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Wiesbaden entpuppt sich als Performance-Hauptstadt: Akteure bringen geballt Aufregendes auf diverse Bühnen

Unverhofft, unerwartet, unabgestimmt: Die Landeshauptstadt wird in den nächsten Tagen und Wochen zur Performance-Hauptstadt. Auf verschiedenen Bühnen ballen sich aufregende Performance-Ereignisse. Vielleicht sollten Akteure tatsächlich mal überlegen, so etwas in Zukunft abgestimmt zu bündeln. Das Zeug zu einem Wiesbadener Performance-Festival mit Potenzial auch für überregionale Aufmerksamkeit hätte die Stadt mit Angeboten und Aktivitäten in dieser Geballtheit und auf diesem künstlerischen Niveau allemal.

Heute findet um 18 Uhr in Wiesbadens neuem Kulturort „Marleen“ im „Lili“ direkt neben dem Hauptbahnhof die Kunstaktion „Blizzard“ des Künstlers Georg Schmitt gemeinsam mit den Künstlerinnen Monika Braun und Alina Böhmer, auch bekannt als Duo namens „Fickfackerei“, statt.

Komplett monetarisierte Künstlerinnen

In einem abgeschlossenen Raum werden die beiden Künstlerinnen einem Sturm ausgesetzt, der aus unzähligen zerkleinerten 500-Euro-Banknoten besteht. Eine effektive Windmaschine wird das Geld verwirbeln. Da die beiden zuvor ihre Körper vollständig mit einem haftenden Grund einreiben, werden die Geldpartikel die gesamte Oberfläche ihrer Körper bedecken. Nach Beendigung des Geldblizzards werden die komplett monetarisierten Künstlerinnen die Kabine verlassen und – je nach Witterung – von Georg Schmitt durch die Räume des Marleen, des Lili und des Hauptbahnhofes geführt werden. Der Eintritt ist frei.

„Wie wollen wir leben – Utopien im 21. Jahrhundert“ – mit dieser Fragestellung haben sich sechs Stipendiat*innen der Landeshauptstadt Wiesbaden anlässlich des 125-jährigen Jubiläums der Internationalen Maifestspiele beschäftigt. Theater- und Musikschaffende aus Wiesbaden waren aufgerufen, Projektvorschläge einzureichen. Ende Januar 2021 entschied eine fünfköpfige Jury über die Vergabe der Stipendien. Manches ging schon über die Bühne, anderes kommt jetzt zur Aufführung.

„Meeting with Monsters“ von Anton Rudakov feiert heute um 19.30 Uhr in der Wartburg Premiere. Das Kollektiv Totalitarian Body legt in „Meeting with Monsters“ zum einen Innenansichten privater Einzelschicksale frei, zum anderen fängt es diffuse Ängste der urbanen Bevölkerung ein, aus denen sich das Monströse nährt.

„Account gesperrt“ von Sigrid Skoetz wird am 26. Oktober, 19.30 Uhr, im Kleinen Haus des Staatstheaters gezeigt. Die Walhalla im Exil-Produktion nach Richard III. (Shakespeare), ist eine Analogie, deren Merkmale die Regentschaft von Richard und die Regentschaft von Trump parallel aufweisen. Richard und Trump sind beide ein Symptom für die jeweilige Zeit und ihre gesellschaftlichen Prozesse. Bei den ersten Aufführungen im Walhalla im EXIL sorgte die Performance mit dem geradezu buchstäblich unheimlich genial aufspielenden Maximilian Pulst für Begeisterung. Jetzt hat Regisseurin Sigrid Skoetz nochmal nachgelegt und die Performance für den neuen Spielort überarbeitet. Zusätzlich spannend wird es durch die „Zugabe“ von Livemusik, für die keine Geringeren als die ihrerseits genialen Zwillinge Roland Vanecek (Tuba) und Bernard Vanecek (Posaune) sowie Kultschlagzeuger Erwin Ditzner sorgen werden.

„Wise and Shine“ heißt die Produktion von Katharina Schenk, die am 30. Oktober im Schloss Freudenberg zu erleben ist. In einer dreieinhalbstündigen, immersiven Performance wird das Schloss Freudenberg in eine Zukunftsschule verwandelt. Bis zu 35 Zuschauer:innen werden in sieben utopischen Schulfächern unterrichtet. Begleitet, bespielt und geleitet von sieben Performer-innen (Lehrkräfte und Schulleiterin) erleben sie einen neuen Lernort. Doch wie Schule in diesen Zeiten und zukünftig funktioniert, weiß hier wirklich keiner. Hochmotivierte Lehrkörper treten an, um gemeinsam mit den Schüler-innen die Zukunft der Schule zu gestalten. Die Gestaltung beginnt mit der Frage: „Wie willst du leben, und was brauchst du dafür?“

Mit „Aufs Ganze Gehen III“ findet vom 29. Oktober bis 7. November in der Walkmühle ein Festival der Begegnungen von Bildender Kunst, Tanz, Musik, Medien- und Klangkunst statt – auch hier gehören spannende Performance-Events dazu:

31.10., 20 Uhr: „Membran“ mit anna.laclaque, Michel Lavignon und Mone Schliephack. Membrane sind durchlässige Grenzen und Transitzonen, an denen sich von zwei Seiten unterschiedliche Welten begegnen und zu neuen Substanzen mischen. „Membran“ spielt mit dieser dialogischen Grenzfläche zwischen zwei Sprachen, der Bild- und der Klang-Sprache.

3. November, 20 Uhr: „Easy structure #2“, Performance und Gespräch mit Thilo Schölpen und Nicola Schudy. Die Kölner Bildhauerin Nicola Schudy und der Düsseldorfer Musiker Thilo Schölpen werden ihre Installation „Easy structure #2“ aufbauen und in einer performativen Aufführung bespielen.

5. November, 20 Uhr: „Wellen“. Das Performance-Solo von Mareike Buchmann entfaltet sich einerseits als fluider Reigen unaufdringlicher Gesten und Bewegungen und ist andererseits gleichzeitig eine Suche nach Störungen und Unterbrechungen. Die Tanzperformance erforscht unterschiedliche Möglichkeiten am Geschehen beteiligt zu sein, es zu beeinflussen oder davon beeinflusst zu werden. Mit „Wellen“ intensiviert Mareike Buchmann ihre Idee von einer Aufführungspraxis als fluider Struktur, in der Bewegungen, Handlungen und Soundkompositionen intuitiv und situativ choreografiert und arrangiert werden.

Und weiter geht es in Sachen Performance im November im Kunsthaus am Schulberg. Dorthin bringt das Tanzfestival Rhein-Main ab 4. November Highlights seines Programms: „Photographic Installation“ – Der Choreograf als Fotograf. Durch das Kameraauge schafft Emanuel Gat intime Zugänge „hinter die Kulissen“ seiner Arbeit. Und „Coin Operated“ – eine interaktive Performance-Installation von Jonas & Lander über die Mensch-Pferd-Beziehung mit zwei Rodeomaschinen. Für den „Fortritt“ des Geschehens Kleingeld nicht vergessen!

Neuauflage des Projektstipendiums Maifestspiele – bis 5. Dezember bewerben

Staatstheater und  Kulturamt haben übrigens gerade bekannt gegeben, dass sie 2022 ihre Kooperation anlässlich der dann 126. Ausgabe der Internationalen Maifestspiele fortsetzen werden. Wiesbadener Kulturschaffende können sich bis zum 5. Dezember 2021 für das „Projektstipendium Maifestspiele 2022“ bewerben: Infos und Bewerbung via theater.tanz.musik@wiesbaden.de. „Ans Licht!“ lautet diesmal die thematische Klammer. Sechs Stipendiat:innen erhalten jeweils bis zu 8000 Euro, um ihre Projektidee umzusetzen.

(sun/dif Fotos: Alekszandr Szivkov/Simon Hegenberg/Hans Kranich/Georg Schmitt/Bruno Simao)