Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Samira Schulz.
Es ist ein Hinterhof mit Charme: Wilder Wein rankt sich an der Ziegelfassade in die Höhe, es gibt Kübel mit Pflanzen, die Fenster der Gebäude haben mit ihren Fensterkreuzen noch die Anmutung vergangener Zeiten. Das niedrige Hinterhofgebäude war einmal eine Sarg-Schreinerei, später eine Fliesenwerkstatt. Seit vielen Jahren wird es von Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlichster Disziplinen bespielt: Gesang, Musikunterricht, Schauspiel, Malerei, Tanz, Performance – Unterricht, Proben, Lager. Damit ist aber Ende dieses Jahres Schluss.
Ähnlich wie beim „Winzerstübchen“, dem Dichterviertel-Kultlokal in der unweit gelegenen Arndstraße, hat auch hier ein Investor das Gebäudeensemble gekauft. Auf den Brief der Künstler:innen, die um ihre Räume fürchteten, hat er laut deren Schilderung einfach überhaupt nicht reagiert. Also sind die fünf Kulturschaffenden aktuell auf Suche nach neuen Räumlichkeiten – mit unterschiedlichem Erfolg.
Malen, Tanzen, Musizieren
Natürlich finden alle schade, dass sie sich jetzt „trennen“ müssen. Auch wenn hier keine „eingeschworene Clique“ zerbricht, so seien die letzten Jahre doch von einem herzlichen, kooperativen Miteinander geprägt gewesen. Der Raum mit den Oberlichtern im Parterre war hervorragend als Mal-Atelier für Anna Bieler und Bernd Schneider geeignet, in einem weiteren Raum hatte sich Mareike Buchmann Platz zum Tanzen geschaffen – auch zum Beispiel für „Kreatives Bewegungsforschen“ mit drei- bis fünfjährigen Kindern. Und das Musikerpaar Britta Röscher (Querflötistin) und David Eggert (Gitarrist) konnten im oberen Stockwerk unterrichten und proben – coronagerecht mit Plexi-Schutz und guten Möglichkeiten zum Lüften.
Während Bieler und Schneider bereits in Biebrich neue Atelierräume gefunden haben, sucht Mareike Buchmann noch, will sich vielleicht in Tanz – oder Yogastudios stundenweise einmieten. Am schwierigsten ist es für die Musiker, denn die verursachen in Ausübung ihrer Tätigkeit natürlich akustischen Output, den nicht alle potenziellen Nachbarn tolerieren würden. Ohne Wermutstropfen geht es auch nicht bei den bildenden Künstlern ab, denn die Räume in Biebrich kosten gut das Doppelte an Miete.
Auch öffentliche Nutzung
Der ehemalige Vermieter in der Jahnstraße habe die Kultur auch gerne durch den günstigen Mietpreis fördern wollen, berichtet die Gruppe, die sich jetzt auf dem freien Markt bewegen muss. Es war nicht nur Arbeitsplatz, sondern Kulturstätte – als Schauplatz etwa von „Wiesbaden tanzt“, „Tatorte Kunst“ oder auch einzelner kleiner Veranstaltungen wie Schüler- und Lehrerkonzerten des „Wiesbadener Musiklehrernetzwerks2.0“, in dem Roscher und Eggert engagiert sind. Auch das GOJ-T-A-TR mit seiner Leiterin Christine Diez probte hier gerne.
„Immer mehr solcher kleinen Kultur- und Trefforte gehen verloren“, beklagen die Künstler, die dabei nicht nur ihre eigenen Probleme im Kopf haben, sondern auch die gewachsenen Strukturen urbaner Aufenthaltsqualität. Eine „Erhaltungssatzung“ täte not, das wurde auch bereits in der „Causa Winzerstübchen“ oft gefordert.
Marktübliche Mieten für Kulturschaffende unbezahlbar
Doch eine solche scheint, auch wenn das Thema nun verstärkt auf der lokalpolitischen Agenda auftaucht, nicht in Sicht. Die Wohnungsinvestoren haben freie Bahn. „Das bedauert auch das Kulturamt“, sagt Britta Roscher. Nur könne auch dieses den Künstlern keine passenden Alternativen anbieten. Diese sind somit ziemlich auf sich selbst gestellt. „Mir geht es auch nicht um ein großes Klagelied“, meint Britta Roscher, „aber ich finde es schade, dass eingesessene, funktionierende Kooperationen zunichte gemacht werden.“ Sie stellt klar: „Gerade wir freien Kulturschaffenden können uns auf dem freien Markt kaum behaupten. Die Mietpreise, die teilweise aufgerufen werden, können wir einfach nicht bezahlen.“ Dass Mietpreise wie ihre aktuellen – 670 Euro für 150 Quadratmeter Gewerbefläche – für die Zukunft illusorisch sind, ist ihnen wohl auch klar.
Das Haus in der Jahnstraße 8 wurde laut Wiesbadener Kurier dem in Wiesbaden ansässigen Unternehmen „GN Grundstückshandel OHG“ erworben. Telefonische und schriftliche Fragen der Kollegen zum Objekt und den Plänen für einen aktuellen Beitrag blieben unbeantwortet.
Hoffen auf wohlgesonnene Vermieter
Vielleicht, so hofft sie, werde ja ein wohlgesonnener Vermieter aufmerksam, der Lust hätte, Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Solche nicht nur optimal passenden, sondern auch bezahlbaren Räume wie jene in der Jahnstraße verlässt man ungern, aber die Würfel scheinen gefallen. Nach Biebrich möchte das Musikerpaar nicht mitgehen, obwohl dort Platz wäre: „Da kommen die Schüler einfach nicht hin“, sagt Britta Roscher, die aus Erfahrung spricht. Für sie seien Räume in der Innenstadt wichtig. Die Suche geht weiter.
Aus für drei Wiesbadener Kultlokale
Endgültig besiegelt ist das „Aus“ für das „Winzerstübchen“ zum 3. Dezember. Nach einem zwischenzeitlichen Hoffnungsschimmer durch ein erneutes Gespräch zwischen Pächterin und Investor mit sachten Signalen möglicher Verständigung, verkündete Wirtin Beate Arthen das „Rien ne va plus“. Während sie sagte, sie wolle sich nicht vor den „Gentrifizierungskarren“ spannen lassen, reklamierte Franconofort-Vorstand Christian Wolf, er sei der Wirtin in neuen Angeboten weit entgegengekommen.
Bestätigt wurden mittlerweile auch die Gerüchte, dass das „Finale“ in der Emser Straße zum Jahresende schließt. Auch hier reagierte die Vermieterin auf Darstellungen des Wirts und verwies auf erhebliche Mietrückstände und seit langem unkooperatives Verhalten mit unzumutbarem Lärm. (Veranstaltungstipp: Am 11.12. um 20.30 Uhr liest hier Falk Fatal.) Und noch ein Wiesbadener Traditionslokal muss raus. Nach 42 Jahren in der Adolfsallee wurde der Mietvertrag für das „Sherry & Port“ nicht verlängert. Am 1. April 2022 gehen hier die Lichter aus. Trostpflaster für diesen Wermutstropen: Die beliebte „Caspar Garten“-Außengastronomie rund um den schönen Brunnen kann die Familie Royko weiterbetreiben. Und im laufenden letzten Winter heißt das Sherry & Port seine Gäste voller Freude willkommen.
Das sind so große Verluste!! –
Wer wie ich seit Jahrzehnten in Wiesbaden lebt und in der „Kultur“ sehr aktiv war, kann sie nur beklagen!!
Die einschlägigen Gremien und Ämter der Stadt sollten sich intensiv
kümmern, um wirksame „Lösungen“ zu finden, damit die doch absehbaren Auswirkungen wenigstens teilweise verhindert oder abgemildert werden!!!