Direkt zum Inhalt wechseln
|

Geschäft des Monats: Kiezkaufhaus – Lokal liefern lassen

kiezkaufhaus-6Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Rainer Eidemüller.

Robert macht sich für seine Tour fertig. Er trägt Vollbart, Fahrradhelm und ein freundliches Grinsen und freut sich richtig auf seinen Arbeitstag, auch wenn der bis in den Abend hinein gehen wird. Robert ist einer der Ausfahrer im neu gegründeten „Kiezkaufhaus“. Er wird an diesem Nachmittag mit dem markanten Elektro-Lasten-Bike verschiedene Geschäfte anfahren und dort Pakete mit Produkten abholen, die Kaufhauskunden im Internet bestellt haben. In einem Kellerraum der Agentur Scholz und Volkmer  in der Schwalbacher Straße, die das Projekt auf Basis einer Bachelor-Arbeit der Wiesbadener Kommunikationsdesignstudenten Gloria Kison und Tobias Heinemann ins Leben rief, werden die Bestellungen dann sortiert, zugeordnet und anschließend ausgefahren.

Egal ob ein Bund Radieschen vom Hofladen, ein Radiergummi von Paperbeck, ob Linsen-Curry von Gewürz Müller, eine Glühbirne oder Sonnenblumensamen von Steib oder sogar eine Ukulele von Musikalien Petroll: Es gibt beinahe nichts, was es nicht gibt, was das Kiezkaufhaus ab 50 Euro frei Haus – darunter für eine geringe Gebühr – liefert.  Bis mittags 14 Uhr können Kunden sich nach Herzenlust etwas aussuchen, was dann am gleichen Tag den Weg zu ihren Wohnungstüren findet. Und zwar aus derzeit 14 inhabergeführten Wiesbadener Läden. Das Angebot umfasst auch Bücher, Designobjekte oder Blumensträuße, bis Juni dauert die Testphase.

Vom Frust zur Lust

Die Idee, so Mitinitiator Michael Volkmer, „kam eigentlich durch den Frust, der sich angesichts der Riesen-Paketberge von Amazon und anderen Versandhändlern entwickelte, die sich immer wieder bei uns stapelten – für uns und für unsere Mitarbeiter.“ Paketlogistik verbrauche unglaublich viele Ressourcen, „und dabei wird ein Großteil auch wieder zurückgeschickt“, weiß der nachhaltig denkende Agenturchef. Wenn jemand beispielsweise ein Buch aus einem Wiesbadener Verlag bestelle, dies aber dann aus einem Hochregallager in Polen erhalte: „Das ist doch Wahnsinn, dann wird das Buch Tausende Kilometer durch die Weltgeschichte gefahren.“ Zudem habe der lokale Einzelhandel kaum noch Chancen gegen die Übermacht der Versandriesen. Die gleiche Bequemlichkeit anbieten, nämlich mit einem Klick bestellen und eine zeitnahe Lieferung zum gleichen Preis wie im Laden garantieren, das müsste sich doch auch auf lokaler Ebene machen lassen, überlegte er. Mitstreiter Michael Gediga, Inhaber eines Fahrradladens, steuerte das Knowhow zum Thema Lastenfahrräder bei und ist nun mit Volkmer Gesellschafter der eigens gegründeten Kiezkaufhaus GbR.

Mehrere Mitarbeiter um Projektleiterin Nanna Beyer kümmern sich um Bestellungen und Lieferungen, die im Wiesbadener Stadtgebiet täglich zwischen 17 und 20 Uhr ausgefahren werden. Geplant ist noch die Aufteilung in „frühe“ und „späte“ Touren. Die beiden auffälligen weißen Lastenfahrräder erregen viel Aufsehen, berichtet Robert: „Man wird oft angesprochen.“ Studenten und Rentner sind die Fahrer, die mit jeder Auslieferung auch ein „Statement fürs Fahrradfahren in der Stadt“ abgeben sollen, wünscht sich Volkmer. So hat das „Kiezkaufhaus“ eigentlich nur gute Seiten: Es stärkt den lokalen Einzelhandel, wirbt fürs Radfahren, handelt CO2-frei, schafft Jobs und macht auch noch Spaß. Schon das Einkaufen auf der sehr nutzerfreundlichen Webseite ist ein kleines Erlebnis für sich. Ob die Marmeladenmanufaktur The Princess Revolution, der Buchladen Nero 39, die beiden Bäcker Bürger und Walser oder die Bergkäsestation: Alles wurde schick und authentisch fotografiert, lässt sich problemlos durchklicken. Sonderwünsche können Käufer ebenfalls äußern. „Unser Ziel sind 40 Bestellungen pro Tag“, sagt Nanna Beyer.

Nächstes Ziel: Genossenschaft

Nach der Testphase schwebt Michael Volkmer  vor, das Ganze genossenschaftlich zu organisieren, so dass Kunden, Läden und auch die Angestellten gemeinsam ins „Kiezkaufhaus“ investieren. Noch aber läuft die Erprobung, denn es will vieles bedacht, ausprobiert und getestet werden und muss sich einspielen. Auch die Händler, die nachmittags innerhalb einer Stunde bei laufendem Betrieb die Bestellungen packen müssen, kommen schon mal ins Schwitzen. Nach einer Umfrage unter den bisherigen Kunden wurden die Lieferzeiten bereits den Wünschen angepasst. Besteller können nun angeben, ob sie ihre Einkäufe lieber zwischen 17 und 18.30 Uhr oder zwischen 18.30 und 20.30 Uhr geliefert haben möchten – ganz nach Wunsch „noch“ ins Büro oder „schon“ nach Hause. Neue Mitstreiter auf Anbieter- wie Kundenseite sind höchst willkommen. Ganz im Sinne de lokales Handeln Wert legt, sind auch die „echten Menschen“ dahinter sichtbar und bald auch telefonisch ansprechbar. „Die ersten Erfahrungen sind ermutigend“, so Nanna Beyer: „Bestellt wurde jeden Tag.“

www.kiezkaufhaus.de