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Anonym Gutes tun: Wie Ehrenamtliche bei der Telefonseelsorge in Krisen beistehen  

Von Sabine Eyert-Kobler. Foto Kai Pelka. 

„Im Jahr 2022 haben wir rund 12.000 Seelsorgegespräche geführt“, sagt Dr. Christopher Linden. Der promovierte katholische Theologe und Psychologe ist seit 1990 fest angestellt in der Krisen- und Lebensberatung der Telefonseelsorge Mainz-Wiesbaden, die in diesem Jahr 50-jähriges Bestehen feiert. Im Vergleich zu 2021 waren das 820 Anrufe mehr. Der Anstieg wird auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie und den Kriegsausbruch zurückgeführt.

Grund für die Anrufe sei aber, so Lindens Einschätzung, eher die ohnehin geschwächte Grundverfassung der Menschen. „Mehr als 60 Prozent der Menschen, die anrufen, leben allein und haben niemanden zum Reden“, beschreibt der Fachmann deren Situation.

Die Gedanken kreisten um die immer gleichen Themen und Ängste: „Jemand hat zum Beispiel die Diagnose Krebs erhalten und es zieht ihm den Boden unter den Füßen weg. Oder jemand spielt mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen.“ In jedem elften Gespräch sei das ein Thema, bundesweit betreffe es acht Prozent der Anrufenden. Andere seien chronisch krank, vielleicht sogar arbeitsunfähig oder depressiv: “Diese Menschen sind in unserer Region relativ schlecht versorgt, vor allem nachts und am Wochenende.“

Gedanken am Telefon sortieren

Bei den Telefonaten gehe es darum, auf die Gefühle der Anrufenden einzugehen, die Gedanken am Telefon zu sortieren und das Versprechen zu geben: „Ich bin nachts für Sie da, und morgen können Sie mit Ihrem Arzt über Ihre Sorgen sprechen.“ Die größte Gruppe der Ratsuchenden ist zwischen 40 und 60 Jahre alt. „Bei einem Drittel dominieren Themen wie Trennung und Krankheit. Für Kinder und Jugendliche gibt es ein eigenes Sorgentelefon.“ Die Entwicklung der Telefonseelsorge wurde maßgeblich durch das Aufkommen des Mobiltelefons vorangetrieben. Die Zahl der Anrufenden stieg sprunghaft von 1,2 Millionen auf 2 Millionen in ganz Deutschland. Heute können Menschen jederzeit und von überall anonym um Hilfe bitten. „Wir werden sogar aus der S-Bahn angerufen“, so Linden.

Generationswechsel

Bei den Hauptamtlichen steht ein Generationswechsel an. „2025/26 werden zwei von fünf Personen unseres Leitungsteams in den Ruhestand gehen“, erklärt Linden. Für ihre Arbeit werden sie ausschließlich von der evangelischen und katholischen Kirche bezahlt. Dass es keine öffentlichen Zuschüsse gebe, sei bisher noch kein Problem. Da die Kirchen aber immer mehr Mitglieder verlieren, müsse sich langfristig an den Einnahmequellen etwas ändern. Für die Zukunft plant die Telefonseelsorge Mainz-Wiesbaden, ihre Arbeit auch direkt online anzubieten. Bislang erfolgt die Beratung telefonisch oder persönlich in der Krisenberatungsstelle.  Das seit 25 Jahren parallel bestehende Online-Angebot mit Chat- und E-Mail-Funktion ist zwar weltweit nutzbar, wird aber von anderen Standorten aus betreut. Die App „Krisenkompass“ ergänzt das Angebot und wurde speziell für suizidgefährdete Menschen, schwer trauernde Menschen und deren Angehörige entwickelt.

Vor allem weibliche Ehrenamtliche

„Die größte Gruppe der insgesamt achtzig Ehrenamtlichen in Wiesbaden und Mainz ist zwischen 40 und 65 Jahre alt und zu 80 Prozent weiblich“, sagt Linden. Einige suchten nach dem Berufsleben eine sinnvolle Beschäftigung. Es gebe aber auch junge Leute, die sich wie Linden damals während des Studiums engagieren. „Das Amt hat viel mit Kommunikation und Gefühl zu tun. Männer tun sich da etwas schwerer“, so der Profi. Wer sich unverbindlich informieren will, kann dies auch bei der 1. Wiesbadener Engagementmesse wi-do-it am 15. Juli im RMCC tun. Hier gehört die Telefonseelsorge zu den etwa vierzig Ausstellern.

Eine der hiesigen Ehrenamtlichen ist Reni (Name geändert). Die 65-Jährige ist vor 30 Jahren in die Freiwilligenarbeit eingestiegen. Weil sie keine Kinder wollte, hatte sie das Bedürfnis, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Ein Fernsehbericht brachte sie auf die Idee, sich bei der Telefonseelsorge zu engagieren: „Die Ausbildung und die Arbeit dort versprachen mir persönliches Wachstum und ein Entwicklungsangebot für meine sehr schwach ausgeprägte Abgrenzungsfähigkeit“. Letzteres erlebte sie in der täglichen Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen immer wieder. „Präsenzfähigkeit, aktives Zuhören ohne gleich Lösungsvorschläge zu machen und Empathie“ würden gefördert: „Ich habe einen genaueren Blick auf die sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft bekommen, was auch mein Wahlverhalten verändert hat. Mein Verständnis, meine Toleranz für Menschen, die sich in sehr prekären Situationen befinden, ist viel größer geworden“.

Berührende Gespräche

Grundsätzlich beeindruckt sie in den Gesprächen das Vertrauen, das ihr entgegengebracht wird, die zum Teil möglichen Naherfahrungen und wie deutlich sich die Stimmung innerhalb eines Gesprächs verändern kann. Die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen sie in ihrer Arbeit. „Es gibt jederzeit die Möglichkeit für ein persönliches Gespräch.“ Hinzu kämen Supervisionssitzungen und Fortbildungen, die einmal im Jahr stattfinden.

„Das Ehrenamt eignet sich nicht, um im Freundes- und Bekanntenkreis das eigene Ego aufzupolieren, denn diese Arbeit ist anonym.“ Man müsse seine eigenen Werte und Reaktionen vorher auf den Prüfstand stellen. Für die einjährige Ausbildung, die im März 2024 beginnt, können sich Interessierte unter www.telefonseelsorge-mz-wi.de bewerben. Die Auswahlgespräche finden voraussichtlich ab September 2023 statt. Vorher wird erstmal gefeiert. Anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des 1973 gegründeten ökumenischen Vereins steigt am  2. Juli von 13 bis 18 Uhr in der Reduit in Mainz-Kastel ein öffentliches Sommerfest. In Anlehnung an die Theodor-Heuss-Brücke, die die Städte Mainz und Wiesbaden verbindet, lautet das Motto „Worte können Brücken bauen“.

Rund um die Uhr erreichbar

Die Telefonseelsorge Mainz-Wiesbaden ist rund um die Uhr kostenlos erreichbar unter 0800 1110111 und 0800 1110222.

Anstoßen mit Wasser auf den guten Zweck und die Arbeit der Telefonseelsorge – Thomas Weinert und Claudia Orthlauf-Blooß (Telefonseelsorge Mainz-Wiesbaden), Künstlerin Alice Born, Ralf Schodlok (Vorstandsvorsitzender der ESWE Versorgungs AG) sowie Berater Klaus Reese. Foto: Paul Müller

Weinwoche-Wasserglas für guten Zweck

Das ESWE Wasserglas auf der noch bis zum 20. August laufenden Rheingauer Weinwoche ist wieder streng limitiert auf 6000 Stück. Zu bekommen ist es am Wasserstand von ESWE Versorgung auf dem Schlossplatz – solange der Vorrat reicht.

Gestaltet wurde das Wasserglas 2023 von Alice Born. Neben dem hessischen Löwen in der gelben Lilienfarbe des Wiesbadener Stadtwappens ziert das Motiv das markante Rautenmuster eines „Gerippten“. Zusätzlich zum hessischen Aufruf „Babbel net. Trink Kraanewasser!“ prangen noch drei Wasserstandsanzeigen auf der Abbildung. Oben steht „Isch hab Dorscht!“, in der Mitte „Glei geschafft!“ und unten „Feddisch“.

Der Gesamterlös des Wasserglas-Verkaufs ist wie immer für einen guten Zweck bestimmt. Diesmal geht das Geld an die TelefonSeelsorge Mainz-Wiesbaden: Unter dem Motto „Sorgen kann man teilen“ gewährleisten dort rund 90 ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeitende einen 24-Stunden-Dienst. Der eingetragene Verein feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag.