Direkt zum Inhalt wechseln
|

Ruhe da oben! Der Lockdown und die liebe Nachbarschaft – und wie Mediatoren zur Versöhnung verhelfen können

Katharina Dieterle, Illustration Jan Pieper.

Zuhause bleiben steigert den Stress: Wenn Nachbarn streiten, können Mediatoren bei der Versöhnung helfen.

Keine zwölf Stunden, nachdem im März der Corona-Lockdown ausgerufen wurde, hatte Lena S. Aufkleber aus Filz im Briefkasten – vom Nachbarn. Er sei jetzt im Home-Office, da störe es schon, wenn die Kinder ständig Stühle von A nach B schöben. Er müsse schließlich telefonieren.

Bei anderen Familien beschwerten sich die Nachbarn während Kita- und Schulschließungen täglich über zu viel Lärm. Erziehungstipps, wie man seine Kinder am Rennen, Hüpfen und Toben hindern könne, gab es inklusive. Aber auch zwischen Erwachsenen gab es Stress, als auf einmal alle zuhause waren: Musik zu laut, Sex zu laut, schon wieder Grillgeruch auf dem Balkon. Der Lockdown verlangte den Menschen in der Stadt einiges ab. Im Herbst, wenn wir wieder mehr drinnen sind, wird das bestimmt nochmal Thema. Barbara Rosenbaum und Tobias Dech begleiten streitende Parteien, unter anderem auch Nachbarn, als Mediatoren.

Als Mediatoren kennen Sie sich aus mit Nachbarschaftskonflikten. Erzählen Sie uns von Ihrem härtesten Fall?

Barbara Rosenbaum: Bei Nachbarschaftskonflikten geht es immer hart zur Sache, da die Parteien sich nicht aus dem Weg gehen können. So wie in jüngster Vergangenheit in einem Zweifamilienhaus, in dem eine ältere Dame und eine Familie mit neun Kindern wohnten. Die ältere Dame pflegte mit sehr viel Geduld ein Pfirsichbäumchen – das beim Fußballspielen immer wieder erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Da kam natürlich Ärger auf und die Wortwahl eskalierte.

Konnten die Parteien sich einigen? Was hat ihnen geholfen?

Barbara Rosenbaum: Nach einer zweistündigen Mediation, bei der auch die Kinder anwesend waren, einigte man sich darauf, einen Maschendrahtzaun um das Bäumchen zu ziehen und abseits Fußball zu spielen. Die Kinder versprachen sogar, beim Gießen zu helfen.

Was kann man vorsorglich tun, wenn Stress mit den Nachbarn sich anbahnt?

Tobias Dech: Zunächst hilft es, tief durchzuatmen und den Fokus darauf zu lenken, dass der Nachbar mich in der Regel nicht ärgern will. Wahrscheinlich hat er Gründe für seinen Ärger, die ich noch nicht verstehe. Gerade in Zeiten, in denen die Menschen viel zuhause bleiben müssen, steigt der Stresspegel. Danach sollte ich mir überlegen, was ich mir von meinem Nachbar wünsche – und dies in einer ruhigen Situation ohne Vorwürfe ansprechen. Präventiv kann man auch regelmäßige Treffen initiieren, um die anderen Parteien im Haus besser kennen zu lernen.

Und wenn der Streit schon in vollem Gange ist? Zu welchen Schritten raten Sie?

Tobias Dech: Ruhe bewahren! Schließlich lebt man gemeinsam unter einem Dach und das vermutlich auch längerfristig. Wenn die Sichtweisen zu unterschiedlich sind und der Streit für alle unangenehm ist, lohnt es sich, einen Mediator hinzuzuziehen. Bis dahin: Kein weiteres Öl ins Feuer gießen und versuchen, emotionale und stressbedingtes Verhalten konsequent nicht auszuleben. Das ist zwar anstrengend, erhöht aber die Chance, eine tragbare Lösung für alle zu finden.

Wie teuer ist eine Mediation und wer übernimmt die Kosten?

Barbara Rosenbaum: Die Stundensätze richten sich nach dem Umfang der Mediation und werden von den Parteien anteilig gezahlt. Wir können bei der Berechnung auch Rücksicht auf die jeweilige finanzielle Situation nehmen. Teilweise übernehmen Rechtsschutzversicherungen einen Teil der Kosten.

Wieviel Sinn machte es, Dritte mit einzuschalten. Zum Beispiel den Vermieter, die Hausverwaltung oder andere Nachbarn?

Tobias Dech: Hier ist Vorsicht geboten. Konflikte ziehen oft unschöne Kreise. Wenn sich zum Beispiel mehrere Nachbarn zusammenschließen und sich in ihrer Sichtweise auf die Gegenseite bestärken, kommt man aus der Nummer nicht mehr ohne Gesichtsverlust heraus. Die Hausverwaltung zu informieren macht Sinn, wenn man bereits auf der Suche nach einer Lösung ist. Oft erhält man von ihr noch zusätzliche Unterstützung.

Wie hoch ist ihre Erfolgsquote?

Barbara Rosenbaum:  Wenn Nachbarn schon seit langem streiten, geht eine Lösung nicht von heute auf morgen. Dennoch liegt unsere Erfolgsquote bei 95 Prozent – was sicher daran liegt, dass der Friedenswillen und das Interesse an einer fairen Lösung Voraussetzung für eine Mediation ist. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich in den Mediationen scheinbar sehr unterschiedliche Sichtweisen langsam, aber stetig annähern.

Berichten Sie uns zum Schluss noch von Ihrer schönsten Versöhnung?

Barbara Rosenbaum: Wenn Menschen sich in die Augen schauen und such zur Versöhnung die Hand reichen, sind das immer tolle Momente. Unsere schönste Versöhnung war sicher die „Pfirsichbäumchen-Mediation“.

Barbara Rosenbaum ist Fachanwältin für Familienrecht, mehrfach zertifizierte Mediatorin und gründete 2008 die Firma Mediatorum in Wiesbaden. Seit 2010 arbeitet sie mit dem Diplom-Pädagogen, Mediator und Coach Tobias Dech zusammen, um neben den juristischen Problematiken auch emotionale Konflikte besser verstehen und begleiten zu können. www.mediatorum.de