Von Hendrik Jung. Fotos Kai Pelka.
Obwohl die Schlaraffia Wiesbadensia seit knapp 133 Jahren existiert, dürfte der Verein den meisten unbekannt sein. Dabei steht ihre Burg interessierten Männern mit unbescholtenem Lebenswandel immer offen.
Man kann es nicht anders sagen: Es handelt sich um eine Parallelgesellschaft. Sie sprechen eine eigene Sprache, folgen eigenen Riten, verneigen sich vor ausgestopften Uhus, die ihnen als Zeichen höchster Weisheit gelten und tauchen nicht in der Öffentlichkeit auf, sondern treffen sich in ihrem Versammlungsraum, den sie Burg nennen. Dort hängen an den Wänden die bunten Wappen und hölzernen Schwerter von einigen der derzeit 55 Reychs-Sassen der Schlaraffia Wiesbadensia. Ihre mit unzähligen Ansteckern, aber auch Weinkorken und anderem Nippes verzierten Umhänge nennen sie Rüstung. Zur 3.655ten Sippung seit der Reychsgründung am 6. März 1882 ist zwar nur knapp ein Drittel von ihnen erschienen. Dafür sind jedoch insgesamt elf Gäste aus den benachbarten Reychen Moguntia (Mainz), Aula Regia (Ingelheim), Lympurgia (Limburg) und Tarimundis (Darmstadt) sowie aus Dresden eingeritten.
„Das eigene Reych bewaffne sich und bilde eine hohle Gasse“, fordert der für ein Jahr gewählte Oberschlaraffe Süperb der Elbling die Gastgeber auf, um den Gästen den standesgemäßen Empfang zu bereiten. „Das ist alles mit einem Augenzwinkern zu betrachten“, erläutert Ritter AlbaTross der Schwungvolle, der ebenfalls zu den drei Oberschlaraffen gehört. Den Mitgliedern des 1859 in Prag ins Leben gerufenen Freundschaftsbundes geht es um Kunst, Freundschaft und vor allem Humor. Dass sie dabei in der Lage sind, sich selbst auf die Schippe zu nehmen, zeigt bereits ihr Motto „In arte voluptas“. Nicht weil das „In der Kunst liegt Vergnügen“ bedeutet, sondern weil die lateinische Sprache bei den Schlaraffen sonst fast gar keine Bedeutung hat. Im Gegenteil: Bis auf eigene Ausdrücke wie „Lulu“ für „Hallo“ bedienen sie sich selbst bei Eigenkreationen ansonsten stets der deutschen Sprache. So steht der Burgschreck für die Schwiegermutter oder das Wimmerholz für die Violine.
Weltweit verbreitetes Schlaraffentum
Das Schlaraffentum ist denn auch überall auf der Welt verbreitet, wo sich Deutsche befinden. Weit mehr als 400 Reyche sind weltweit bereits gegründet worden, lediglich etwa die Hälfte davon ist noch aktiv. Das liegt daran, dass die humoristische Parallelgesellschaft Diktaturen wie Nazi-Deutschland oder der DDR gefährlich erschien. Nach deren Untergang mussten daher viele Reyche neu gegründet werden.
Anders in Wiesbaden, das die Reychs-Nummer 42 trägt. „Hier ist in der Nazizeit im Geheimen weiter gesippt worden“, erläutert Ritter Spinnweb. Diese wöchentlichen Treffen finden nur im Winterhalbjahr zwischen Oktober und April statt. Etwas länger als der Karneval also, aber dennoch stets zur Fastnachtszeit. Nicht die einzige Parallele, die zwischen den beiden Bewegungen existiert. So ist das Schlaraffentum zwar etwas jünger, aber genau wie die moderne Mainzer Fastnacht ein Kind des 19. Jahrhunderts. Was dort die Bütt ist, ist hier die Rostra, ein Begriff, der schon im römischen Reich für eine Rednerplattform gebraucht worden ist.
Politik, Religion und Geld sind tabu
Es gibt aber auch entscheidende Unterschiede. Themen wie Politik, Geld oder Religion etwa bleiben bei den Sippungen außen vor. „Da wird nicht drüber gefechst, um niemanden zu verletzen“, erläutert Junkermeister Ritter Plüsch dem Plum sein Freund. Er betreut den Nachwuchs des Vereins, denn wer ein Ritter werden will, muss zunächst als Prüfling aufgenommen werden und dann jeweils ein Jahr regelmäßig als Knappe sowie als Junker an den Sippungen teilnehmen. „Als der Karneval immer mehr Kommerz geworden und ins Fernsehen gekommen ist, hat sich das ziemlich getrennt, weil die Schlaraffen nicht in die Öffentlichkeit gehen“, erläutert der aus Moguntia (Reychs-Nummer 45) eingerittene Ritter Bengel. So bleiben die zum Teil geschliffenen Vorträge dem erlauchten Kreis der Sassen vorbehalten. Zu Jahresbeginn widmen sie sich diesmal dem Thema „Grog und Co“. „Weht der Wind von vorn, trinkt der Seemann Korn. Weht der Wind von Seiten, lässt er sich zu Köm verleiten. Bukasso hebt bei Ostwind stets ad hoc, einen schönen, heißen Grog“, trägt etwa Ritter Bukasso vor. Andere präsentieren Zauberkunststücke, spielen Wimmer- oder Minneholz (Gitarre) und singen Lieder wie Freddy Quinss „Mary Ann“ oder fechsen selbst Geschriebenes. Auch wenn sie dafür an diesem Abend mit einem Grog belohnt werden, geht es den Sassen dabei in der Hauptsache jedoch um geistiges Schlaraffentum.
Wer die Schlaraffia Wiesbadensia kennen lernen möchte, kann sich unter 0611/1840278 oder info@wiesbadensia.de an Wolfgang Sturm wenden. Weitere Informationen unter www.wiesbadensia.de
Herrn Andreas Lederer
Der Artikel ist grundsätzlich in Ordnung.
Die Bezeichnung „Parallelgesellschaft“ und insbesondere die Formulierung „irrer Geheimbund“ erfordern meiner Meinung Ihrerseits eine entschuldigende Richtigstellung!!!
Hier steht kein Wort von „irrem Geheimbund“. Das hat der Münchener Merkur am 10. Februar geschrieben.