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Geschälte Litfaßsäulen bringen Stadt(kultur)geschichte zum Vorschein – Namensgeber starb in Wiesbaden

Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos).

Statt bunter Werbung zeigen die Litfaßsäulen in Wiesbadener dieser Tage graue Betonflächen – und vereinzelt Plakatfetzen. Bei diesen kann es sich lohnen, genauer hinzuschauen. Stadtgeschichte-, Kultur- und Designinteressierte müssen sich aber beeilen.

„In regelmäßigem Turnus werden unsere Betonsäulen geschält, also komplett von vorhandenen Plakaten befreit“, erklärt Christian Knappe auf sensor-Anfrage. Er ist Sprecher der Wall GmbH, die seit 2011 die Litfaßsäulen in Wiesbaden betreibt, genau 279 sind es im Stadtgebiet. Der Grund für die  Entfernung der Plakate: „Weil die Säulen Schicht für Schicht beklebt werden, kommt es im Lauf der Zeit zu Überlappungen. Dadurch werden die neu aufgebrachten Plakate irgendwann so wellig, dass ein Aufbringen weiterer Schichten immer schwieriger wird.“ Der Wall-Sprecher hat auch eine interessante Zahl parat:  „Im Laufe von vier Jahren sammelt sich auf einer Säule durch Plakatierungen ein Gewicht von 200 bis 350 Kilogramm Papier an.“

Konzert für 75 Pfennig

Was sich auf manchen Säulen an Resten befindet, ist freilich eindeutig älter als ein paar Jahre, es muss schon vor Jahrzehnten aufgebracht worden sein. In der Goebenstraße zum Beispiel lassen sich auf einer Säule Fragmente von Plakaten erkennen, die für Konzerte mit Eintrittspreisen von 1 bis 3,50 D-Mark warben. Ein anderes war gar für nur 75 Pfennig zu genießen, zumindest für Kur- und Dauerkarteninhaber. Die Leitung des einen Konzerts oblag damals einem gewissen Ernst Schalck, beim anderen ist nur noch „Franz“ als Dirigent zu entziffern. Dass die Operette „Die schöne Galathee“ von Franz von Suppé im Kleine Haus des Staatstheaters aufgeführt wurde, lässt sich auf einem anderen Plakatfetzen zusammenreimen.

Neueren Datums, aber auch schon (Musik-)geschichte – das Label BMG Ariola, das ebenfalls noch einen Auftritt auf der Säule hat. Und das Hessischer Rundfunk-Maskottchen „Onkel Otto“ auf einer geschälten Säule auf der Ecke Scharnhorststraße/Yorckstraße dürfte ebenfalls schon vor Jahrzehnten aufgebracht worden sein.

Eine Art Pop-up-Freiluft-Museum

So entpuppen sich diese und andere Säulen als temporäre Fundgruben für alle, die sich für Stadt(kultur)geschichte interessieren, oder auch für jene, die ein Faible für Typographie und Design haben. Lange werden sie nicht zu entdecken und zu studieren sein: „Die aktuelle Neu-Plakatierung der Säulen in Wiesbaden mussten wir wegen der Minusgrade der letzten Tage unterbrechen, sie wird im Laufe dieser Woche fortgesetzt“, kündigt Wall-Sprecher Christian Knappe an.

Ach, und wusstet ihr eigentlich, dass den Erfinder und Namensgeber der 1854 erstmals verwirklichten Säulen ein besonderes Schicksal mit Wiesbaden verband? Ernst Theodorr Amandus Litfaß, am 11. Februar 1816 in Berlin geboren, verstarb vor fast genau 148 Jahren, am 27. Dezember 1874 während eines Kuraufenthaltes in Wiesbaden.

Habt ihr etwas Spannendes auf geschälten Litfaßsäulen unserer Stadt entdeckt? Postet gerne Infos und Fotos als Kommentare oder schickt sie an hallo@sensor-wiesbaden.de, Betreff: Litfaß.

Interessante Zeitzeugen und ein Hauch von Anmutung abstrakter Kunst – „Geschälte“ Litfaßsäulen in Wiesbaden:

 

3 responses to “Geschälte Litfaßsäulen bringen Stadt(kultur)geschichte zum Vorschein – Namensgeber starb in Wiesbaden

  1. IM RÜCKBLICK IST ZU BEDAUERN, dass keine „Sammlung“ wichtiger und interessanter Plakate erfolgte – das wäre auch eine Art von Stadt-Kultur- Geschichte……

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