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So wohnt Wiesbaden: Itab Alzoubi, Flüchtlingsunterkunft Biebrich

ITAB_06Von Alexander Pfeiffer. Fotos Samira Schulz.

Wie das ist, sich eine neue, zweite Heimat unter großen Entbehrungen erarbeiten zu müssen, diese Erfahrung macht derzeit Itab Alzoubi. Die 33-Jährige ist im November 2015 aus dem vom Bürgerkrieg zerstörten Syrien geflohen. Seit drei Monaten lebt sie in Wiesbaden, in einer Containeranlage in Biebrich, zwischen Vorgärten und Industriegebiet. In dem kleinen Innenhof eine Rasenfläche, ein Sandkasten für die Kleinen, Tische und Bänke für die Großen. In dem Zimmer, das Itab mit ihrer Tochter Natali bewohnt, stehen zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle, ein Stahlschrank, ein Fernseher und ein Kühlschrank: Leben auf engstem Raum, Privatsphäre gibt es praktisch nicht.

„Wir haben kein Zuhause mehr“, sagt Itab. „Also müssen wir ein neues finden. Manchmal bin ich traurig, aber mein Leben muss irgendwie weitergehen. Ich muss stark sein, denn ich bin mit meiner Tochter hier, und sie verdient es, genauso wie andere Kinder aufzuwachsen.“ Die 9-Jährige geht in die nahegelegene Grundschule, und sie lernt schnell. An der Wand hängt die Urkunde, die sie für ihren 1. Platz beim Vorlesewettbewerb bekommen hat.

Nicht arm, nur vor dem Krieg geflohen

ITAB_04Ihre Mutter spricht sehr gut Englisch, hat in Damaskus in der Tourismusbranche gearbeitet und schon viel von der Welt gesehen. „Manche Leute glauben, wir kommen hierher, weil wir arm sind. Das sind wir nicht. Wir sind nur vor dem Krieg geflohen. Ein Flüchtling zu sein, heißt nicht dreckig und zerlumpt zu sein.“ Ihr Mann sowie der größte Teil ihrer Familie lebt noch immer in Damaskus. Regelmäßig telefoniert sie mit ihnen. Manchmal gibt es aber auch tagelang keinen Kontakt, weil Internet und Telefonnetz nicht funktionieren.

Ihre Schwester lebt seit 15 Jahren in Wiesbaden, hat hier studiert. Das hilft der Syrerin, sich heimisch zu fühlen. Außerdem erinnert Wiesbaden sie an manchen Orten an Damaskus. Die alten Straßenzüge mit Kopfsteinpflaster, die historischen Fassaden – all das ähnelt der Stadt, die drei Jahrzehnte lang ihre Heimat war. Nur die Gerüche fehlen, ITAB_15der Duft nach Jasmin und Gewürzen. „Ganz allgemein fühle ich mich verloren“, sagt Itab. „Ich bin praktisch bei Null.“ Die Hoffnung, irgendwann nach Syrien zurückzukehren, gibt es für sie nicht: „Alles, was zu meinem Leben dort gehörte, existiert nicht mehr. Ich war stolz auf die syrische Revolution, aber das Regime hat alles zerstört.“ Ein Cousin wurde im Gefängnis zu Tode geprügelt, die Straßen ihrer Kindheit in Schutt und Asche gelegt.

Ramadan als Ritual – ganz unreligiös

Itab ist nicht religiös, aber sie zelebriert den Ramadan, verzichtet auf jegliche Nahrung, nimmt nicht mal einen Schluck Wasser zu sich, bevor es draußen dunkel wird. Dann isst sie ITAB_19gemeinsam mit ihren Nachbarn. „Es ist ein Festival“, sagt sie. „Ich mag das Ritual, die Atmosphäre. Die romantische Geschichte dahinter.“ Überhaupt ist das für sie der deutlichste Unterschied zwischen Deutschen und Arabern: „Wir sind viel emotionaler als ihr. Bei uns ist alles extrem. Wir benutzen unsere Hände beim Sprechen. Wir weinen, wenn wir einen romantischen Film sehen. Wenn ich eure Sprache höre, kann ich oft gar nicht sagen, ob der Sprecher gerade traurig oder glücklich oder was auch immer ist. Es klingt alles sehr gleichförmig.“

Sie war auch schon in Darmstadt, in Frankfurt und in Mainz, aber dort hat es ihr nicht gefallen: „Man kann auch an einem Ort leben und keine Verbindung dazu aufbauen. Heimat hat auch nichts damit zu tun, wie viel Zeit man an einem Ort verbringt. Entscheidend ist das Gefühl.“ Und das scheint in Wiesbaden für sie zu stimmen. „Wer weiß“, sagt sie, „vielleicht werde ich nächstes Jahr schon Erinnerungen haben, die zu diesem Ort hier, zu Wiesbaden gehören.“