Direkt zum Inhalt wechseln
|

So wohnt Wiesbaden – Vom Vermieter zum Vernetzer: Sascha Burjan und sein Projekt ZR6 am Zietenring

Von Holger Carstensen. Fotos Holger Carstensen/privat.

Sascha Burjan, eine besondere Hausgemeinschaft und gerne viele Gäste – Zietenring 6, oder kurz gesagt: ZR6. An diesem Wochenende bekommt Wiesbaden eine neue Kultur- und Veranstaltungsstätte mit besonderem Spirit.

Sascha Burjan könnte dein großer Bruder sein. Dein Kumpel. Vielleicht sogar dein Papa. Oder alles zusammen. Als das Handy klingelt, kommt noch eine Spur Zirkus-Direktor dazu. Wir stehen im Hof des Projekts Zietenring 6. Es nieselt leicht, Wiesbaden präsentiert sich von seiner grauen Seite. Dem bunten Treiben im Zietenring 6 tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil.

Der Innenausbau der Mehrzweckhalle geht auf die Zielgerade, Maler und Handwerker sind fleißig im Hintergrund. Grade hat Burjan noch die aktuellen Bau-Fortschritte der Halle präsentiert, die am 17. Dezember, dem 3. Adventssonntag, feierlich eröffnet wird, mit Weihnachtsmarkt, Benefiz-Konzert und Rede des Oberbürgermeisters. Jetzt am Handy kümmert er sich um ein mondänes Teil des Ganzen, das verschwunden ist und lokalisiert werden will: die Hohlkehle des Fotostudios.

Hier läuft alles über ihn. Er ist Initiator, Herz und Motor dieser aktuellsten Inkarnation des Kiezlebens im Westend: dem Studio ZR6. Studio ZR6 steht für einen Kulturverein, eine Künstleragentur, ein Tonstudio, die neue Mehrzweckhalle, konzipiert als Ort des Stadtteillebens, Event-Location, Fotostudio – und die zwei Häuser mit 20 Parteien, die Burjan mit einem Geschäftspartner im Frühjahr 2014 gekauft hat. „Am Anfang war es wirklich eine wirtschaftliche Überlegung“ erzählt er, während wir in den neu ausgebauten Kellerbereich gehen, wo jetzt regelmäßig Yoga-Kurse stattfinden, und man auch in das Tonstudio gelangt. Über Tischtennisplatte und Fitness-Geräten hängt noch der Beamer an der Decke, mit dem alles begann.

Alles kam von selbst, nichts war geplant

„Mit einem Partner habe ich das Objekt gekauft, um zu vermieten. Am Anfang wollte ich gar nicht selbst hier wohnen. Der ganze Kellerbereich war komplett heruntergekommen. Wir haben alles rausgerissen, sauber gemacht, und uns zum WM-Spiele-gucken auf Leinwand mit ein paar Freunden getroffen. Zum Finale waren´s dann 250 Leute.“ Die Idee, eine Community im Stadtteil aufzubauen, war geboren. „Das kam alles von selbst und war nicht geplant“, so Burjan. Dennoch, kompletter Zufall ist sein Engagement für ein lebendiges und vielfältiges Westend nicht, gibt der gelernte Kommunikations-Designer und gebürtige Wiesbadener zu. „Meine Mutter war Pädagogin, mein Vater Lehrer. Als Kind bin ich mit Latzhose auf der Startbahn West in der Lichterkette gestanden“, lacht er.

Idealismus blieb auf der Strecke – vorübergehend

Seine jetzigen Gestaltungsmöglichkeiten schuf er sich in den vergangen 15 Jahren als Quereinsteiger im Geschäft mit Immobilien. „Ich bin eigentlich komplett anders sozialisiert. Ich war jetzt auch nicht geächtet oder so in der Familie. Aber der Idealismus blieb schon auf der Strecke in dieser Zeit“, sagt er rückblickend. Bis der Zietenring Nummer 6 kam.  „Hier kommen viele Talente, Erfahrungen, Weggefährten und Ideen zusammen. Eigentlich hab ich sehr viel Glück gehabt. Das würde ich gern zurückgeben und teilen“, sagt er in Hinblick auf die Zukunft des Projekts.

Sein Bruder Jan Weiskopf, der Vorstandsvorsitzende des Vereins (und selbstredend auch einer der Bewohner) ergänzt:  „Unser Vater hat vor etwas mehr als 25 Jahren in seinem Heimatdorf im Hunsrück den Verein `Kultur auf Feld und Flur´ (www.kaff-hottenbach.de) gegründet. Dort sind viele, mittlerweile sehr prominente KabarettistInnen und KleinkünstlerInnen aufgetreten. Ich war oft an den Wochenenden dort, habe bei den Veranstaltungen geholfen.“

Eine neue Kulturstätte für die Stadt

So sei er Stück für Stück in diese Welt hereingewachsen: „Etwas Ähnliches zu machen, war also ein logischer Wunsch für mich.“ Jan ist vor allem für das Booking zuständig, schreibt Agenturen und Künstler an. „Zum Glück gibt´s jetzt schon viele Menschen, die uns Vorschläge machen und uns mit Ideen füttern“, erzählt er und sieht das als Beweis, dass die Menschen an Kultur interessiert sind und sich auch aktiv einbringen wollen. „In Wiesbaden wurde zu oft fast stillschweigend hingenommen, dass Kulturinstitutionen aussterben. Das Folklore ist hierfür ein gutes Beispiel“, so Jan. Er freue sich wahnsinnig darauf, dass es nun es endlich losgehe, und der ZR6 eine weitere Anlaufstelle für Kulturinteressierte werden könne.

Strukturell ist das Studio ZR 6 ein Hybrid. Der eingetragene Verein ist gemeinnützig, organisiert beispielsweise den „Senioren-Sommergarten“ zusammen mit dem „Netzwerk  55+“, oder Konzerte und Lesungen. Das Programm soll 2018 mit der neuen Halle, die Raum für etwa hundert Besucher bietet, weiter wachsen, die ersten Termine stehen bereits auf der Website. 

Mit dem Kommerziellen das Soziale finanzieren

Den anderen, kommerziellen Part stellen die Künstleragentur und das Tonstudio dar, sowie auch die Halle selbst, die beispielsweise für Video- und Fotoproduktionen, Tanzgruppen oder auch gastronomische Events zu mieten ist. Es gehe dabei nicht darum, sich die Taschen voll zu machen, so Jan Weiskopf: „Der Gemeinde zu helfen, einen Treffpunkt für alle Formen von Kunst und Kultur zu schaffen, das ist das Ziel!“ Aus beiden Teilen sollen Synergien entstehen. Häuser, Halle und Hof am Zietenring sollen ein fester Begriff in der Wiesbadener Szene werden. „Uns ist erst mal wichtig, dass es gut läuft, dass die Leute sich wohlfühlen, die hierher kommen“, sagt Sascha Burjan, während er die neu eingerichtete Gastroküche in der Halle inspiziert. Das Ideal sei, wenn die Balance stimme, und die kommerzielle Seite des Projekts ZR 6 die sozialen Projekte unterstützen könne.

Im Vordergrund stehe aber in jedem Fall die Gemeinschaft und die Verortung im Viertel. „Das ist schon was Besonderes, was hier aus der Hausgemeinschaft heraus entstanden ist!“, sagt Juliane. Sie ist vor etwa einem Jahr von Köln nach Wiesbaden gezogen, ist aktives Vereinsmitglied und fotografiert unter anderem die Veranstaltungen, um so den so den Außenauftritt des Projekts zu unterstützen. Über den Verein und seine Aktivitäten fand sie schnell Anschluss in Wiesbaden: Hausgemeinschaft, Verein und Freundeskreis gehen nahtlos ineinander über. Nun freut sie sich auf die Öffnung nach außen.

Oft bleibt es bei Ideen – Sascha Burjan setzt sie um

„Die Mieter hier, das Umfeld zeichnet einfach aus dass wir alle offene, freundliche Menschen sind, die auch gerne anpacken. Anfangs saßen wir öfter abends auf der Terrasse im Hof zusammen und haben rumgesponnen. Oft bleibt´s ja bei so Ideen. Sascha ist jemand, der das dann auch umsetzt!“ Juliane freut sich darauf, mit dem Projekt ZR 6 die kulturelle Vielfalt des Viertels zu bereichern. Kabarett, Singer-Songwriter-Konzerte und Kleinkunst stehen auf ihrer Wunschliste.  Dass OB Sven Gerich zur Eröffnung kommt, sieht Sascha Burjan als Bestätigung, dass das Projekt auf dem richtigen Weg ist. „Es ist tatsächlich nicht immer einfach gewesen in der Vergangenheit, hier was anzustoßen. Aber mit seinem Besuch zur Eröffnung der Halle zeigt der OB ja seine Unterstützung. Es bewegt sich schon was in Wiesbaden – wollen wir hoffen, dass das so bleibt!“ Britta, ebenfalls aktiv im Verein als Schriftführerin (aber ungleich wichtiger: für Service und Getränke zuständig) stimmt zu: „ZR 6 bringt nötigen frischen Wind nach Wiesbaden. Unsere Terrasse, der Hof, die waren im Sommer immer wie eine Oase, mitten in der Stadt. Ich find es super, dass mit der Halle jetzt keine Konzerte mehr `ins Wasser´ fallen.“ Mittlerweile sind die Maler fast fertig. Es fehlt nur noch die verschwundene Hohlkehle. Burjan nimmt es gelassen. Als wieder das Handy klingelt,  grinst er und geht ran. Leichteste Übung für den Zirkus-Direktor.

http://studio-zr6.de/

Weihnachtsmarkt und Benefizkonzert zu Einweihung am Sonntag, 17.12.

Klein aber fein ist der vom Studio ZR6  organisierte 1. Weihnachtsmarkt, der zugleich die Eröffnung der Mehrzweckhalle/Kulturzentrum ist. In zwei zauberhaften Innenhöfen finden die Besucher alles, um definitiv – auch ohne Schnee – in Weihnachtsstimmung zu verfallen. Glühwein, Waffeln, Würste und Geschenke aus den Westendläden. Während man draußen schlemmt, können die Kindern drinnen geschminkt werden, basteln oder dem Puppenspiel lauschen (ab 15.00) oder beim Musikworkshop mitmachen. Die Krönung ist dann ab 20.00 das Benefizkonzert der aus The Voice of Germany bekannten Soul Sängerin Mary Summer mit dem Kindergospelchor. Zu Gunsten ihrer Stiftung spenden auch alle Standbesitzer einen Teil ihrer Einnahmen. Also – essen, trinken, singen, feiern und lauschen für einen guten Zweck. Eröffnung des Marktes um 14 Uhr.