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Gedanken und Fragen zur Kultur (in Wiesbaden) von Hochschul-Präsident Prof. Detlev Reymann

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„Kulturlos in Wiesbaden – Bitte kein Applaus“ war die Diskussionsveranstaltung überschrieben, zu der kürzlich jede Menge „kulturverliebte Stadtgestalter“ im Cirque-Bouffon-Zelt im Kulturpark zusammenkamen und darüber diskutierten, was möglich ist und was nicht in Sachen Kulturveranstaltungen in Wiesbaden – und warum (nicht). Die einführenden Worte sprach Prof. Detlev Reymann, Präsident der Hochschule RheinMain. Wir veröffentlichen seine Gedanken und Fragen im Wortlaut.

„Worum geht es heute Abend?

Es geht um Kultur und es geht insbesondere um den Um­gang mit Kultur in Wiesbaden. Und es geht um den Vorwurf der Kulturlosigkeit, so zumindest der Titel der Veranstal­tung.

Gestatten Sie mir allerdings bitte zu Beginn eine allgemeine Vorbemerkung zu einem aktuellen Thema.

Freude über Willkommenskultur

Ich freue mich ungemein, dass in den letzten Wochen deut­lich wird, dass es in Deutschland und auch in Wiesbaden bei der Mehrheit der Bevölkerung im Umgang mit Flücht­lingen wirklich eine Willkommenskultur gibt und hier das Bild nicht mehr geprägt wird von einigen wenigen hirnlo­sen Idioten. Für mich gehört zur diesbezüglichen Kultur ge­rade, dass wir zu diesem Thema nicht aus wahltaktischen Gründen primär nach Verständnis für fehlgeleitete Ängste suchen, sondern deutlich machen, dass unser Land und un­sere Stadt durch Offenheit, Solidarität und Toleranz geprägt ist und geprägt sein soll!

Aber zum eigentlichen Thema.

Worüber reden wir, wenn wir über Kultur reden?

Ohne jetzt zu theoretisch werden zu wollen (und dazu neigt ein Professor manchmal) – ursprünglich wird mit dem Kul­turbegriff die künstlich geschaffene Welt im Gegensatz zur natürlichen beschrieben.

Leitsatz des moralischen Handelns

Spätestens seit Kant enthält Kultur den Leitsatz des morali­schen Handelns, der den Menschen von der Natur abhebt. Andererseits sind aus seiner Sicht Mensch und Kultur ein Endzweck der Natur. Schwergewichtige Worte, die aber ihre Spuren in unserem heutigen Kulturverständnis hinterlassen haben.

Kultur ist somit zum einen ein deskriptiver Begriff, der be­schreibt, wie Technik eingesetzt wird oder wie die bildende Kunst gestaltet wird, die aber auch geistige Gebilde wie Sprachen, Moral, Religion, Recht, Wirtschaft und Wissen­schaft enthält.

Kultur ist zum anderen ein normativer Begriff, der be­schreibt, welche moralischen oder wertebezogenen Ansprü­che erfüllt werden sollen.

Schillernde Breite an Bedeutungsinhal­ten

Kultur hat also eine schillernde Breite an Bedeutungsinhal­ten und wird zudem dadurch schwierig, dass sie auch noch gruppenbezogen verwendet wird.

Vor diesem Hintergrund also noch einmal die Frage: Worum geht es heute in dieser Veranstaltung?

Es geht um die Rolle und Bedeutung der Kultur in Wiesba­den. Auch wenn die normative Ebene schwer von der de­skriptiven Ebene abzulösen ist, sehe ich den Schwerpunkt dieser Veranstaltung eher in letzterer. Und das vor dem Hin­tergrund einer zunehmend zu spürenden Unzufriedenheit von Kulturschaffenden und von Menschen, die der Kultur verbunden sind in Wiesbaden.

Unsozial: Menschen, die in lebendige Gegenden der Stadt ziehen, um dann genau dort das Leben einzuschränken

Mir begegnen dazu unter anderem folgende Fragen:

– Welche Prioritäten werden in der Kulturpolitik gesetzt?

– Oder viel banaler: Wie werden die Ressourcen für die­sen Bereich eingesetzt?

– Gibt es so etwas wie eine „Wiesbaden-Kultur“, wofür steht sie und wie wird sie sichtbar?

– Was führt dazu, dass insbesondere junge Leute (unter anderem meine Studierenden) immer wieder sagen, dass kulturell in Mainz und Frankfurt mehr geboten wird als in Wiesbaden?

– Was tun wir dagegen, dass der Kreis derjenigen, die sich im Grunde unsozial verhalten immer größer zu werden scheint.

– Oder etwas akademischer ausgedrückt: Die Erwartungshaltung an die Gemeinschaft steigt, aber die Bereitschaft selbst etwas dazu beizutragen sinkt.

-Immer noch zu abstrakt? Warum tolerieren wir es, dass Menschen in Wohnungen ziehen, in deren Um­feld traditionell Veranstaltungen für die Gemeinschaft stattfinden und deren erste Handlung es dann ist, vor Gericht genau diese Veranstaltungen einzuschränken?

– Ist die starke soziale Spaltung in Wiesbaden nicht auch ein Kulturproblem?

Verstehen Sie mich und die Einladenden dieser Veranstal­tung nicht falsch – Wiesbaden ist eine tolle und attraktive Stadt. Wir möchten diese Fragen diskutieren, weil wir Wiesbaden noch attraktiver machen möchten.

Vielen Dank für Ihre Geduld beim Zuhören.“

(Foto Dirk Fellinghauer)

Wir diskutieren weiter!
Sonntag, 27.09., 12-14 Uhr, Walhalla Wiesbaden, Spiegelsaal:
„DER VISIONÄRE FRÜHSCHOPPEN“
Thema No. 9:
„Platz da! Welchen Raum gibt Wiesbaden seiner Kultur? Welchen Raum erobert sich die Kultur in Wiesbaden?“

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