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Startschuss oder Todesstoß für Walhalla? Diskussionen und Sondersitzungen zu geplantem Ausschreibungs-Start

„Wir haben eine Beschlussvorlage auf den Weg gebracht für ein europaweites Interessenbekundungsverfahren für eine kulturelle Nutzung der Walhalla“. Der Satz des Oberbürgermeisters – mit „wir“ meint er den Wiesbadener Magistrat und maßgeblich Kulturdezernent Axel Imholz und sich selbst als OB und Aufsichtsratsvorsitzenden der Walhalla-Immobilien-Eigentümerin WVV – klingt erst mal nach einer guten Nachricht. Nach einem „endlich geht es los“ und damit nach einem lange erwarteten Meilenstein auf dem Weg zur Revitalisierung der Walhalla. Nach einem sehnsüchtig erwarteten Startschuss. Bei genauer Betrachtung aber wird klar: Dieser Schuss könnte auch nach hinten los gehen, der Startschuss unter den völlig neuen Bedingungen der Corona-Pandemie mit einer massiv von einer  Insolvenz- und Pleitewelle bedrohten Veranstaltungs- und Kulturbranche zum Todesstoß für dieses Projekt werden, das immens wichtig für die Stadt ist. So immens wichtig, dass nun eilige Gremien-Sondersitzungen anberaumt wurden, bevor die Stadtverordnetenversammlung das Thema am 2. Juli diskutiert.

An diesem Freitag (26.6.) wird um 17.30 Uhr im Rathaus-Stadtverordnetensitzungssaal der Kulturbeirat zusammenkommen, um die Haltung des Gremiums zum baldigen Start eines Interessenbekundungsverfahrens zu diskutieren. Am kommenden Donnerstag, 2. Juli, wird es vor der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung, deren mehrheitliche Zustimmung zum Startschuss in Zeiten vor Corona wohl eine Formsache gewesen wäre, eine gemeinsame Sitzung von Kulturausschuss und Haupt- und Finanzausschuss geben. Der Redebedarf ist gegeben. Und wohl nichts wäre fataler als ausgerechnet jetzt, nachdem jahrelang in Sachen Walhalla-Zukunft fleißig ge- und vertrödelt wurde, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt aufs Gaspedal zu treten, ohne vorher die möglichen Konsequenzen genau zu bedenken und abzuwägen.

Als Gast in der letzten Sitzung des Kulturbeirates im Schlachthof informierte OB Mende knapp über den angepeilten Start des Interessenbekundungsverfahrens zum Walhalla.

Der OB zeigte sich, zuletzt als Gast im Kulturbeirat und letzte Woche in der von ihm alleine, nach eigener Aussage“auch im Namen des Kulturdezernenten“, bestrittenen Magistratspressekonferenz entschlossen auf „Jetzt geht´s los!“-Kurs. „Mir war es wichtig, dass wir heute zeitgerecht und verabredungsgemäß den nächsten Schritt absolvieren, nämlich: die EU-weite Ausschreibung auf den Weg bringen“, sagte Mende in der Pressekonferenz. Das europaweite Vergabeverfahren sei sehr komplex und deshalb vorbereitet worden „unter erheblichem juristischen Rat“ durch eine auf Vergaberecht spezialisierte Anwaltskanzlei. Nach dem erhofften Beschluss durch die Stadtverordnetenversammlung am 2. Juli solle die Ausschreibung veröffentlicht werden und das zweistufige Dialogverfahren starten (siehe auch Übersicht am Ende des Beitrags).

OB hält Start jetzt für „zwingend erforderlich“

Darauf angesprochen, dass es offenbar in der SPD-CDU-Grüne-Kooperation Uneinigkeit darüber gebe, ob der Start des Verfahrens in diesen Zeiten zielführend oder nicht vielleicht sogar kontraproduktiv sei, verwies Mende darauf, dass er als OB kooperationsinterne Diskussionen nicht zu kommentieren habe. Er habe seine Motive dargelegt, warum er es für „zwingend erforderlich“ halte, nun das Interessenbekundungsverfahren „auftragsgerecht“ zu starten. Auch der Kulturbeirats-Vorsitzende Ernst Szebedits habe in der letzten Sitzung „ausdrücklich darum gebeten, dass die Vorlage jetzt auch kommt“, glaubte sich der OB zu erinnern und: „Es war ein großes Bestreben des Kulturbeirates, dass wir hier jetzt einen Schritt weiterkommen.“ Wie genau das Bestreben des Kulturbeirates unter den nun coronabedingt massiv veränderten Bedingungen ist, wird sich in der Sondersitzung am Freitag herauskristallisieren.

Von den Grünen jedenfalls kommt unter der Überschrift „Revitalisierung des Walhallas in Gefahr?“ ein deutliches Votum gegen das Interessenbekundungsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt. „Wir Grüne halten die Überzeugung des Magistrats, jetzt einen Betreiber für das Walhalla zu finden, für illusorisch“, kritisiert Dorothea Angor, kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Rathausfraktion und auch stellvertretende Kulturbeirats-Vorsitzende, die Entscheidung, zum jetzigen Zeitpunkt das Interessenbekundungsverfahren zum kulturellen Betrieb des Walhalla zu starten.

Grüne überzeugt: Bewerbungen potenzieller Betreiber „vollkommen unrealistisch“

Seit Januar 2017 ist das Walhalla-Gebäude in der Mauritiuspassage für jegliche Nutzung gesperrt.

„Man kann in einer Zeit, in der es überhaupt nicht absehbar ist, wie und wann die Gesellschaft wieder zu einem kulturellen Leben des gemeinsamen Erlebens und des Miteinanders zurückfindet, nicht davon ausgehen, dass sich ein potenzieller Betreiber bewirbt, der den erforderlichen Mietpreis von mehreren zehntausend Euro im Monat erwirtschaften kann. Das ist leider vollkommen unrealistisch.“ Momentan wird mit einer von der Stadt subventionierten Miete von 10 Euro pro Quadratmeter ausgegangen, um eine kulturelle Nutzung zu ermöglichen. Klingt erst mal „bezahlbar“. Klingt aber anders, wenn man es mit der zu mietenden Gesamtquadratmeterzahl von 4500 multipliziert – 45.000 Euro. „Wir befürchten, dass bei dem erwartbar erfolglosen Verfahren, die Gegner der Sanierung des Walhallas Oberhand gewinnen“, stellt Angor fest.

„Auf ein paar Monate kommt es nicht an“

„Bereits Februar 2019 hat das Stadtparlament ein klares Signal gesendet, dass die kulturelle Nutzung des Walhalla gewünscht wird. Somit hat die Vorbereitung anderthalb Jahre gedauert, da kommt es doch nun auf ein paar Monate wirklich nicht an“, meint Angor. Jetzt müssten zwei Dinge priorisiert werden: „Erstens sollten wir als Stadt unseren aktiven Kulturbetrieben und Kulturschaffenden alle Unterstützung geben und ihnen in dieser existenziellen Krise auch finanziell zur Seite stehen. Und zweitens müssen wir erneut die Frage einer Zwischennutzung der Walhalla zielführend angehen, denn selbst ein erfolgreiches Vergabeverfahren mit anschließender Sanierung dauert ohnehin Jahre.“

In diese Richtung hatte auch der Kulturbeirat argumentiert, OB Mende aber bislang jede Ideen einer Pop-Up-Nutzung „mit der Bitte um Respekt vor Fachleuten, die eindeutige Gutachten erstellt haben“ kategorisch abgewiesen. Die Grünen fordern nunden Magistrat erneut auf, unter dem Fokus der aktuellen Situation eine Zwischennutzung des Walhallas zu ermöglichen. „Nur so kommen wir weiter auf dem Weg der Revitalisierung des Ensembles“, stellt Angor fest.

Pop-Up-Bestreben: Mit Gutachtern klären, wie Zwischennutzung möglich ist

Christine Hinninger in ihrer Funktion als WVV-Aufsichtsratsmitglied ergänzt: „Da die WVV Eigentümerin der Liegenschaft ist, habe ich darum gebeten dieses Thema im kommenden Aufsichtsrat zu diskutieren. Ziel ist es, mit den bereits betrauten Gutachtern die Frage zu klären, unter welchen Bedingungen eine Zwischennutzung ermöglicht werden kann“.

Einigkeit herrscht in der Einschätzung der Ausgangssituation und der Bedeutung des Walhalla-Projektes, die auch der Oberbürgermeister unterstrich. Er sprach von einer „offenen Wunde in der Innenstadt“ und einer „unbefriedigenden Situation vor Ort“. Es sei „klare Absicht der Stadtpolitik, dass dort ein Kulturraum entsteht, dass dort eine kulturelle Nutzung vorgesehen wird.“ Erkannt hat er auch, dass das Thema Walhalla alles andere als ein reines Kulturthema ist: „Natürlich ist damit auch verbunden, Stadtgestaltung zu betreiben an einem ganz wesentlichen Punkt“, sagte das Stadtoberhaupt in der Magistratspressekonferenz: „Wir reden hier über die Attraktivität der Innenstadt und die Attraktivität der City“. Sein Bestreben: „Gerade eine sanierte Walhalla kann einen maßgeblichen Beitrag dazu leisten, die Innenstadt attraktiv zu machen und ihr einen echten kulturellen Schwerpunkt und ein kulturelles Highlight zu geben.“ Genau diese Chance liegt auf der Hand. Und sie sollte nun nicht verspielt werden. (Dirk Fellinghauer/Foto Offert Albers)

[ Übrigens: Das Walhalla ist kein Kulturschätzchen!]

Verfahren, Zeitplan und Kriterien

Der vorgesehene Weg und Zeitplan, den Oberbürgermeister und WVV-Aufsichtsratsvorsitzender Gert-Uwe Mende der Presse präsentierte: 

Wettbewerblicher Dialog nach EU-weiter Bekanntmachung – 2. Juli Beschluss der Stadtverordnetenversammlung – nach Beschluss Mitte Juli 2020 Bekanntmachung der Ausschreibung, Ende Oktober 2020 Submission Teilnahmewettbewerb, November 2020 bis Februar 2021 Dialogphase mit ausgewählten Bewerbern, Februar 2021 Aufforderung zur Angebotsabgabe, April 2021 Submission Angebote, Juni 2021 Vergabevorschlag, Juli 2021 Beschluss der Stadtverordnetenversammlung.

Die Bewertung der nach der Dialogphase eingereichten Angebote soll nach folgenden, laut OB Mende EU-vergaberechtlich sehr strikt gefassten Kriterien erfolgen: 40% Güte und Qualität des Nutzungskonzeptes, 30% angebotener Mietzins, 15% Güte und Qualität des Ausbaukonzeptes, 15% Plausibilität und Belastbarkeit des Businessplans.