Interview: David Gutsche (sensor Mainz-Chef), Foto: Arne Landwehr.
BERUF
Warum hörst du beim sensor auf, und was machst du denn nun?
Ich höre auf, weil sich eine neue Aufgabe aufgetan hat, wo es bei der Aussicht darauf so intensiv und anhaltend gekribbelt hat, dass ich zu dem Schluss kam: Für diesen neuen Traumjob kann ich mich, in großer Dankbarkeit und Demut, nach nun 13 Jahren vom bisherigen Traumjob sensor verabschieden. Das berühmte lachende und weinende Auge hat natürlich Großeinsatz. Der neue Job ist in der Pressekoordination bei meinem Lieblingssender arte und dreht sich um vielschichtige Aufgaben – Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch spannende Kooperationen, Partnerschaften und Projekte sowie Veranstaltungen bis hin zu Marketing. Der inhaltliche und thematische Horizont weitet sich, und der Radius weitet sich nach ganz Deutschland und darüber hinaus.
Wird es den sensor Wiesbaden weiterhin geben? Und wenn ja, wer macht den?
sensor lives on! Danke für diese wichtige Entscheidung an die VRM. Mit Christian Struck haben wir einen buchstäblich ausgezeichneten Nachfolger gefunden. Er ist Wiesbadener, er ist Lokaljournalist, er hat schon Preise für seine Reportagen gewonnen. Er kennt, liebt und versteht sensor seit der ersten Ausgabe, und er ist tief in der Wiesbadener Kulturszene verwurzelt, ist auch selbst kreativ und künstlerisch aktiv. Ein echter Glücksgriff, da sind wir uns hier alle einig.
Kann man dich überhaupt ersetzen?
Viele haben in ersten Reaktionen gesagt, „auf keinen Fall – du bist doch der sensor“, was mich natürlich ehrt und mir schmeichelt. Und ich selbst habe es mich ehrlich gesagt auch gefragt, nicht aus Eitelkeit und Selbstüberschätzung, sondern in Sorge um die sensor-Zukunft. sensor war und ist für mich ja nie einfach nur ein Job, sondern auch eine Aufgabe. Eine immense Verantwortung, verbunden mit entsprechenden Erwartungshaltungen. Seit aber klar ist, dass Christian übernimmt, bin ich komplett überzeugt: Aber klar kann man mich ersetzen! Christian wird sensor einerseits auf der gewachsenen Basis weiterführen und ihm außerdem im besten Fall, vierzehn Jahre jünger und frischer als ich und vor Ideen nur so sprudelnd, nochmal einen wohltuenden neuen Kick verpassen.
Braucht eine Stadt so ein Magazin überhaupt?
Nach den Rückmeldungen, die ich wirklich so gut wie täglich aus den unterschiedlichsten Richtungen bekomme – im Prinzip von Tag 1 an und in den letzten Jahren und Monaten mehr denn je und weit über unsere ursprünglich mal angepeilten Zielgruppen hinaus: eindeutig Ja! Als Plattform und Stimme für andere Blicke auf Themen und Menschen, die sonst vielleicht übersehen werden. Ein Stadtmagazin hat eine besondere Funktion, ist agiler, freier, auch frecher und unkonventioneller, hat andere Zugänge und auch Credibility. All das macht ein Magazin wie sensor für eine Stadt unverzichtbar.
Was waren deine Highlights in den 12 Jahren?
Die Menschen. Jene, über die wir geschrieben haben. Jene, mit denen ich zusammenarbeiten durfte – innerhalb des Teams und Verlags und außerhalb. All die Einblicke, Kontakte und Vernetzung, Partnerschaften bis hin zu Freundschaften. Auch die Entwicklung der Stadt ist für mich tatsächlich ein Highlight. Wiesbaden ist heute eine andere als zum Start von sensor. Ich habe immer vom überfälligen Update für Wiesbaden gesprochen. „Zu viel Veränderung is´ aach nitt so gut“, meinte mal ein damals amtierender Wirtschaftsdezernent zu mir. Diese Wiesbaden-Mentalität hat zum Glück, vielleicht sogar with a little help from sensor, ausgedient. Wiesbaden 2024 ist frischer, dynamischer, staubbefreiter, zeitgemäßer, diverser, urbaner als Wiesbaden 2012. Was nicht heißen soll, dass nicht weiterhin Luft nach oben ist und dass es nicht weiterhin Strukturen und Akteure in der Stadt gäbe, die Dinge be- und verhindern. Aber: Es gibt geniale Spots und einen guten Spirit. Auch dank einer neuen jungen Generation von Kreativen. Nicht mehr so viel dicke Eier und Aufgeblasenheit, viel mehr Miteinander, echte gegenseitige Neugier, Wertschätzung – von Egos zu Kollektiven, das tut der Welt gut und Wiesbaden erst recht.
MENSCH
Wird dir das nicht fehlen, dieses ganze unterwegs sein in der Stadt?
Ich fürchte schon. Auf meinen Wegen aus dem und ins sensor-Headquarter im Pressehaus, mittendrin im Stadtgeschehen, habe ich das Flanieren kultiviert. Sofort alles sehen, was sich tut – oder auch nicht tut – in der Stadt, ständig jemanden treffen, Neues erfahren … dafür ist die Innenstadt Wiesbadens in ihrer Kompaktheit wie gemacht (weshalb ich auch nach dem ersten sensor-Jahr mein Auto abgeschafft habe). Ein Wiesbaden übrigens, wie ich in meinem allerersten Editorial geschrieben hatte, von der Wilhelmstraße bis zur Wellritzstraße, durch die ich auf meinem täglichen Heimweg gehe und die als lebenspraller Mikrokosmos, anders als oft kolportiert wird, alles andere als eine Gefahrenzone ist.
Was sagt deine Frau zum Wechsel?
Der wird genau das nicht fehlen: auf Schritt und Tritt, auch während wertvoller Zweisamkeit-Zeit, angesprochen zu werden mit „kannst du mal …?“, „du musst mal …!“. Sie hat aber, dickstes Danke dafür, den sensor und meinen Einsatz mit und für sensor immer, also fast immer ;-), supportet. Und fiebert nun auch mit mir meinem neuen Job entgegen.
Warum immer nur Udo Jürgens und New York, hast du keine anderen Hobbies?
Viel zu viele! Es ist sogar ein bisschen mein Problem, dass ich mich für ungefähr alles interessiere. New York und Udo Jürgens, für mich nicht nur großartiger Sänger, Komponist und wohl weltbester deutschsprachiger Entertainer, sondern auch eine Art Role Model, sind meine prägenden konstanten Leidenschaften – neben Musik generell und vor allem Livemusik sowie Kunst und vor allem Fotografie sowie dem Reisen. Und ich bin wirklich ein Magazinjunkie. Udo Jürgens selbst war übrigens nicht niemals, sondern sehr häufig in New York und wurde auch von der dortigen unglaublichen Jazzszene sehr geprägt.
Schon witzig, dass du jetzt immer nach Mainz zum Arbeiten fahren musst? Bist du dann Mainzer oder (wie) bleibst du Wiesbaden erhalten?
Ich bleibe Wiesbaden erhalten oder auch, je nach Sichtweise, nicht erspart. Allein schon durch diverse Engagements, allen voran Kulturbeirat, außerdem Presseclub, IHK-Ausschüsse oder auch dem Podcast „Was geht, Wiesbaden!?“. Ich bleibe wohnen im geliebten Westend. Und ich träume davon, vielleicht sogar mehr Zeit zu finden als bisher, die vielen großartigen Veranstaltungen, die ich im sensor immer angekündigt habe, auch tatsächlich zu besuchen. Gerne auch mal in Mainz. Und: Auch manche Arte-Wege werden mich wieder nach Wiesbaden führen, habe ich schon erfreut vernommen. Auch hier gab und gibt es Kooperationen mit Kulturevents und -einrichtungen.
Was hat du über Menschen gelernt, wenn man in den Medien arbeitet?
Wie wichtig es ist für Menschen, gesehen und gehört zu werden. Und dass jeder Mensch es wert ist, unvoreingenommen gehört und gesehen zu werden. Das ist wichtig für unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben. Deshalb braucht es Plattformen der Pluralität mehr denn je. Womit wir wieder bei der Frage wären, ob eine Stadt so ein Magazin wie sensor überhaupt braucht.
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Weiterlese-Tipp: Abschieds-Editorial „Mach´s gut, Wiesbaden!“