Interview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.
BERUF
Warum gibt es „Kultur im Park“?
Am Anfang hatte hier die Stadt eine schäbige Wiese geschaffen. Man war dann überrascht, dass diese trotzdem eine Menge Leute anzog, die auch gewaltige Müllberge hinterließen. Das war um 2006. Es kamen auch unangenehme Gestalten, die nicht Grillen und Chillen im Sinn hatten. Sie kamen eher, um zu peilen, wem sie das Handy abnehmen können. Der traurige Höhepunkt war, als im November 2010 der 18-jährige Fabian Senft totgeschlagen wurde. Als es kurz darauf noch einen Raub mit Messer gab, hat der Schlachthof gesagt: So geht das nicht weiter, die Menschen müssen hier angstfrei herkommen können. Innerhalb von sieben Tagen war ein Securitydienst von 19 bis 4 Uhr morgens organisiert, und es gab eine starke Polizeipräsenz, Streifenwagen standen auf der Wiese. Nach einem Jahr stellte man fest: Die Wiese ist nun sicher, aber jetzt kommt gar keiner mehr hierher. Das war die Geburtsstunde von Kultur im Park.
Was haben Sie mit „Kultur im Park“ seit 2012 geschaffen und geschafft?
Unser Auftrag war es, das Gelände friedlich wiederzubeleben. Der Absender ist eigentlich erst mal egal. Hauptsache, die Leute registrieren: Da ist ein Raum, wo wir hingehen können. Das Gelände hat sich sehr verändert, es ist kein Jugendzentrum auf der Wiese, sondern ein Ort für ganz unterschiedliche Besuchergruppen. Es entwickelt sich auch in Richtung junge Familien, bietet Sportstätten und Spielgeräte, Volleyball, Skater, Slackline und bald Calisthenics. Unsere Aufgabe ist es nicht, die Wiese zu zähmen, sondern zu zeigen: Hier geht einiges. Viele kommen mit eigenen Ideen zu uns. Alles, was sich umsetzen lässt, wird von uns mit Handkuss genommen. Wir machen kein Animationsprogramm, sondern wollen Erlebnis zulassen und anzetteln. Dazu gehören auch Happenings, wie ein temporärer Golfplatz oder eine FKK –Woche. Jeden Freitag um 18 Uhr findet ein Konzert statt, jeden Samstagnachmittag „Sounds in the Sun“ mit DJs. Die Veranstaltungen finden mit Blick auf die bekannte Lärmproblematik immer am frühen Abend statt, wir legen großen Wert auf leise Töne.
Dürfen Sie als Verantwortliche seitens der Stadt alles machen, was Sie wollen?
Wir haben in dem, was wir tun, freie Hand. Wir versuchen, dem Kulturpark einen eigenen Charakter zu verleihen so wie der Kurpark einen eigenen Charakter hat. Viele Dinge, die anderswo nicht möglich wären, sind hier gerne gesehen. Unser großer Trumpf ist auch die längste Abendsonne Wiesbadens. Wir sind immer involviert, genau wie die Nachbarn von Schlachthof und Kreativfabrik, wenn es darum geht, das Gelände weiterzuentwickeln, bei der Frage, was gebraucht wird. Alle haben das Ziel, dass der Platz offen für vieles bleibt und wir uns nicht so sehr festlegen auf bestimmte Nutzungen. Deshalb finden auch Bebauungen immer am Rande statt – auch mit dem Hintergedanken, dass hier grundsätzlich auch noch 12.000-er-Open-Air-Konzerte möglich sein sollen.
In den Sozialen Medien beschreiben manche Besorgte den Kulturpark immer noch als „No-Go-Area“. Muss sich hier wirklich niemand mehr fürchten?
Wo viele gut gelaunte Menschen zusammenkommen, passiert nicht viel. Die Polizei ist begeistert. Die Streifen kommen oft bei uns vorbei, um sich hier ein wenig vom Mauritiusplatz zu erholen. Wenn wir vor Ort sind, hissen wir unsere Fahne – als Zeichen an die das Publikum, das wir da sind, aber auch für die Polizei, die muss dann gar nicht aussteigen, wenn sie hier Streife fährt. Es gibt auch eine starke soziale Kontrolle. Das Gelände ist praktisch von 8 Uhr morgens, wenn die ersten Schlachthof-Mitarbeiter ins Büro gehen, bis in die Nacht hinein unter Aufsicht. Wir bekommen überall sehr positive Resonanz.
Klingt fast, als wären Sie wunschlos glücklich?
Ein Irrsinn ist, dass es keine öffentlichen Toiletten im Park gibt. Wir haben kein Verständnis dafür, dass man uns seit fünf Jahren erklärt, das geht „gerade“ nicht. Viele Ideen wurden wieder verworfen. Da gehen die Leute natürlich in die Büsche oder eben ins 60/40, was aber auch kein Dauerzustand sein kann.
MENSCH
Ihr Name ist eng mit dem „Folklore“-Festival verbunden, das es seit dem jähen Ende im Sommer 2015 nicht mehr gibt. Was glauben Sie: Bekommt Wiesbaden nochmal etwas Vergleichbares hin?
Früher war ich im Schlachthof auch für Folklore zuständig. Die neue Rathaus-Mehrheit hat sich für ein neues Festival ab 2018 ausgesprochen. Sie kennen das neue Konzept der Vierergruppe aus Schlachthof, Kreativfabrik, Kulturpalast und Palast Promotion, die zusammen eine Projektskizze erarbeitet haben für ein soziokulturelles Open Air* bei freiem Eintritt. Das wird natürlich etwas anderes sein als es Folklore war mit seinem 600.000-Euro-Etat und 120.000 Euro Zuschuss. So etwas wird es sicher nicht mehr geben. Für unser aktuelles Preisschild von 185.000 Euro wird man nicht kriegen, was man früher für 600.000 Euro bekommen hat. Es dürfte ein anschauliches Festchen werden. Der Ort ist bestens geeignet, und die Chancen sind gut, jetzt wo die Politik gesagt hat, sie will es.
Eine Hauptzielgruppe Ihrer Arbeit ist die junge Generation. Fällt es mit zunehmenden Lebensjahren schwerer, den Anschluss zur Jugend zu halten?
Wir lassen uns gerne beraten von deutlich jüngeren Menschen. Im Park ist es aber gut, dass sich erfahrene Leute der Aufgaben annehmen wie mein Kollege Peter Beck oder ich, die von Beginn an im Schlachthof aktiv waren und Folklore-Erfahrung mitbringen – eine Erfahrung, die sagt: Da geht was, wir müssen groß denken, dürfen vor nichts zurückschrecken. Wir planen aber bei „Kultur im Park“ bewusst kein Jugendprogramm, sondern einfach ein Programm. Wir wollen die Idee eines coolen Platzes für alle verbreiten.
Und umgekehrt – ist in Wiesbaden eine neue Generation von Menschen in Sicht, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, Dinge anzupacken und zu gestalten?
Mit dem Engagement scheint es schwieriger zu werden – früher gab es Musikbewegungen, die Hippies, Ökos, Atomkraft- und Startbahn West-Gegner, auch eine Hausbesetzerszene in Wiesbaden. Heute spielt sich das alles viel individueller ab, die jungen Leute sind viel in den sozialen Medien unterwegs. Sie beschweren sich nicht, dass es langweilig wäre. Sie gehen ihren Interessen nach, wir bieten Anregungen – ganz offen. Es passt alles, und was nicht passt, wird passend gemacht. Der Park ist groß genug für alle und alles.
Sie wirken immer sehr ernst – wenn Sie dann doch mal lachen: worüber?
(lacht – ein bisschen) Das kann ich nicht abstellen. Im Wiesbadener Kurier stand mal über mich, ich wäre der Mann, der niemals lacht. Dabei bin ich überhaupt nicht grimmig und freue mich über vieles. Ich schaffe es nur scheinbar nicht, meinen Gesichtsausdruck mit meiner Stimmung übereinzubringen.
Was macht Ihnen, abgesehen von „Kultur im Park“, Lust auf raus?
Ich mache gerne Camping, gerade neulich habe ich ein Wochenende an der Nahe verbracht, da war es nachts noch bitterkalt. Und ich gehe jeden Tag mit meinem Hund spazieren, da bin ich relativ viel draußen – ein kleiner Jack Russel-Dackel-Mischling, ich sage immer „Hund genug“.
(*Die Vision für ein Folklore-Nachfolgefestival wird erstmals öffentlich vorgestellt bei „Der visionäre Frühschoppen im Exil“ in der Skatehalle der Kreativfabrik am Sonntag, 3. September)