Von Laura Ehlenberger. Fotos Ivgenia Moebus.
Es ist ein warmer Tag im August. Bekleidet in voller Imker-Montur, kümmert sich Luise Kinder gerade um den Schutz ihrer summenden Honigproduzenten. Ein besonderer Schädling, die Varroamilbe, macht den Bienen seit geraumer Zeit, genauer gesagt seit den 1970er-Jahren, das Leben schwer – Aufgabe der Imker ist es, die Tiere davor zu schützen. Dabei kommt Ameisensäure zum Einsatz, die allmählich im Bienenstock verdunstet, um den unliebsamen Parasiten fernzuhalten. Behutsam geht die Jungimkerin vor, unterdes schwirren die fliegenden Tierchen in großer Zahl um sie herum, darunter weibliche Arbeiterinnen – und Drohnen, die Männer im Bienenvolk. „Man erkennt sie an ihrer Größe“, weiß Kinder, nimmt einen von ihnen zärtlich auf ihre Hand und verrät: „Sie können nicht stechen, die Weibchen schon.“ Davon bleibt auch ein erfahrener Imker nie vollkommen verschont. Etwa 40.000 Bienen, vier Bienenstöcke, sind es aktuell, um die sich die Wiesbadenerin kümmert.
Cooles Hobby, das vieles vereint
„Seit 2014 imkere ich nun schon“, erzählt sie. Über die „Bienenfreunde Rhein-Main“ hatte Kinder einen Probekurs an der Volkshochschule absolviert – und diese facettenreiche Tätigkeit für sich entdeckt: „Es ist ein cooles Hobby, weil es viele gute Sachen vereint.“ Um diesem nachgehen zu können, benötigt es jedoch Raum. Über die Stadt fand sie einen Ort im Grünen, ein Wiesenstück im Wellritztal, das an das Grundstück von Familie Traute angrenzt. Die Trautes betreiben hier seit etlichen Jahren eine Gärtnerei. Als das ältere Ehepaar von den Plänen der Jungimkerin erfuhr, bot es ihr eine besser zugängliche Fläche auf dem eigenen Gelände an: „Wir haben uns vom ersten Augenblick an geliebt“, erinnert sich Kinder lachend und mit Dankbarkeit. Seit gut einem Jahr geht sie mit Unterstützung der Trautes und ihrem Freund, zuständig für Website- und Logogestaltung des „Luisenhonigs“, ihrem Hobby nach. Zeitintensiv sei das vor allem in der warmen Jahreszeit: „Dann bin ich mindestens zweimal pro Woche vor Ort.“ Geschleudert – also Honig gewonnen – werde üblicherweise einmal im Juni sowie Juli. Wenn sie nicht bei ihren Bienen ist, arbeitet Kinder als Eventplanerin in einer Agentur – und genießt daher umso mehr die Ruhe des Wellritztals, wo ihre Honigmacher eine vielfältige Natur vorfinden. Gutes Wetter, einen guten Standort und Glück mit den Bienen habe sie in diesem Jahr gehabt: „Ich hatte so viel Honig, wie noch nie.“ Zu kaufen gibt es ihn bei den Trautes – oder nach Absprache über die Imkerin selbst.
Geteilte Leidenschaft
Ein Mann vom Fach ist Günther Kusterer. Es ist Samstag, und der Wiesbadener steht wie üblich an seinem Stand auf dem Wochenmarkt – vor ihm aufgereiht eine Vielzahl an Gläsern mit unterschiedlich farbigem Honig. Das süße Produkt kann mal dunkler, mal heller, mal flüssiger, mal fester daherkommen. Gemeinsam mit seiner Frau ist Kusterer seit Ende der 1990er-Jahre ein Freund der Arbeit mit den kleinen staatenbildenden Insekten. Während er den Kunden bei der Auswahl hilft, erzählt der Naturfreund vom Imkern: „Es ist schwer, sich damit zu finanzieren“, sagt er. „Erst ein Betrieb mit mehr als 100 Bienenvölkern gilt als Berufsimkerei“. So gebe es nur etwa ein Prozent, das hauptberuflich imkert. Kusterer und seine Frau gingen daher weiterhin ihren Berufen nach. Ihre Leidenschaft für die Bienen verbinden sie mit ihrer Bio-Imkerei „Honigsuess“. Dass ihre Produkte „bio“ sind, lässt sich am Bioland-Siegel ablesen: „Diese Verordnung regelt alles – auch für den Honig“, erklärt der Fachmann: „Hier ist der Standort maßgebend.“ In den Flugradius der Bienen dürften keine landwirtschaftlichen Flächen, die mit Spritzmitteln behandelt sind, fallen – in Frage kämen daher Stadt, Wald und Wiese. „Zudem sind nur Holzkisten zugelassen“, fährt Kusterer fort, „– und für die Mittelwände ausschließlich Wachs anstelle von schädlichem Plastik.“
Über den Dächern der Stadt
Seit einiger Zeit trägt der professionelle Hobbyimker auch die Verantwortung für ein paar weitere Bienenvölker. Diese sind auf dem Dach des Museums Wiesbadens beheimatet und produzieren dort in Fleißarbeit den „Museumshonig“. Verkauft wird er an der Museumskasse. „Es ist ein guter Ort“, sagt Kusterer. Durch die zentrale Lage enthalte das süße Gold, wie es im Volksmund gerne heißt, viel Linde. Eine Besonderheit sei der Sommerhonig: „Durch die Nähe zu den Parks bringen die Bienen den Nektar südlicher Pflanzen mit zurück ins Volk.“
Auch auf dem Dach des Wellritzhofs inmitten des lebhaften Westends summt es zurzeit laut: Unter freiem Himmel in Holzkisten schwirren hier Tausende Bienen umher – im Sommer pro Stock 40.000. Elf Bienenstöcke beheimatet das Kinder- und Jugendzentrum bereits, geleitet von Ottmar Schick, unter fachkundlicher Anleitung von vier Hobby-Imkern. Andre Kuczynski, Silke Bredenkamp, Elke Lun und Sohn Vincent betreuen in verantwortungsvoller Teamarbeit die Honigproduzenten. „Dahinter steckt ein aufwändiger Prozess“, klärt Kuczynski auf. Bei der Honigernte würden dem Bienenvolk zunächst die Honigwaben genommen werden, mit Vorsicht müssten dabei die Tierchen davon abgekehrt werden, dann wird geschleudert – ein wahrer Kraftakt, wie alle bestätigen. „Zuvor messen wir noch den Wassergehalt“, schildern sie den Prozess. Dieser dürfe laut Imkervereinigung bei maximal 18 Prozent liegen. Den Honig trocknen zu lassen, das sei nicht erlaubt: „Da es sich um ein reines Naturprodukt handelt, darf nichts hinzugegeben oder entnommen werden.“ Geerntet werde zweimal im Jahr, im Frühling und im Sommer. So schmeckt der Honig je nach Saison verschieden.
Mal herber, mal blumiger – und immer abgasfrei
„Das liegt natürlich daran, was gerade so am Blühen ist“, sagt Kuczynski. Im Frühling seien das zum Beispiel Ahorn, Akazie und Obstbäume, im Sommer die Linde. Dennoch sei die Frühlings- sowie Sommertracht von Jahr zu Jahr anders: „Mal herber, mal blumiger.“ Durch den weiten Flugradius der Bienen von drei Kilometern sind sich die Wellritzhof-Imker einig: „Stadthonig ist besser.“ Denn Pflanzen im urbanen Raum würden nicht gespritzt und die Autoabgase hätten soweit keine Auswirkungen auf den Honig. Zudem fänden die fleißigen Nektarsammler in der Stadt eine breitere Auswahl vor: Bäume, Balkonpflanzen, vor allem Trachtpflanzen, die sehr reich an Nektar sind. Als Nahrung erhalten die gut organisierten Tiere Zuckerwasser oder spezielles Bienenfutter. „Bio“ sei der Wellritz-Honig nicht, doch der deutsche Honig genüge durch die Honigverordnung einem sehr hohen Qualitätsanspruch. Dass die Nachfrage nach einem regionalen sowie nachhaltig erwirtschafteten Produkt steigt, bejahen alle einstimmig. „Wir verkaufen den Honig im Café Wellritz und in der Büchergilde“, sagt Ottmar Schick, „und er war so schnell weg!“.
Stadtkinder mit Natur zusammenbringen
Nachhaltig sein, das heißt hier auch: Die (Stadt)-Kinder mit der Natur zusammenzubringen. So schleudert der Wellritzhof gemeinsam mit ihnen. „Nach getaner Arbeit gibt es dann für alle ein frisches Honigbrot!“ Wie ansteckend die Liebe zu den Bienen sein kann, wird bei dieser Geschichte klar: Vincent, der jüngste der vier Hobby-Imker, hatte bei einem Filmprojekt des Wellritzhofs zum Thema Stadtbienen mitgewirkt. „Daraufhin hat es ihn gepackt und er wollte das Imkern lernen. Die Mama musste natürlich mitmachen“, erinnert sich Elke Lun, und seither sind sie und ihr Sohn mit im Boot.
Deutlich zu machen, dass Imkern weit mehr ist als die Betreuung von Bienen inklusive der Honiggewinnung, ist Susanne Weirich ein großes Anliegen. Die Imkerin geht der Tätigkeit seit mehr als 20 Jahren mit Herzblut nach und weiß: „Es braucht Empathie, um zu imkern.“ Weirich wohnt im Hunsrück und betreut neben den Bienen der Wiesbadener Waldorfschule seit gut 15 Jahren die Bienenvölker auf Schloss Freudenberg. „Eines wohnt beispielsweise im Gebäude.“ Hier können die Besucher zuschauen, wie die gestreiften Insekten geschützt hinter einem Glas frei nach Wunsch rein ins Schloss oder raus ins Freie strömen – und im selben Raum dürfen sich Heiratswillige im Beisein von mehreren Tausend kleinen Gästen das Ja-Wort geben. „Weitere vier Völker leben im Omnibus im Freien“, verrät Weirich, „und ein weiteres Volk wurde in einem Baum angesiedelt.“ Es sei die ursprüngliche Form des Bienenlebens, erklärt die Schloss-Imkerin, die sich bis zu 15 Mal im Jahr auf den Weg nach Dotzheim macht, um den Tiere die Zuwendung zu geben, die sie zum Überleben brauchen.
Neu-Imker willkommen – wenn sie es richtig machen
Insgesamt seien es zehn vielfältige Völker, auf die es individuell einzugehen gilt – durchaus eine spannende Herausforderung. „Das Schloss Freudenberg unterstützt diese besondere Vielfalt“, betont die Imkerin. „Es ist schön zu erleben, dass die Bienen hier bewusst begleitet werden.“ Gerade die summenden Schützlinge, die im Baum leben, hätten es ihr angetan. „Es ist wichtig, Bienen in ihrer Lebensänderung zu unterstützen, und dort wohnen sie lieber.“ Auf die Frage, ob die Sensibilität gegenüber Bienen als unabdingbarer Faktor im Naturkreislauf gestiegen sei, antwortet sie: „Auf jeden Fall!“, gleichsam schlägt die geschulte Imkerin auch kritische Töne an. „Jeder neue Imker ist toll, wenn Bienen oder angrenzende Imker jedoch aufgrund mangelnden Wissens leiden, dann nicht.“ Imkern solle nicht verniedlicht werden, warnt sie: „So ein Bienenvolk ist ein äußerst sensibler Organismus.“ Und der Mensch dürfe lernen zu erspüren, was dieses braucht. „Was der Imker nicht braucht, ist ein Schutzanzug“, sagt Weirich, „zumindest – wenn er sich mit ausreichend Ruhe und Gespür darauf einlässt.“ Um den Honig selbst geht es Susanne Weirich bei ihrer Arbeit gar nicht, sondern darum, in Beziehung zu treten. „Es ist ein einmaliges und wunderschönes Endprodukt“, sagt sie. „Produziert durch die Vermittler zwischen Himmel und Erde“, wie die Imkerin ihre Bienen liebevoll bezeichnet. Erhältlich ist das Produkt mit dem Biosiegel von Demeter in der Schatzkiste im Schloss. Im Jahr 2018 können Interessierte wieder bei Bienenseminaren (7. April, 5. Mai, 16. Juni, 11. August, 15. September und 20. Oktober) alles Wissenswerte rund um Bienen und Imkern lernen (Anmeldungen: der.bien@web.de oder 06752 / 914744).
„Man muss ruhig sein – das ist das Schöne daran“
Jens Jenkewitz ist einer von jenen jungen Hobby-Imkern, die sich früh vom Trend anstecken ließen. Vor etwa vier Jahren begann sich der Sozialpädagoge für die Arbeit mit den Insekten zu interessieren. Über den Imkerverein besuchte er einen Kurs, um das Handwerk adäquat zu erlernen, heute betreut er eigene Bienen. „Nur nicht in diesem Jahr“, gesteht er lachend. „Das sind die Bienen meiner Kollegin.“ Zusammen kümmern sie sich um zwei Bienenvölker, die auf dem Dach des Kultur-im-Park-Containers am Schlachthof ihr Zuhause haben.
„So erscheinen die Bienen im öffentlichen Bild – und das ist gut“, findet Jenkewitz, der in einem stetigen Austausch mit dem Schlachthof-Team ist. „Das probiert sein Gelände immer für Neues aufzumachen“, weiß der Wiesbadener, so auch für Bienen. Den Honig hätte es damals mit Schlachthof-Logo im 60/40 und im Café Klatsch zu kaufen gegeben. „In diesem Jahr ist er leider nicht käuflich erhältlich.“ Imker, Schlachthof und Kultur im Park seien aber bemüht, dass dem 2018 wieder so ist. So kümmert sich Jenkewitz in diesem Sommer ganz privat um die Schützlinge: „Man muss ruhig sein, das ist das Schöne daran.“ Warum Imkern derzeit so „in“ ist, habe für ihn viel mit dem ganzen Thema rund um Entschleunigung zu tun, ähnlich wie der Trend zum Gemüseanbau im eigenen Garten. „Es ist einfach irre, eigene Produkte zu ernten – vor allem seinen eigenen Honig zu machen“, schildert er fasziniert.
Am 23. September findet von 10 bis 18 Uhr das 3. Frankfurter Bienenfestival im Botanischen Garten statt. www.frankfurter-bienenfestival.de
Bienen in Wiesbaden
Für die Wiesbadener Bienen – die Honig- und die Wildbienen gleichermaßen – ist der Imkerverein unter dem Vorsitz von Siggi Schneider zuständig. In ganz Wiesbaden gibt es verteilt auf die einzelnen Stadtteile etwa 20 größere Imkereien. Seit den 1970er-Jahren sank die Zahl der Berufsimker jedoch stetig, seit 2015 ist wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Gerade jüngere Menschen versuchen sich als Hobbyimker. In Wiesbaden hat sich deren Zahl so innerhalb von fünf Jahren verdoppelt. Auch die Nachfrage nach regionalen Produkten ist gestiegen. Damit unterstützt der Käufer nicht nur Imker vor Ort, sondern weitaus wichtiger: die Bestäubung in der eigenen Region. Eine faire und süße Sache! Viele weitere Informationen gibt es hier.
Honig aus Wiesbaden
Luisenhonig: 7,00 € / 500g (www.luisenhonig.de), Honig aus dem Wellritzhof: 6,80 € / 500g (www.imkereikuczynski.wixsite.com/wiesbaden), Honig von Schloß Freudenberg: 9,90 € / 500g (www.schlossfreudenberg.de), Museumshonig: 10,00 € / 500g (www.museum-wiesbaden.de/museum/mehr/bienen-auf-dem-dach), Bioimkerei Honigsuess: verschiedene Preise je nach Sorte (www.bioimkerei-honigsuess.de) Imker in der Nähe: verschiedene Preise (www.imkerverein-wiesbaden.de)