Direkt zum Inhalt wechseln
|

Ahmed Imam und sein Weg von Ägypten nach Wiesbaden, vom Maschinenbau zur – groß gedachten – Sozialarbeit

Von Marta Moneva. Fotos Samira Schulz.

Aus Ägypten nach Wiesbaden, vom Maschinenbau zur Arbeit mit Kinder und Jugendlichen. Ahmed Imam will mit seinem Job etwas bewegen.

Der Wiesbadener Sozialarbeiter Ahmed Imam legt sich ins Zeug. In seiner täglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Aber auch als starke Stimme für seine Schützlinge und deren Belange. Zum Beispiel bei einer Sitzung des Ortsbeirats Westend. Der 28-Jährige war vorbeigekommen, um Lage und Anliegen der Jugendlichen aus dem Viertel vorzutragen. Groß, freundlich und souverän trat er im Auftrag seines Arbeitgebers, des Jugendzentrums Georg-Buch-Haus in der Wellritzstraße, auf, sprach und ging. Zum Rundgang durch das Westend treffen wir uns an einem Sommervormittag auf dem Blücherspielplatz, einem seiner Arbeitsplätze. Die Kinder der Blücherschule machen gerade Pause, der Spielplatz ist sehr belebt und quirlig – ein passender Ausgangspunkt für ein Gespräch über seinen Lebensweg.

2016 aus Ägypten gekommen

Geboren und aufgewachsen ist Ahmed Imam in Mansoura, Ägypten. Seine Eltern waren beide Bauingenieure, der Vater auch Universitätsprofessor. Bevor sich Imam 2016 entschieden hat, nach Deutschland zu gehen und das Fach komplett zu wechseln, hatte er in Mansoura mit Erfolg Maschinenbau studiert. Parallel zu seinem Studium drehte er selbst seine äußerst beliebte Tutoriumvideos. Das Auswendiglernen, das ihn schon an der Schule so gestört habe, setzte sich entgegen seinen Erwartungen auch an der Uni als Methode fort.

YouTube-Kanal wider stupides Lernen

“Stoff auswendig lernen, damit die Prüfung bestehen und im Anschluss alles wieder vergessen”, das erschien ihm von jeglichem Sinn befreit. Also hat er den Kampf gegen Formeln, die keiner verstanden hatte, angetreten und selbst angefangen, Erklärvideos zu drehen. “Es gab sehr viele positive Rückmeldungen”, erzählt er lächelnd. Sein YouTube-Kanal, wo er auf Arabisch Mechanik- und Mathematikkurse führte, zählt über 38.000 Abonnenten. Diese Arbeit ruht allerdings, seitdem sich Ahmed Imam entschieden hat, sich komplett umzuorientieren und im sozialen Bereich tätig zu werden.

Warum man das Fach Maschinenbau in „Bildung in Kindheit und Jugend“ umtauscht? Schon in Ägypten hat sich Imam in einem Team von Fun Science engagiert. Man wollte auch hier, dass Lernen ein bisschen Spaß macht und habe angefangen, große Veranstaltungen an der Uni zu organisieren: “Dabei konnten die Leute an verschiedenen Stationen Spiele spielen und dabei eben je ein wissenschaftliches Konzept erlernen.”

“Fun Sciene” als Anstoß zum Berufswunsch-Wechsel

Mit einem kleinen Team und zwei großen Veranstaltungen habe es begonnen. Nach zwei Jahren waren schon 200 Freiwillige aktiv. Als die weiter und weiter wuchs, habe sich entschieden, auch an Schulen zu gehen. “Wir haben dort riesige Events veranstaltet, zum Beispiel ein Riesenzelt mit 30 Stationen für Experimente aufgebaut, wo die Schulklassen viel Spaß am Lernen hatten”, erinnert sich Imam. Es war sein erster Berührungspunkt mit Schulkindern und Pädagogik. Er mochte Physik, Mathematik und Maschinenbau, war sich aber unsicher, ob er später im Beruf im Büro sitzen und die ganze Zeit irgendwas am PC machen wollte. Das war der erste Anstoß. Danach hat er sich entschieden, Deutsch zu lernen und ist mit dem neuen Studienfachwunsch im Gepäck 2016 nach Deutschland gegangen.

Ausgezeichneter Student

Heute, nachdem er 2020 das Bachelorstudium „Bildung in Kindheit und Jugend“ an der Hochschule RheinMain erfolgreich abgeschlossen hat, und im gleichen Jahr mit dem DAAD-Preis für besondere Leistungen ausländischer Studierender ausgezeichnet wurde, ist er sehr dankbar, diesen Weg gewählt zu haben. Die offene Jugendarbeit mache ihn sehr viel Spaß: “Man kann sehr viel flexibler seine Ideen einbringen und verschiedene Projekte machen.” Imams Buch „Halb-starke. Gespräche mit Kindern und Jugendlichen über … alles“ ist ein solches Projekt, entstanden im Rahmen eines Praktikums im Kinder-, Jugend- und Stadtteilzentrum Biebrich.

Kritik am System: Kinder werden stummgeschaltet

Bei der mobilen Jugendarbeit im Viertel geht es Imam hauptsächlich darum, den Kindern trotz der Armut, in der sie leben, ihnn Ressourcen zur Verfügung zu stellen – in Form von Freizeit, Spielen, Ansprechpartnern und Raum.

Bemerkenswert auch sein Aufsatz „Give the kids some Freedom. The dark side of the social work“, veröffentlicht 2020 nach seiner Tätigkeit als Sozialkompetenztrainer in einer Einrichtung. Dort hatte er mit Kindern zu tun, die in der Schule auffällig waren. Ihm sei dabei aufgefallen, wie deren Sozialverhalten mit Noten ausgemessen wurde, ebenso wie ihre Fähigkeiten in Mathematik oder Englisch.

Er habe den Eindruck bekommen, diese Kinder würden komplett überwacht. Komme ein Kind in das System rein, also in das Sozialkompetenztraining, würden die ganze Zeit Berichte geschrieben und alles ausgemessen: “Das Kind hat gar keinen Freiraum mehr, es wird dauerhaft beobachtet.” Seinem Eindruck nach war das Ziel eher, die Kinder stummzuschalten, sodass das System weiter läuft.

In Biebrich ist Imam auch in der Förderung von Engagement und Beteiligung von Jugendlichen tätig. Die Kinder wählen selbst Sprecher für das Jugendzentrum. Das gewählte Kind hat dann Ressourcen und kann sie in dem Jugendzentrum und seinem Wahlprogramm investieren. Von der Politik wünscht sich der Sozialarbeiter “keine halben, sondern ganze Lösungen – einfach groß denken.”