Von André Werner. Fotos Michael Zellmer.
Wer in Wiesbaden über Rock `n Roll spricht, der spricht auch automatisch über sie – The Blind Circus. Bekanntheit genießen die wilden Kerle schon lange weit über die Grenzen der hessischen Landeshauptstadt hinaus. Und auch, wenn in Städten wie Berlin, Hamburg und München sicherlich der Bär öfters mal die Steppschuhe anzieht: Die vier Jungs sind Wiesbaden immer treu geblieben. Naja fast, Drummer Max zog es nach Köln (Liebesgefühle), im Austausch zog dann aber Bassist Achim zurück nach Wiesbaden (Heimatgefühle). Geprobt und gerockt wird aber nach wie vor in der Heimatstadt – in dem Haus, in dem natürlich keiner wirklich wohnt, wo aber ganz viele ganz unterschiedliche Menschen leben und unzählige Stunden verbringen. Und sich entsprechend teilweise weit über das musikalische Equipment hinaus wohnlich einrichten.
The Blind Circus sind unsere freundlichen Gastgeber und unsere Türöffner. Wer ins Schlachthof-Probehaus will, muss nämlich erst mal reinkommen. Über eine Metalltreppe am Hinterhaus betritt man einen Flur, der erst mal wenig nach „Sex, Drugs & Rock´n´Roll“ aussieht, sondern einfach nur lang und grau erscheint. Ein paar leere Bierflaschen vor den einzelnen Räumen lassen dann aber doch erahnen, was hinter den schweren Metalltüren so getrieben wird. Also nichts wie rein in die laute Stube. Beim Betreten der 20-Quadratmeter-Songschmiede, in der auch Sofas und ein Kühlschrank stehen, bleibt einem erst mal die Luft weg. Der eine Grund dafür ist der phänomenale Ausblick aus dem großen Bullauge direkt auf die Gleise des Hauptbahnhofs. Der andere Grund ist, dass sich dieses tolle Fenster leider nicht öffnen lässt, was relativ schnell zu akutem Sauerstoffmangel führt. „Wir sind aber froh, dass es überhaupt ein Fenster gibt, die meisten Räume haben keins“ sagt uns Sänger Luca.
Egal, es wird trotzdem voll aufgedreht. Als Laie erlebt man tollen Sound, als Profi beklagt man den nackten Beton der Wände. „Ist halt nicht so gut zum Musikmachen“ verrät uns Gitarrist Ben. Nach vier Stücken verlangen die Lungen nach frischer Luft, oder aber auch einfach nach einer Zigarette, denn im Probenhaus herrscht striktes Rauchverbot. Was zunächst spießig daher kommt, führt aber auch dazu, dass man schnell mit den anderen „Bewohnern“ des Hauses, also den weiteren Bands, ins Gespräch kommt und sich austauscht. „Der Kontakt ist dadurch schon viel intensiver als im alten Probehaus, wo jeder eher für sich war“ erklären uns die Bandmitglieder. Dazu kommt noch die tolle Lage direkt am Hauptbahnhof und das man (Ausnahmen bestätigen die Regel) proben kann, wann immer man möchte.
Warten auf Patina
Natürlich ist seit dem Umzug im Dezember 2012 aus dem benachbarten alten Schlachthof, der demnächst abgerissen wird, nicht alles nur toll. Die 28 Räumlichkeiten sind zwar für Proberäume in einem unglaublich guten Zustand. Was aber fehlt, ist vor allem der Charme der vergangenen Zeiten, die Patina, die einen solchen Ort zu etwas ganz besonderem macht. Alles ist schön und neu und sauber, toll für eine Bankfiliale, eher okay wenn man sich dem Rock´n´Roll verschrieben hat. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ein besonderes Utensil gibt es schon seit dem Einzug: Durch den erwähnten Flur gelangen die Musiker mit zwanzig großen Schritten – oder sie schnappen sich einfach das Skateboard und sausen durch den Gang. Das ist nicht nur spaßig, sondern auch noch sinnvoll. Denn die schwere Tür zu den top gepflegten Sanitärbereichen lässt sich, einmal zugefallen, nur noch mit zugehörigem Schlüssel öffnen. Also wird sicherheitshalber das Board zwischen Tür und Rahmen geklemmt.
Wer jetzt als Musiker Lust verspürt, sich auch so ein akustisches Wohlfühlterrain zu mieten, der stellt sich besser gleich an oder versucht es mit einer Kooperation, denn viele Bands teilen sich hier ihre Räumlichkeiten. Das Warten lohnt sich, denn hier wird Musik geboren.
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