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Fahrradfreundlich in Corona-Zeiten? Critical Mass digital, Kowol sieht keine Chance für „temporäre Fahrradstadt“

Die Fahrradbewegung criticalmasswiesbaden trifft sich auch in Corona-Zeiten – allerdings mit dem nötigen Abstand. Heute findet deshalb das Treffen der Radfahrer*innen, die sonst regelmäßig per Korso durch die Stadt fahren, digital statt. Wer teilnehmen will, kann über die App „Critical Maps“ mitmachen. Los geht es um 18.30 Uhr in der App. Aktuelles zum Thema Fahrradstadt Wiesbaden in Corona-Zeiten kommt auch vom ADFC und einem Bürger. Dieser wandte sich mit einer besonderen Idee an den Verkehrsdezernenten Andreas Kowol (hier auf dem Foto bei der Vorstellung des Projektes „Umweltspur auf dem 1. Ring“).

Die digitale Critical Mass heute funktioniert, indem über App “Critical Maps” geöffnet wird und Standort geteilt wird. Auf der integrierten Karte können alle, die mitmachen, dann sehen, wer die App an anderen Orten noch geöffnet hat. Im Chat können sich die Radfahrer*innen unterhalten. Die App kann unter https://www.criticalmaps.net/ oder im App-Store heruntergeladen werden.

Ziel ist, ein Zeichen zu setzen, dass das monatliche gemeinsame Radeln schmerzlich vermisst wird. In Zukunft können Teilnehmer*innen der analogen criticalmasswiesbaden in der App immer die aktuelle Position der Bewegung sehen und dadurch einfach hinterher radeln.

ADFC lobt und fordert

Auch der ADFC, der Allgemeine Deutsche Fahrradclub Wiesbaden, appelliert dieser Tage an die Radfahrer*innen. In Wiesbaden sind wegen der Corona-Beschränkungen zwar insgesamt weniger Menschen, aber eben auch weniger Busse unterwegs. Viele, die nicht riskieren wollen, anderen im Bus zu nahe zu kommen und es können, holen ihr Fahrrad aus dem Keller und fahren Rad. Gerade jetzt muss deshalb etwas getan werden, um den Titel „fahrradunfreudlichste Großstadt“ abzulegen. Der ADFC freut sich zwar über die neuen Radwege rund um die Ringkriche. „Herausragend“ sei der geschützte Radweg zwischen Kaiser-Friedrich-Ring und Wörthstraße.

Erster #MehrPlatzFürsRad-Musterbeispiel in Wiesbaden

Der Vorsitzende des ADFC Wiesbaden/Rheingau-Taunus, Eru Frank, lobt: „Hier können die Menschen jeden Alters erstmalig in Wiesbaden erfahren, was der ADFC mit seiner Forderung nach #MehrPlatzFürsRad meint: Baulich getrennt vom Fuß- und PKW-Verkehr, bietet der rund 180 Meter lange Abschnitt eine sichere Radinfrastruktur für alle.“ Gleichzeitig weist der ADFC aber darauf hin, dass die Radwegenetze und das Verkehrsklima in Wiesbaden noch nicht für starken und sicheren Radverkehr ausgelegt sind. Mitten in der Corona-Krise benötige das Fahrrad weiterhin einen starken politischen Rückhalt.

Der ADFC fordert alle politischen Akteure auf, bei der Förderung des Radverkehrs nicht nachzulassen und die Chance zu ergreifen, geplante Maßnahmen so schnell wie möglich umzusetzen. Eru Frank dazu: „In dieser Krise zeigt sich, welche Bedeutung der Radverkehr einnehmen kann, wenn in der Innenstadt weniger PKWs unterwegs sind.  Der Anteil der Radfahrenden ist in den letzten drei Wochen deutlich gestiegen. Jetzt gilt es, für alle Radfahrenden, insbesondere für die Umsteiger, das Angebot an Radverbindungen auszubauen und attraktiver zu gestalten.“

Keine Chance für Freigabe von Autospuren

Mit einer besonderen – eigentlich naheliegenden – konkreten Idee einer „temporären Fahrradstadt“ wandte sich sensor-Leser Achim Müller kürzlich an Wiesbadens Verkehrs- und Umweltdezernent Andreas Kowol. „Der Autoverkehr in Wiesbaden hat sich durch die Auswirkungen von Corona drastisch reduziert“, schrieb er in einer Mail, die er sensor, ebenso wie Kowols Antwortschreiben, zur Verfügung stellte: „Viele Menschen entdecken derzeit das Fahrrad wieder für sich, was  zu `Ballungen´ auf Fahrradwegen führt.“ Da es derzeit oberstes Ziel sei, Social Distancing zum Schutz der Älteren und Schwächeren konsequent umzusetzen, fragte er: „Wäre es möglich, in der Stadt Wiesbaden temporär auf allen mehrspurigen Straßen eine Spur für Autos zu schließen und ausschließlich für Fahrradfahrer freizugeben?“. Der zweifache Vater, der mit seinen beiden Kindern regelmäßig mit dem Fahrrad quer durch die Stadt unterwegs ist, dachte gleich weiter: „In einem weiteren Schritt könnte darüber nachgedacht werden, diverse einspurige Straßen nur noch für Anlieger und Fahrradfahrer freizugeben.“

Mit einem Gute Idee, aber …-Schreiben antwortete Dezernent Kowol. Zwar begrüße er die Idee, dem Radverkehr mehr Platz im öffentlichen Straßenverkehr einräumen zu wollen. Aus Sicht der Straßenverkehrsordnung sei es aber „leider nicht so einfach, einzelne Fahrspuren umzuwidmen.“ Solche Änderungen müssten langwierig abgestimmt werden. „Bis die Änderungen in Kraft sind, wäre die jetzige Situation (hoffentlich) bereits vergangen“, schreibt Kowol und verweist darauf, „dass Sie bereits jetzt auf den meisten Wiesbadener Straßen auf der Fahrbahn fahren dürfen.“

In Bogotá funktioniert es im großen Stil

Was in Wiesbaden ein Ding der Unmöglichkeit ist, hat die kolumbianische Hauptstadt Bogotá kurzfristig im großen Stil umgesetzt. Dort wurden im Kampf gegen die Corona-Pandemie gleich auf mehreren Hauptstraßen – insgesamt 117 Kilometer – Spuren für den Radverkehr abgesperrt, wie unter anderem hier und hier zu lesen und eindrucksvoll zu sehen ist. In seinem Dezernat konzentriere man sich in derzeit „auf den Entwurf und die Planung weiterer Radverkehrsanlagen, die auch nach der Sondersituation weiter nutzbar sein werden“, lässt Kowol wissen.

Umweltspur 1. Ring entsteht

Eine aktuelle Maßnahme, deren Umsetzung nun begonnen und von Dezernent Kowol gemeinsam mit der Leiterin des Tiefbauamtes, Petra Beckefeld, kürzlich präsentiert wurde:  Der 1. Ring erhält in diesem Jahr in beiden Richtungen durchgängige Umweltspuren – vom Sedanplatz bis zum Stadion an der Berliner Straße. Diese Umweltspuren dürfen nur von Bussen und Fahrrädern genutzt werden. Zusätzlich entsteht in der mittleren Baumallee vom Westend bis zum Landeshaus ein durchgängiger Weg für Fußgänger*innen, der von Fahrradfahrenden mitgenutzt werden kann. Um die Innenstadt vom Durchgangsverkehr zu entlasten, wird der Verkehr am Dürerplatz und an der Berliner Straße verstärkt auf den 2. Ring und das übergeordnete Bundesfernstraßennetz gelenkt werden. Die dynamische Steuerung erfolgt mithilfe modernster digitaler Verkehrstechnik.

(Alia Bouhaha, Dirk Fellinghauer/ Bild: Veranstalter)

 

1 response to “Fahrradfreundlich in Corona-Zeiten? Critical Mass digital, Kowol sieht keine Chance für „temporäre Fahrradstadt“

  1. Manchmal muss man nicht um die halbe Welt gucken, sondern es reicht ein Blick in die Bundeshauptstadt. Seitdem erfolgreichen „Volksentscheid Rad“ dreht sich in Berlin das Rad in Politik und Verwaltung.
    Unter [1] stehen bereits heute „Regelpläne zur temporären Einrichtung und Erweiterung von Radverkehrsanlagen“ bereit. Der politische Wille ist in den urbanen Bezirken sprübar und bringt regelmäßig neue Meldungen über den Umbau von PKW-Straßen zu Menschen-Straßen hervor.
    Für Wiesbadener wirken diese Meldungen noch oft wie aus einem fremden Land mit breiten Radwegen und einem bequemen ÖPNV mit Straßenbahn. Doch die Zeit steht in Wiesbaden nicht still.

    [1] https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/politik_planung/rad/infrastruktur/download/Regelplaene_Radverkehrsanlagen.pdf

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