Das Tanzfestival Rhein springt auf die Zielgerade – und bringt auch spannende Produktionen nach Wiesbaden, wo auch das Finale des internationalen Festivals gefeiert wird.
Doch zunächst lohnt sich für Tanzfans noch der Weg nach Darmstadt und Frankfurt. Der südafrikanische Choreograf Gregory Maqoma folgt zusammen mit dem Komponisten und Theatermacher Thuthuka Sibisi in „Broken Chord“ auch heute nochmal (19.30 Uhr) im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt den Spuren des vergessenen African Choir – ein Chor, der im 19. Jahrhundert das europäische Publikum begeisterte und die Vorstellung von afrikanischer Musik prägte. Das Stück ist zugleich eine bewegende Auseinandersetzung mit den kolonialen Verstrickungen, die bis in die Gegenwart hineinwirken.
Der in Neapel geborene Choreograf Alessandro Schiattarella erzählt in „Zer-brech-lich“ am 13. und 14.11. in der Großen Halle des Frankfurt LAB von der Verschiedenheit der Körper und lässt drei Performer:innen auf der Suche nach dem Pop-Moment ein glamouröses Tanz-Konzert feiern.
Verena Billinger & Sebastian Schulz bringen in „Geteilter Abend“ ihre so lust- wie kraftvolle Choreografie über Öffentlichkeit und Privatheit, Kontrollverlust und Selbstermächtigung im Mousonturm vom 16.-18.11. zur Uraufführung.
In „À la carte“, dem ersten Stück von Ioannis Mandafounis, dem neuen künstlerischen Leiter der Dresden Frankfurt Dance Company, das im Bockenheimer Depot vom 15.-18.11. im Rahmen des Tanzfestivals zur Uraufführung kommt, kann das Publikum mit Hilfe einer „Speisekarte“ – oder vielmehr „Tanzkarte“ mit einer Szenenauswahl Teil des kreativen Prozesses werden und den Verlauf der Aufführung beeinflussen. Mit kreativem Feuer nimmt das Tanz-Ensemble die vom Publikum gewählten dramaturgischen und rhythmischen Linien auf und bringt sie jeden Abend neu in Bewegung.
Mehr als eine Grundsatzfrage: Wie kann der Tanz selbst als Frage in Erscheinung treten und unsere Wahrnehmung von Kunst in Bewegung versetzen? In seiner Abschlussarbeit mit dem Titel „205 Questions about Dance“ des Masterstudiums „Choreografie und Performance“ an der Universität Gießen blickt der junge Choreograf Islam Elnebishy vom 16.–18.11. im Mousonturm, Studio 1 auf seine eigene Tanzpraxis zurück und befragt die Grundannahmen der eigenen Ausbildung.
Das Tanzfestival in Wiesbaden
Sieben Tänzer:innen bewegen sich in „Correction“ von VerTeDance, Jiří Havelka & Clarinet Factory, das – für Menschen ab 10 Jahren – am 14.11. und 15.11. im Staatstheater Wiesbaden, Kleines Haus, zu erleben ist, in einem scheinbaren Widerspruch: Obwohl sie nie ihren Platz verlassen, gleiten sie dennoch frei im Raum. Jeder Befreiungsversuch ist zwecklos. Ihre Körper schwingen sanft von links nach rechts, von rechts nach links, synchron wie ein menschliches Pendel.
Lovísa Ósk Gunnarsdóttir nimmt das Publikum in ihrem Stück „When the Bleeding Stops“ mit in eine Welt der Verletzlichkeit, der Scham, der Empathie und des Humors. Das Stück begibt sich auf Tuchfühlung mit einer spezifischen weiblichen Erfahrung und lädt am 14.11. und 15.11. in der Wartburg dazu ein, mit den Frauen zu lachen, zu weinen und zu feiern und verleiht so Frauen in der Menopause eine Stimme.
Stimmen ohne Körper, Lächeln ohne Münder, Tränen ohne Augen: Durch die Magie des Bauchredens schaffen in Joachim Maudets „Welcome“, drei Stimmen wundersame poetische Räume und durch die Kluft zwischen dem Gesagten und dem Erlebten vielfältige Erzählungen. Ein absurder Abend, der das Publikum am 15.11. im Kleinen Haus des Staatstheaters zum Wundern und Schmunzeln einlädt.
Es blubbert, rieselt und plätschert, wenn die drei Tänzer:innen in der wunderbar leichten Welt tauchen, paddeln und umherschwimmen, die sich der Tänzer und Choreograf Felix Berner in seiner Produktion „blau“ für Kinder ab 2 Jahren ausgedacht hat. Ein anschauliches Stück, in dem sich alles um das Element des Lebens, ums Wasser dreht; zu erleben am 16.11. und 18.11. im Staatstheater-Studio.
Am 17.11. laden Hannah Shakti Bühler & Simon Mayer in der Wartburg zu einem Tanzkonzert und zeitgenössischen Ritual, in dem die Grenzen zweier Körper ineinanderfließen und zu einem gemeinschaftlichen Tanzerlebnis transformieren, zum „Somatic Tratata: Rhythm, Rapture and Romance + Folkdance Party“.
Eine Aura des Vergänglichen schimmert durch das von Ohad Naharin mit dem Hessischen Staatsballett geschaffene „Last Work“ (Foto oben), das am 18.11. als Wiesbadener Premiere – und als Abschluss des Tanzfestivals Rhein Main – im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters gezeigt wird. „Last Work“ ist ein energetisch-dichtes Tanzstück des Leiters der Batsheva Dance Company, das auch durch eine gedämpfte Ruhe und meditative Grundspannung wird, die neben dem dynamischen Tanz von den elektronischen Sounds des deutschen DJs Grischa Lichtenberger getragen wird. `»Last Work« ist das Stück zur Stunde, in all seiner Vieldeutigkeit, die nicht wattige Unentschiedenheit ist, sondern Schärfe. Sie schneidet ins Gehirn als Warnung vorm schnellen Urteilen, Schwarz-Weiß-Sortieren, vor Denk- und Gefühlsträgheit´, schrieb die FAZ.
Alle Infos und das volle Programm unter www.tanzfestivalrheinmain.de
Gaga-Workshop
Gaga ist eine Bewegungssprache, die von Choreograf Ohad Naharin im Laufe vieler Jahre entwickelt wurde und von den Mitgliedern seiner Batsheva Dance Company in der täglichen Praxis angewendet wird. Gaga ist eine neue Art, Wissen und Selbsterkenntnis durch den eigenen Körper zu erlangen. Die Tanztechnik bietet einen Rahmen, um den eigenen Körper zu entdecken und Flexibilität, Ausdauer und Beweglichkeit zu steigern, während gleichzeitig die Sinne und die Vorstellungskraft beflügelt werden. Am 16.11. um 18 Uhr können Interessierte ab 16 Uhr, auch ohne tänzerische Vorkenntnisse, in einem Workshop mit Federico Longo ihre eigene Gaga-Erfahrung machen.
Die Tanzplattform Rhein-Main ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Künstlerhaus Mousonturm und dem Hessischen Staatsballett, das wiederum zu den beiden Staatstheatern in Darmstadt und Wiesbaden gehört. Erstmals haben sich damit die Tanzsparte zweier Staatstheater und ein internationales Produktionshaus über einen längeren Zeitraum zusammengetan – und bringen ihren kreativen Input, ihre Ideen und Erfahrungen ein.
(svn/ Fotos: Veranstalter)