sie sehen nicht unbedingt so aus wie die Supermarkttomaten, die meist einheitlich rund und rot sind und nicht immer so aromatisch schmecken: Die alten Sorten sind gelb oder gestreift, schwarz oder violett. Sie sind geformt wie Paprikaschoten, wachsen an Rispen oder haben unregelmäßige, segmentierte Früchte. Eine große Vielfalt, die – wie generell bei Blumen-, Kräuter und Gemüsesamen – zu schwinden droht, die es aber zu erhalten lohnt. In Wiesbaden hat sich die „Saatgut-Initiative“ dieses Anliegen auf die Fahnen geschrieben.

Tütchen nehmen, Tütchen geben

2017 fanden sich einige Interessentinnen im Umweltladen zusammen und beschlossen, Saatgut – nicht nur von Tomaten – zu sammeln, zu tauschen und in zwei Boxen öffentlich zur Verfügung zu stellen. „Es sollte eine nicht kommerzielle Aktion sein“, sagt Bettina Lehmann, eine der Initiatorinnen. Die beiden Boxen stehen im Umweltladen (Luisenstraße 19) und im „Infoladen“ in der Blücherstraße 46. Die dortige ist gerade „restauriert“ worden. Bunt bemalt steht sie frei zugänglich vor dem Laden und lädt dazu ein, eigene Samentütchen zu platzieren oder – je nach Angebot – welche mitzunehmen.

Samenfeste sollen´s sein

Um welches Saatgut geht es hier? „Samenfeste Sorten“, erklärt Bettina Lehmann. Das bedeutet: Nicht die im Fachhandel meist erhältlichen „F1-Hybriden“, sondern vorzugsweise selbst geerntete Samen oder solche aus dem Bio-Handel wie zum Beispiel von „Bingenheimer Saatgut“. Der Unterschied: Bei F1 gekennzeichnetem Saatgut Hybrid-Züchtungen werden zwei Sorten gekreuzt, bei sortenreinen „Eltern“ erhält man in dieser ersten Generation einheitliche Nachkommen. Oftmals werden in der Natur nicht vorkommende Inzuchtlinien erzwungen oder im Labor sogenannte CMS-Hybriden geschaffen.

Hybride gefährden Vielfalt

Durch das große F1-Angebot werden traditionelle samenfeste Sorten verdrängt. Dabei geht ein großer Reichtum genetischer Ressourcen verloren. Für die Vielfalt sind also samenfeste Sorten die eindeutig bessere Wahl. Eine Sorte wird als samenfest bezeichnet, wenn sie ihre deutlich sichtbaren Sorteneigenschaften zeigt und diese stabil zur nachfolgenden Generation weitergibt. Voraussetzung für eine stabile Weitergabe ist allerdings eine saubere Selbstbestäubung: Es darf während der Blüte zu keiner Fremdbestäubung kommen.

Ob das im eigenen Garten immer so ganz exakt zu verwirklichen ist, bleibt dahingestellt – aber Samen zu tauschen ist auf jeden Fall eine spannende Sache und fördert auch den Spaß am Gärtnern. So wie bei Bettina Lehmann. Von Hause aus Juristin, ist sie in ihrer Freizeit nicht nur mit anderen in einer Kleingartenparzelle, sondern auch im „Tatengarten“ in Alt-Klarenthal aktiv ist. Dieser Garten bietet gemeinsames Gärtnern und natürlich auch Ernten nach ökologischen Prinzipien an und arbeitet als Bürgerinitiative auch mit der angrenzenden EVIM-Schule „Campus Klarenthal“ zusammen. Das gefällt nicht nur Bettina Lehmann, die die „Saatgutinitiative“ als sinnvolle Ergänzung sieht.

Tauschgedanke und lebenslanges Lernen

Auch der Tauschgedanke und die Idee des lebenslangen Lernens finden hier ihren Niederschlag. Und nicht zuletzt erhält man so nicht nur die Arten- sondern auch die Geschmacksvielfalt: Wer mal die Gewächshaustomaten aus Holland mit alten Sorten verglichen hat, weiß, was gemeint ist. Alte Sorten seien auch resistenter, zögen weniger Schädlinge an, brauchten weniger Dünger, weiß Lehmann – nur Vorteile hat das eigentlich, und sogar auf dem Balkon lassen sich solche Experimente machen. Auch Blütenpflanzen, nicht nur Nutzpflanzensamen, seien in den Boxen willkommen. „Wir schauen schon mal durch, aber verlassen uns auch auf die Leute, die da etwas hineinlegen.“ Es gibt auch Treffen der bis jetzt kleinen Saatgut-Initiative – im Augenblick coronamäßig etwas eingeschränkt – aber man hofft auf die kommende Gartensaison. Vielleicht könne man auch Exkursionen oder andere Veranstaltungen anbieten. Bei Umweltmessen ist die Initiative auch oft mit einem Stand vertreten. „Da interessieren sich immer sehr viele Leute“, berichtet Bettina Lehmann.