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Zwischen Zustand und Wunsch: Der Pianist und Komponist Fazil Say verbindet Welten – sensor-Interview und Freikarten-Verlosung

FazilSay01_(c)MarcoBorggreve_3spInterview Dirk Fellinghauer. Foto Marco Borggreve.

Türkische Musik mit europäischen Mitteln präsentieren – für das Pianisten und Komponisten Fazil Say kein Problem. Als „Artist in Residence“ wird er ab 16. November bei aufregenden Konzerten in der Alten Oper zeigen, wie es geht. Im sensor-Interview erklärt der Weltbürger pünktlich zum Auftaktkonzert, für das wir 3×2 Freikarten verlosen, wie er Orient und Okzident verbinden will.

Er ist ein Wanderer zwischen den Welten, lässt sich nicht festlegen, geht konsequent seinen Weg. Der 1970 in Ankara geborene Fazil Say ist eines der wenigen Universalgenies der Musikwelt. Er wird als Pianist wie als Komponist oder Orchesterleiter gefeiert und äußert sich nicht nur musikalisch, sondern auch als streitbarer Gesellschaftskritiker. Wir trafen ihn im Hochsommer in seiner Suite im Hotel Schloss Reinhartshausen – und sprachen mit ihm über sein Vorhaben, dass bei drei ganz unterschiedlichen Konzerten in der Alten Oper Frankfurt auf die Bühne bringen wird.

Welches ist die Idee hinter Ihrer Residenz mit dem Titel „Zwischen Orient und Okzident“?
Ein Thema ist natürlich die Türkei, türkische Wurzeln in der Musik. Ein türkischer Komponist präsentiert Musik aus seinem eigenen Land, aber mit europäischen Mitteln. Intelligenterweise wird die Konzertreihe vom Veranstalter auf Türkisch und auf Deutsch beworben. Ich finde das gut. Wenn Konzerte nur auf Deutsch beworben werden, kriegen die hier lebenden Türken das gar nicht mit.

Ihnen ist also daran gelegen, dass Ihre Landsleute in Ihre Konzerte kommen?
Ich finde das aus zwei Gründen wichtig: Es gibt ja die Vorurteile, dass Türken angeblich nicht zu Konzerten kommen und in Parallelgesellschaften leben. Bei diesen Konzerten werden sie sein, und vielleicht gehen sie dann zu weiteren Konzerten. Das nehme ich mal ganz optimistisch an. Zweitens erzählt die Musik von ihrem Land, und das türkische Publikum kann auf diese Weise, mit europäischer Musik, Probleme des eigenen Landes, der Türkei, des Nahen Ostens, erleben. Es ist ein doppelsinniger Kulturaustausch, es kann eine Brücke sein.

Mal abgesehen von der Frage, ob türkisches oder deutsches Publikum – ein Problem der Klassik ist ja bekanntlich, dass sie kaum junges Publikum anlockt.

Das war doch schon immer so. Klassische Musik hatte schon immer ein älteres Publikum.

Möchten Sie dazu beitragen, dass mehr jüngere Menschen in die Konzerte kommen?

Wenn das Projekt diesem Anliegen entsprechen kann, natürlich. Und in diesem Fall, bei dem Programm dieser Residenz, ist es der Fall.

Sie beschreiben in Ihren eigenen Stücken, die während Ihrer Residenz aufgeführt werden, verschiedene Landschaften …

Landschaften und Situationen.

Wie können wir uns das vorstellen – wie ist der Prozess, dass aus einer Landschaft oder einer Situation Musik wird?
Man hat vielleicht einen eigenen Film im Kopf. Es ist natürlich Musik, es ist kein Film. Die Musik beinhaltet das Wissen und die Erfahrung, die wir ein Leben lang über das Gebiet angesammelt haben: Naher Osten, die Probleme, Todeskultur und all das. Musik aus der Türkei, ihre Rhythmen, die Folklore, ist immer eine DNA der ganzen Entwicklung.

Ist die von Ihnen erschaffene Musik das, was Sie tatsächlich leben und sehen, oder auch das, was Sie sich wünschen – also eine Zustandsbeschreibung oder eine Wunschbeschreibung?
Beides. Der Wunsch kommt vom Zustand, und der Zustand kommt vom Wunsch. Wir erleben seit Jahrzehnten einen Bürgerkrieg in der Türkei und verstehen die Details von den ganzen Sorgen und Problemen nicht – warum es nicht gelöst wird, warum es keinen Frieden gibt. Das betrifft und beeinflusst uns als Menschen, als denkende Menschen, und dieses Denken fließt in die Musik ein, wenn man Komponist ist.

Kann Musik Frieden schaffen?
Schwierige Frage. Darauf kann ich keine konkrete Antwort liefern. Barenboim hat ja das Orchesterprojekt, bei dem Israelis und Palästinenser zusammen musizieren. Die Mitglieder leben in der Orchestergesellschaft zusammen und tun alle gemeinsam etwas für eine Sache. Für die Musik. Für Beethoven. Das ist erstens besser als gar nichts, und zweitens ist es ein Beweis und ein Beispiel  dafür, dass man sieht: Palästinenser und Israelis können doch etwas zusammen machen. Ein Orchester! Das alleine ist schon eine komplizierte Angelegenheit. Wenn das funktioniert, müsste doch auch Anderes funktionieren können wie Geschäfte oder Sport. Wenn sich solche Aktivitäten vermehren, können wir für die Zukunft ein bisschen mehr Hoffnung haben. Im Moment ist es nur die Hoffnung und kein konkretes Ergebnis.

Wie gut verstehen sich Orient und Okzident rein musikalisch gesehen?
Es sind verschiedene Kulturen. Die Wurzeln von beiden waren ziemlich ähnlich, vor 1000 Jahren etwa. Und dann haben sie sich in zwei verschiedene Welten aufgeteilt. Westliche Musik hat sich sehr faszinierend entwickelt, im ethischen Sinn, in der Ästhetik. Die Musik hat im Leben viel mehr Platz gehabt als im Orient. Im Orient bestimmen Folklore, Lieder, Rhythmen, Tänze die Musik, nicht sehr kompliziert, es kam wie es kam. Nun bringen wir beides zusammen.

Es heißt, Sie komponieren täglich. Heute auch schon?
Ja. Ich komponiere im Moment ein Werk, es macht viel Spaß.

Arbeiten Sie immer nur an einem Werk oder an mehreren Werken gleichzeitig?
Es ist gut, immer nur an einem Werk zu arbeiten. Man sollte nicht zu viel auf einmal in Angriff nehmen.

Fazil Say als „Artist in Residence“ in der Alten Oper Frankfurt: 16.11. mit Orchestre National de Belgique u.a. Fazıl Say – Klavierkonzert Nr. 3 op. 11 „Silence of Anatolia“, 3.2.2016 mit Camerata Salzburg u.a. Klavierkonzert Nr. 2 op. 4 „Silk Road“, Chamber Symphony op. 62 sowie Werke und Improvisationen für Soloklavier, 12.4.2016 mit Dresdner Philharmonie u.a. Sinfonie Nr. 2, op 38 „Mesopptoamia“. Wir verlosen 3×2 Freikarten für das Auftaktkonzert am 16.11.: losi@sensor-wiesbaden.de