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Schön rotzig – und: Action! Marc Jung malt Wildes mit der Dose / sensor-Interview zur „Kurzen Nacht“

Von Dirk Fellinghauer. Fotos Marc Jung, Dirk Fellinghauer, Jason Sellers/ fwdbound.

Das verabredete Interview muss ein paar Stunden nach hinten verschoben werden. Vom Vormittag auf den Nachmittag. Marc Jung braucht noch eine Ladung Schlaf. Er ist erst nachts aus Manchester zurückgekehrt – spontaner Kurztrip zum Champions League-Spiel des RB Leipzig. Seine alten Ringerfreunde hatten Tickets gekauft, da ist er halt grad mitgefahren. Nachts von Wiesbaden aus, wo sonntags seine neue Ausstellung eröffnet wurde, nach Köln, ab in den Flieger, und: Action! Spontan, rasant, ungestüm, gut drauf – so ist er, dieser Marc Jung, und so erscheint auch seine Kunst.

Am Telefon meldet der Erfurter sich dann zum verabredeten verschobenen Termin ausgeschlafen und bester Laune. „Ein cooler Trip“ sei nicht nur der nach Manchester, sondern davor auch der nach Wiesbaden gewesen – zur Vernissage seiner Ausstellung „Made in Heaven“ im Rahmen des Deutschen FernsehKrimi-Festivals. Diese ist noch bis 13. April in der SV Atrium Galerie zu sehen – und damit auch bei der „Kurzen Nacht der Galerien und Museen“ am 1. April. Geschaut werden kann dann von 19 Uhr bis Mitternacht.

Bild-Erklärungen im Halbstunden-Takt

Marc Jung reist – diesmal direkt aus Berlin, wo er heute zur Premiere der „Freakshow“ seines Kumpels Till Lindemann (genau, der Rammstein-Sänger) eingeladen ist –  eigens nochmal an dafür, und wird dann nicht nur rumstehen, sondern auch über sich und seine Kunst erzählen. Im Halbstundentakt jeweils 10 Minuten zu einem Bild nach dem anderen etwas erklären, das ist der Plan. „Oh ja – wenn sie das gesagt hat, bin ich dazu verdonnert“, reagiert der Künstler lachend auf die entsprechende Frage. Er wusste noch gar nichts davon, freut sich aber drauf. „Sie“ ist Verena Titze-Winter, und die ist bei der SV Sparkassen Versicherung verantwortlich für Kulturförderung & Soziales Engagement. Sie und er haben sich schon 2014 kennengelernt, da war Marc Jung Thüringer Landesstipendiat des Unternehmens.

„Sie“ hat auch den Titel der Veranstaltung festgelegt, verrät der Künstler: „Das war der Wunsch von Frau Titze – sonst bin ich ja auch immer weit vorne mit Titeln, aber diesmal hatte ich mir noch keinen ausgedacht, und da hat es ja auch gut gepasst.“ Es sei „auch ein bisschen witzig gemeint“, weil das Motiv mit dem Teufel optisch das Gegenteil zeige, und es habe halt auch thematisch zum FernsehKrimi-Festival gepasst. Die Schau zeigt „einen Mix aus Arbeiten vor allem der letzten ein, zwei Jahre – vor allem großformatig, weil es sich in dem Raum anbietet mit den hohen Wänden“.

Malerei trifft Neonlicht

Die titelgebende neueste Neonarbeit (Foto oben) sei auch gleichzeitig die bisher größte, in der seine Malerei mit Neonlicht kombiniere. Seine Kunst hängt in der noch oben weit offenen Ausstellungshalle nicht nur an den Wänden. Ein Objekt – „Vendetta Ghost“ – steht, mit Ausmaßen von 245 x 120 x 100 cm, frei im Raum. „Ich versuche immer, so viel wie möglich zu mixen“, erklärt er die Zusammenstellung der Ausstellung.

Viel Dose und etwas Öl – die besondere Vorgehensweise

Marc Jungs Kunst wirkt spontan, wie eingangs erwähnt, sie ist es aber natürlich nur teilweise. Seine Vorgehensweise, mit der er zu einem der gefragtesten und erfolgreichsten deutschen Maler der jüngeren Generation wurde, beschreibt er so:

„Ich kann nicht so die klassische Ölmalerei machen, wo ich sehr lange an irgendwelchen Bildern festhänge, mit langer Trocknungsphase und all dem. Ich komme aus dem Graffiti, deshalb arbeite ich viel mit Sprühdosen.

Am Anfang mache ich eine klassische Vorzeichnung, aus einer Skizze heraus, die ich im Notizbuch habe oder auch spontan anfertige, dann wird das Bild umgesetzt mit der Dose, auch die Schattierung, die ganzen Hintergründe, eigentlich alles kommt aus der Sprühdose. Am Schluss erst kommen noch Spachtelelemente dazu, das ist das einzige, wo ich Öl nehme. Vorher male ich eigentlich schön und sauber und dann versuche ich, es mit Öl nochmal etwas aufzubrechen und meinen eigenen Style da reinzubringen, damit es nicht so beliebig ist. Ich will dann noch rotzige Straßenkultur reinbringen – Öl reinspachteln, damit das Schöne Risse bekommt. Am Ende umrunde ich das Ganze nochmal mit Acryl aus der Tube , um es abzusetzen von dem Hintergrund. Ganz zum Schluss kommen aus der Sprühdose letzte Elemente drauf, wirklich nur so Tropfen, als letzter Schliff, das geht dann in Richtung Action Painting.“

Vom Zweifel zum Erfolg

Am Anfang habe er nicht gewusst, ob seine „mixed media“ in der Kunstwelt Anklang finden und akzeptiert werden würde.  „Ich habe dann recht lange meinen Weg gesucht“, berichtet der 37-Jährige: „Heute verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Graffiti viel häufiger und selbstverständlicher, damals war das noch schwieriger.“ Auch als längst Etablierter ist es für ihn bis heute keineswegs ausgemachte Sache, dass er mit seinem künstlerischen Tun jederzeit den richtigen Weg findet. Im Interview sagt er, wenn er von seiner Arbeit erzählt, nicht „ich mache …“, sondern „ich versuche …“.

Dass sein Stil aber längst sehr wohl Anklang findet, zeigt sich an der Aufmerksamkeit, an der Nachfrage und natürlich an den Preisen – für die in Wiesbaden ausgestellten Werke mit Titeln wie „Like A Prayer“, „Haisociety“, „No Excuses“ oder „Tränen im Tesla“ liegen sie zwischen 7500 und 20.000 Euro.

Laute Musik muss sein beim Malen

„Ich mache so viel wie möglich am Stück. Manchmal klappt es, am Tag ein Bild durchzuziehen, manchmal arbeite ich noch Tage oder Wochen daran“, schildert der frühere Ringer sein Arbeitspensum. Nach wie vor treibe er Sport und wolle deshalb nicht länger als bis 20 Uhr im Atelier sein. Corona habe das etwas verschoben, da war er nachmittags joggen und malte abends weiter. Und: „Ich habe hier in Erfurt ein neues großes Atelier mit Büros drumherum, da muss ich etwas Rücksicht nehmen.“ Der Grund: „Laute Musik muss sein beim Malen! Das spielt große Rolle, ohne Musik entsteht eigentlich gar nichts. Deshalb bin ich etwas in die Nachtarbeit reingerutscht.“

Besonders gerne hört er HipHop – „aber auch immer mal wieder was neues, zwischendurch ging es auch in die elektronische Musik, es kann auch 80er- oder 90er sein“. Oder natürlich Rammstein, mit denen er sich nicht nur über gemeinsame Projekte verbunden fühlt. „Ich mache ja  eher witzige Bilder – zwar ernste Themen, aber auch mit Selbstironie, nicht bierernst – so ist es auch teilweise bei der Musik von Rammstein“.  In Erfurt war Sänger Till Lindemann, neben Benedikt Braund und Moritz Schleime, auch beteiligt am Ausstellungs-(und Buch-)Projekt „Marc Jung & The Gang“.

„Streetfighter“ als Reaktion auf Ukrainekrieg

So vielfältig wie die Musik, die an sich schon in seine Kunst einfließt, sind Marc Jungs Inspirationsquellen. „Kunst ist für mich wie der Trichter eines überdimensionalen Fleischwolfs, der den täglichen Wahnsinn aufsaugt und ihn verwurstet“, sagt er, der sich als Beobachter versteht. Ein Beobachter, der plakative Bilder malt, die aber ohne plakative Botschaften auskommen und dabei trotzdem eine starke Aussagen – oder wie er es sagt, „eine gewisse Grundhaltung“ – haben: „Wenn mich politisch etwas umtreibt, kommen dazu auch entsprechende Bilder – zum Beispiel `Streetfighter´ (Bild) habe ich anlässlich  des Ukrainekrieges gemalt. Es muss nicht alles total politisch aufgeladen sein, aber es kommt schon vor, dass ich mich an extremen Einzelsituationen abarbeite.“

Die zwei Seiten der Marc-Jung-Medaille

Genauso strotzen Marc Jungs Bilder aber auch vor Spaß, Ironie und Witz. Die herrlich dreckige Lache, die beim Interview mehrmals durchs Telefon schallt, dringt auch aus vielen seiner Bilder. Mitunter derber Humor, grelle Farben, wilde Formen, comicartige Anmutung – das ist nur die eine Seite der Marc-Jung-Medaille. Die andere sind besondere Beobachtungsgabe, sensibles Gespür und eben auch ein feiner und nach Studium in Weimar, Wien und Dresden buchstäblich meisterhafter (Sprüh-)Strich.

Der Künstler saugt auf Schritt und Tritt Eindrücke auf, die sich später in Bildern, oder Bildtiteln, wiederfinden könnten. „Ich habe ganz oldschool ein kleines Notizbuch dabei, wo alles reingeschrieben wird, was mir einfällt oder was ich aufschnappe, oder wo ich auch kleine Skizzen reinzeichne.“ Längst hat er einige vollgeschrieben: „Ich sammle auch die Notizbücher. Die werden dann auch zwischendurch mal wieder durchgearbeitet, ob ich da noch was in der Pipeline habe“.

Festnahme mit Folgeauftrag

Marc Jungs Wurzeln liegen in der Subkultur. „Ich habe wie jeder Graffitikünstler angefangen, illegal zu malen und wurde auch schnell festgenommen“, berichtet er: „Daraus entwickelte sich dann aber der erste Auftrag, für eine Wohnungsbaugenossenschaft – für die habe ich als Wiedergutmachung gemalt.“

Er selbst wird noch gefeiert als „junger Künstler“, dabei ist er schon ein alter Hase. Interessiert er sich für heute junge Kollegen, hat er gar einen Entdecker-Tipp? Nicht so wirklich: „Ich gehe selbst gar nicht so krass in Ausstellungen. Ich schaue mir viel durch bei Instagram, auch andere Künstler. Sei es nur eine Farbkombination oder Werbung – das kann alles Input für mich sein. Es gibt viele andere coole Leute, aber den neuen Hype, den heißen Tipp, habe ich jetzt nicht auf Lager.“ Der Künstler selbst ist auf YouTube wie auch auf Instagram äußerst aktiv – lässt seine Follower intensiv teilhaben an seinem rasanten heute-hier-morgen-da-Leben. Seinen ersten Trip nach Wiesbaden hat er in einer umfangreichen „Made in Heaven“-Story verewigt – und in einem coolen YouTube-Clip:

Die Liste seiner eigenen Lieblingskünstler sei überschaubar, sagt der Liebling vieler Kunstinteressierter und Sammler: „Es gibt ein paar, die ich geil finde, und die finde ich echt superkrass. Die kann ich mir nicht leisten.“ Da ist sie wieder, diese Lache. Adrian Ghenie nennt er – „ein Rumäne, der schon lange in Berlin ist, der ist als Superstar unterwegs. Er macht so einen geilen Mix, das macht richtig Spaß.“

Noch keine Wiesbaden-Notizen im Oldschool-Büchlein

Spaß hat Marc Jung auch sein erster Wiesbaden-Aufenthalt gemacht, zum Besuch seiner Ausstellungseröffnung und des FernsehKrimi-Festivals. Eindrücke von der Stadt hat er da wegen des straffen Zeitplans „leider noch gar nicht“ bekommen. Es gab noch einen kurzen Ausflug in den Rheingau – „interessant, dass man da so schnell in den Weinbergen ist, das war ja nochmal komplett ein anderer Eindruck“. Entsprechend finden sich auch noch keine Notizen oder Skizzen „made in Wiesbaden“ in seinem Oldschool-Büchlein.

Dafür kann er sich dann die Anfänge des Wiesbadener Graffitifestivals erinnern, das als „International Wall Street Meeting“ rund um den Schlachthof begann und heute längst nicht mehr nur in Wiesbaden (in diesem Jahr vom 14. bis 18. Juni rund um den Brückenkopf Kastel), sondern auf der ganzen Welt als von Wiesbaden aus organisiertes „International Meeting of Styles“ gefeiert wird: „Ja klar, das kennt man. Ich bin ja nicht mehr superkrass in der Graffitiszene drin, aber das ist ja krass groß geworden auch international.“ Zur Diskussion um die Strafbarkeit von Graffiti meint er: „Wenn es legal wäre, wäre der Nervenkitzel weg. Das ist ja auch Teil der ganzen Action. Von mir aus kann das alles so bleiben, wie es ist, und jeder soll sein Ding machen, wie er Bock hat.“

Und worauf hat er als Künstler als nächstes Bock? „Ich hatte zuletzt mit diversen Ausstellungen so viel zu tun, dass ich noch gar nichts Neues gemacht habe. Jetzt fange ich erst langsam wieder an, ins Atelier zu gehen und frische Luft zu schnappen und darüber nachzudenken, in welche Richtung es jetzt weitergehen soll. Da steht noch nichts fest.“

www.jungmarc.com

Marc Jung: „Made in Heaven“, Ausstellung in der SV Atrium Galerie, Bahnhofstraße 69, bis 13. April, Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr, 1. April im Rahmen der Kurzen Nacht 19 bis 24 Uhr.