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Das große 2×5-Interview: Heleen Gerritsen, Leiterin goEast-Festival des mittel- und osteuropäischen Films

Das große 2×5-Interview mit Heleen Gerritsen, der neuen Leiterin goEast-Festival des mittel- und osteuropäischen Films, 39 Jahre.

Interview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.

BERUF

Sie haben im Herbst 2017 die goEast – Leitung übernommen. Welche neuen eigenen Akzente möchten Sie als Festivalchefin setzen?

Das Festival hat an sich ein sehr klares Profil, da muss man nicht unbedingt das Rad neu erfinden. Ich sehe die Aufgabe nach wie vor darin, die gesamte Bandbreite des Filmschaffens aus Mittel- und Osteuropa zu zeigen, auch jungen Nachwuchstalenten eine Chance zu geben und zu schauen, was für ein deutsches Publikum interessant sein kann. Und dass man bestimmte Vorurteile abbauen kann, die doch immer noch existieren über den „Ostblock“. Neu ist, dass wir zum ersten Mal auch Virtual Reality-Arbeiten zeigen. Da passiert in Mittel- und Osteuropa sehr viel, gerade im experimentellen Bereich, im Westen bekommt man aber noch nicht viel davon zu sehen. Da haben wir sehr spannende, wilde, lustige Projekte entdeckt. Darauf freue ich mich.

Welche Vorurteile existieren denn trotz mittlerweile 18 Jahren goEast weiterhin?

Zum Teil verbreiten die Regierungen der Länder Mittel- und Osteuropas und auch die Medien ein bestimmtes Bild.  Gerade sieht man Tendenzen gegen die EU, gegen den Feminismus, gegen Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben. Auch in Deutschland gibt es einen Rechtsruck, aber der ist in Mittel- und Osteuropa noch etwas stärker. Doch es gibt sehr viele Filmschaffende, die damit überhaupt nicht einverstanden sind und die trotz der politischen Lage wunderbare Filme machen. Ich finde es auch wichtig, dass man dem Publikum hier zeigt, dass eine Gesellschaft nicht homogen ist, dass es unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen gibt. Das Kino ist dafür ein wunderbares Medium, weil es niederschwellig und leicht zugänglich ist.

Sind osteuropäische Künstler in ihrer Opposition homogen, oder gibt es auch Filmemacher auf Regierungslinie?

Oh ja, es werden bei uns auch schreckliche Historienschinken eingereicht. Wir zeigen auch Beispiele dafür, allerdings nichts Zeitgenössisches. Wir haben die Spezialsektion „Prag 1968“, weil der „Prager Frühling“ fünfzig Jahre her ist. Nach 1968 gab es die Welle der Repression, von der viele Künstler betroffen waren. Wir machen eine Gegenüberstellung, zeigen zum Beispiel „Oratorium für Prag“ von Jan Němec, dessen Filme verboten wurden. Er war eigentlich der einzige, der im August 1968 mit einer Kamera losgezogen ist und in Prag auf den Straßen die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen gefilmt hat. Und als Gegenstück haben wir einen Propagandafilm aus der Sowjetunion. In dem Film wird nonstop gelabert, wirklich ein klassischer Propagandafilm. Ich finde es interessant, sich das in dem angemessenen Kontext auch mal anzuschauen.

Kultur, Kino, Kunst – das hat auch immer viel mit Kosten zu tun. In welchem Verhältnis kümmern Sie sich als Festivalleiterin um das eine und das andere?

Es gibt eine Phase, wo man die Filme scoutet, sichtet und Filmschaffende und Produktionsfirmen überreden muss, uns die Filme zu geben. Da ist man sehr stark inhaltlich unterwegs. Aber die ganzen Förderanträge, das kostet auch Zeit. Gerade im ersten Jahr muss ich Vieles und viele Leute kennenlernen. Zwar kann es finanziell immer besser sein, aber eigentlich ist das Festival nicht schlecht aufgestellt.

Wie erleben Sie die Kulturpolitik in Wiesbaden?

Das letzte Festival, das ich geleitet habe, war in Mecklenburg-Vorpommern. Im Vergleich dazu erfahre ich Hessen und Wiesbaden als ganz angenehme warme Badewanne. Man spürt hier das Bewusstsein, dass Kunst wichtig ist in einer Gesellschaft und in einer Stadt. Natürlich gibt es immer etwas, das verbesserungswürdig oder sehr bürokratisch ist. Aber im Allgemeinen habe ich bisher kurze Wege erfahren.

MENSCH

Sie sind auch selbst als Filmemacherin und Produzentin aktiv und haben eine eigene Firma. Bekommen Sie das neben goEast unter einen Hut, oder müssen Sie es aufgeben oder ruhen lassen?

Kombinieren funktioniert leider nicht. Ich arbeite da mit meinem Partner zusammen, der auch mein Lebensgefährte ist, und der führt das jetzt im Alleingang weiter. goEast ist zwar kein Riesenfestival wie die Biennale, aber es ist trotzdem groß.

Sie treten als goEast-Leiterin die Nachfolge von Gaby Babić an, die das Festival über lange Jahre geleitet und geprägt hat. Macht Sie Ihre Premiere nervös?

Jein. Bis jetzt sind alle sehr freundlich und wohlwollend. Besonders gerührt hat mich, dass mir Journalisten aus Osteuropa, die das Festival seit vielen Jahren kennen sehr liebe E-Mails geschrieben haben und mir alles Gute gewünscht haben. Viele sind goEast einfach sehr wohlgesonnen. Das überträgt sich dann auf mich. Zum Glück haben wir ja auch ein paar erfahrene Kräfte im Team, die das nicht zum ersten Mal machen.

goEast ist bekannt für sehr lebhafte und leidenschaftliche Diskussionen – und für wildes Feiern. Streiten und feiern Sie gerne?

Ich führe gerne Diskussionen und lenke sie gerne in gute Bahnen. Die Gespräche und der Austausch sind ein wichtiger Punkt bei Filmfestivals. Das man nicht einfach nur ins Kino geht und Filme schaut, sondern dass man sich auch darüber unterhält – und streitet. Beim Feiern habe ich Durchhaltevermögen. Ich habe ja auch eineinhalb Jahre in Russland gelebt (lacht).

goEast zeigt eine begleitende Ausstellung der slowakischen Fotografin Mária Švarbová zum Thema „Swimming Pool“. Was verbinden Sie mit öffentlichen Schwimmbädern?

Wiesbaden ist bekannt für seine Bäderkultur. Als wir ein Plakatmotiv gesucht haben, bin ich auf Márias retrofuturistischen Bilder gekommen, das hat wunderbar gepasst. Jeder hat Kindheitserinnerungen an Schwimmbäder. Die erste Schwimmstunde, daran kann ich mich auch noch gut erinnern. Die Schwimmbadgeräusche und wie das das erste Mal war, als man ins Schwimmbecken eintauchen durfte. Es hat ein bisschen gekribbelt, aber auch Spaß gemacht, das sind schöne Erinnerungen. Auch die Künstlerin hat sich von diesen Kindheitserinnerungen inspirieren lassen. Gerade habe ich wenig Zeit, um Schwimmen zu gehen oder in Thermen und Saunas. Mein Problem sind immer die Öffnungszeiten von solchen Einrichtungen. Wenn das jetzt nach 23 Uhr noch möglich wäre, dann gerne.

Wie steht es um Ihr Einkaufs- und Shoppingverhalten?

Momentan muss ich gestehen, ganz schrecklich. Durch meine Arbeitszeiten bin ich gezwungen, spät abends einzukaufen. Da geht man dann in den Supermarkt oder bestellt mal online. Eigentlich finde ich aber, dass man gerade auch kleine Läden unterstützen sollte, auch weil ich die persönlichen Beziehungen sehr schätze. Ich mag kleine Spezial- und Kuriositätenläden mit Antiquitäten oder auch gute Buchläden. Da kann ich lange stöbern.

Das goEast-Festival des mittel- und osteuropäischen Films findet in seiner 18. Ausgabe vom 18. bis 24. April in Wiesbaden statt. sensor präsentiert das Festival als Medienpartner.  www.filmfestival-goeast.de