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Gute Nacht, Wiesbaden! sensor wagt die Bestandsaufnahme. Ergebnis: Wer suchet, kann finden

Von Nadine Kuhnigk und Dirk Fellinghauer. Fotos Nadine Kuhnigk, Dirk Fellinghauer , Sven-Helge Czichy, Pascal Swoboda.

„Gute Nacht, Wiesbaden“, heißt es gerne, wenn wieder eine Institution des Nachtlebens, wie zuletzt Gestüt Renz, Alibi (jetzt Paparazzi), Chopan (wieder offen) und Spital (jetzt Café del Sol), geschlossen wird. Bitter ist das, keine Frage. Trotz allem gilt aber weiterhin: Man kann eine gute Nacht haben in unserer Stadt. Eine Tour im Zickzack-Kurs durch Wiesbaden, über Clubs und Bars hin zu Kneipen und Pop-Up-Partylocations bringt Licht ins Dunkle.

Los geht´s am Schlachthof – Anlaufstelle nicht nur für Livemusik-Begeisterte, sondern auch Schauplatz für Partys der unterschiedlichsten Formate. „Ich habe keine Lust, stundenlang vorm Spiegel zu stehen und mich irgendwelchen Dresscodes anzupassen“, erzählt Lisa, 23, Lehramtstudentin aus Wiesbaden: „Am Schlachter kann ich einfach Spaß haben und so hingehen, wie ich Lust habe. Egal, welche Veranstaltung. Es macht immer Spaß.“ Eine Nummer kleiner, etwas versteckt im Keller, aber mit einer ähnlichen Vielfalt im Partykalender und offener Grundhaltung, findet direkt gegenüber die Kreativfabrik, oder kurz „Krea“, ihr Publikum.

Seit über 100 Jahren angesagt

Wer es doch schicker mag und die bequemen Schuhe gegen High Heels oder die gerade angesagtesten Sneaker tauschen möchte, steuert die Wilhelmstraße an. Unter dem Motto „Party Like a Star“ fühlen sich im Park Café, das schon über 100 Jahre auf dem Buckel hat und sich doch immer wieder neu er- und gefunden hat, all jene wohl, die sich gerne aufbrezeln, bevor sie die Hüften schwingen. „Park Café heißt einfach Tanzen, Spaß und eine geile Nacht haben“, berichtet Natalia Güllich-Vallecilla, 24-jährige Sportstudentin. Von Mittwoch bis Sonntag wird hier bis in die Morgenstunden getanzt. Dabei wechseln sich Salsa und Bachata  mit Hip Hop und Urban Beats ab.

Tanzen in der Halle, Kickern im Café

Im Kulturpalast, oder einfach „Kupa“, in der Saalgasse wiederum kann das kleine Schwarze definitiv im Schrank bleiben und die Chucks rausgeholt werden, sodass man ganz bequem die verschiedenen Facetten des Ladens genießen kann, sobald man den Weg durch die Hofeinfahrt gefunden und die steilen Treppen erklommen hat. Die Stimmung ist lässig und entspannt, die Atmosphäre eher alternativ und sehr kommunikativ, die teils ehrenamtlich arbeitenden Mädels und Jungs hinter der Bar freundlich. Während in der sogenannten „Halle“ zu getanzt wird, geben andere vorne im Café alles beim Kickern.

Die klassischen Bars

Klein, aber fein – das ist die Manoamano Bar auf der Taunusstraße. Im hinteren Bereich laden bequeme Sitzgelegenheiten zum Quatschen mit Freunden, vorne an der Bar genießen die Gäste ihre Cocktails – gerne auf Basis des hauseigenen Amato Gin – im Stehen. So wie der 28-jährige Unternehmer, der auf Heimatbesuch in Wiesbaden ist. Auf die Frage, was ihm hier besonders gefällt, entgegnet er mit einem Lachen: „Es ist gemütlich, trotzdem schick und gibt eine Menge hübsche Frauen“. Die 43-jährige Krankenschwester Ute und ihr Kollege Kai, ein 47-jähriger Zahnarzt, waren schon mal mit Freunden hier und sind heute wiedergekommen, weil es ihnen so gut gefallen hat: „Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt einfach, und es ist eine tolle Atmosphäre. Stilvoll und schick, aber doch nicht too much. Das muss man erst mal hinbekommen.“ „Prädikat stilvoll“, das trifft auch auf das Lenz zu. Mitten in der Altstadt gelegen, können Nachtschwärmer es sich wie in einer bequemen Lounge zu Musik in angenehmer Laustärke unter den aufmerksamen Augen von Chef Sascha Lenz gut gehen lassen. „Unsere Gäste sind größtenteils 25 bis 30, aber auch aufwärts bis um die 60“, erzählt der Profi-Barkeeper und ist auch schon wieder damit beschäftigt, den nächsten Drink vorzubereiten. Formvollendet geht es natürlich auch in der Nassauer Hof Bar zu, die verstärkt von der nächsten Generation angesteuert wird.

Kneipenkultur in der Altstadt

Auch klassische Kneipen bietet die Altstadt, und das bis in den frühen Morgen – ob Schweijk, die Litfassäule, eigentlich nur Litti genannt, oder der Eimer. „Ich war schon vor 20 Jahren im Schweijk“, erzählt der 55-jährige Schreiner Bernhard Müller, „und heute treffe ich sogar meine Tochter mit Freunden hier. Hier findet man wirklich jeden, der kein Problem damit hat, danach wie ein Aschenbecher zu riechen.“ Rauchen ist in den Kneipen nämlich erlaubt. „Es ist eher was für lässige Leute, die auch kein Problem haben, mal Bier abzubekommen“, sagt Abiturientin Jessica Martin. Einen speziellen Tipp hat Gates Niemeyer: „Wer Läden wie die Litti oder das Schweijk mag, sollte mal ins Störte kommen.“ Der 22-Jährige meint das berühmt-berüchtigte Störtebeker, seit über 20 Jahren mit unverwechselbarem Piratenambiente etwas außerhalb der Innenstadt in der Adelheidstraße gelegen. „Es ist der perfekte Ort für einen Absacker nach einem langen Abend.“ Nicht zu vergessen ist in dieser „Liga“ natürlich auch das legendäre „Schwalbennest“ in der Wilhelmstraßen-Passage.

Geballtes Angebot am Sedanplatz

Der wohl urbanste Platz der Nacht ist seit einiger Zeit der Sedanplatz. Wo früher nur „Das Lokal“ war – und bis heute eine klasse Anlaufstelle zum Essen und Trinken und eine gute Zeit haben ist – haben sich nach und nach ein paar Läden angesiedelt, die so etwas wie Großstadtflair geschaffen haben (und damit, so ist zu hören und zu beklagen, auch erste Gentrifizierungseffekte auslösen). Da ist das besonders pulsierende „Heaven“ mit höchstem Hotspot-Faktor, sei es im Barbetrieb oder bei Specials im genialen „Schwarzen Salon“ – von Partys bis zur kultigen Ping-Pong-Nacht mit Suchtfaktor. Direkt nebendran gibt´s Kontrastprogramm im „Harrison´s Pub“, wo im dichten Zigarettenqualm garantiert keiner fragt, „waste hast oder bist“, man aber dafür mit etwas Glück in den Genuss kleinster, feinster Livekonzerte kommt. Schräg gegenüber beglückt der „Schoppenhof“ seit ein paar Wochen als großartiges Apfelweinlokal mit stets bester Stimmung, supernetten Bedienungen und – leider nicht ganz selbstverständlich in Wiesbaden – einem „herzlich willkommen, schön dass du da bist“ auch dann noch, wenn man eigentlich gerade schließen wollte. Um 2 Uhr ist offiziell Schluss am Wochenende, schnell wird es aber auch mal halb vier oder später. „Tante Simone“ hält als Bar mit französischem Einschlag ebenfalls weiter die Stellung und: „Wir haben einiges vor in diesem Jahr“, machen die Zwillingsschwestern Natalie und Jennifer Dienstbach neugierig auf kommende Aktivitäten in ihrer Bar, die sie zustäzlich zu ihrem äußerst erfolgreichen Restaurant „Les Deux Dienstbach“ betreiben. Auch die Pizzeria Molise, deren Leckereien man auch im „Heaven“ verspeisen kann, und die umliegenden Kioske profitieren vom und sorgen für weiteres Leben rund um den Sedanplatz, wo mit dem Frühling auch der „Westend Garden“, der im letzten Jahr einen glänzenden Start hingelegt hat, weiter machen wird.

Wo die Nacht (fast) niemals endet: Mikrokosmos Chopan

Und spätestens, wenn am Sedanplatz dann doch mal die Lichter ausgehen, ist es nicht weit zu einem der spannendsten Orte der Wiesbadener Nacht, dem Chopan in der Bleichstraße. Bei den meisten Clubs und Bars weiß man ja immer schon ungefähr, was einen erwartet. Nicht so im Chopan, diesem undergroundigen Mikrokosmos der Nacht mit immer wieder anderem, immer wieder überraschenden, immer faszinierenden Eigenleben fern der üblichen Regeln und Konventionen. Hier wird – im mehrfachen Sinne des Wortes – ohne Ende gefeiert, oft zur Musik der aufregendsten DJs weit und breit und mit Gestalten auf der Tanzfläche, die man vorher nie gesehen hat und wohl auch später nie mehr sehen wird. Techno- und Elektrofreunde tanzen natürlich auch im New Basement in der Schwalbacher bis in den Morgen hinein.

Spagat im Wohnzimmer

Wer erst ganz entspannt etwas Trinken und dann später feiern möchte, ist im Wohnzimmer genau richtig. Hier im Erdgeschoss der Wartburg auf der Schwalbacher Straße ist Wohlfühlmodus angesagt. Die weitläufigen Räume verwandeln sich am Wochenende gegen 23 Uhr in einen Club für Publikum über 21, DJs heizen zu House, RnB und Hip Hop ein. „Das Besondere hier ist der Spagat zwischen Bar und Club, so ist kein Locationwechsel notwendig, und der Gast kann trotzdem beides genießen“, verrät einer Patrick Eckelmann, der das Wohnzimmer zusammen mit Shannon Cuomo betreibt. Allerhöchstes Versackpotenzial genießt die „Bodega“ etwas weiter oben auf der Schwalbach, mit diesbezüglich förderlichen Öffnungszeiten. Die American Sportsbar neben dem Caligari hat ebenfalls bis in den Morgen geöffnet, das Brown Sugar auf der Taunusstraße lockt als eine ältesten Cocktailbars der Stadt mit Urlaubsfeeling.

Urlaubsfeeling, allerdings ganz anderer Art, bietet auch das „Thai Karaoke“ in der Mauritiusstraße – ein absolutes Muss für Freunde des nächtlichen Vergnügens mit besonderer Note. Frisch eröffnet hat das Café del Sol im alten Spital. Clubbing wie früher im Spital gibt es hier nicht mehr, aber am Wochenende lässt es sich immerhin bis 1 Uhr entspannen. „Die Location ist echt außergewöhnlich“, findet Christian Sommerbrecht (46): „ Die drei Vorhänge an den Seiten erinnern an eine südeuopäische Stadt und bringen eine besondere Atmosphäre. Dazu noch gemütliche Details wie ein schicker Bücherschrank. Alleine die Idee, eine Straßenseite zu spiegeln, ist genial.“

Livemusik im Kommen

Ein neu oder wiederbelebtes Thema der Wiesbadener Nacht ist die Livemusik. Im Wohnzimmer gibt es seit langem jeden Donnerstag die Jam Session zu später Stunde, die schon mal bis weit in den frühen Morgen dauern kann. Vorneweg treten seit neuestem außerdem gegen 21 Uhr größtenteils regionale Bands auf, die sonst gar nicht die Möglichkeiten hätten, Konzerte zu spielen. Sie liefern sozusagen das Warmup für die Session, die Vollprofis nicht nur aus Wiesbaden anlockt. „Ich singe gerne Jazz und gehe einfach ab. Es ist eine große Chance, die sonst keiner bietet“, erzählt Jack Leuerett auf Englisch. Der Schlagzeuger Thomas Heisrath findet es besonders interessant, dass die verschiedensten Menschen zusammen kommen und einfach Musik machen, obwohl sie sich teilweise gerade erst kennengelernt haben. „Jeder, der Lust hat, kann auf die Bühne gehen. Manche spielen zwei, drei Lieder, manche eine Stunde. Das hängt alles von Musikern und Publikum ab. Deswegen ist es immer wieder etwas Besonderes.“

Beim Thema Livemusik sollte auf einer richtigen Donnerstagnachttour auch die vor gut einem Jahr eröffnete Badhaus Bar in der Altstadt nicht fehlen. Mareike, 48, ist jedenfalls begeistert. „Endlich mal eine Bar, in der man sich gut aufgehoben fühlt. Abgesehen von einer stilvoll eingerichteten Location und tollem, freundlichen Personal, sind die Getränke eine willkommene Abwechslung zu all den 08/15-Drinks.“ Die Badhaus Bar arbeitet nämlich nur mit frischen Säften, und die Zuckersirupe werden selbst hergestellt. Sabine (38) erzählt: „Am Wochenende sind die DJ-Abende genial und donnerstags liebe ich die Pianomusik. Letztens hat eine Kubanerin gespielt. Sowas Gutes habe ich noch nie gehört.“ Sie meint die kürzlich in Wiesbaden heimisch gewordene Pianistin Lazara Cachao, Tochter des großen Orlando “Cachaíto” López, bekannt als Bassist des weltberühmten Buena Vista Social Club. Hausherr Christian Liffers lässt donnerstags ganz unterschiedliche Könner an die Tasten des Bechstein-Flügels, um für Abwechslung zu sorgen. Und hat schon wieder eine neue Idee: Im April startet der die kleine Latin-Partyreihe unter dem Motto „Casa de Música“, jeden Dienstag mit wechselnden DJs und Livemusikern. Zur Premiere am 4. April legt DJ Janeck auf.

Neue Formate

Ein ganz guter Indikator, dass das Nachtleben nicht zum Erliegen kommt, sind immer wieder neue Partyformate. Als Riesenvergnügen für ein buchstäblich bunt gemischtes Publikum entpuppt sich die „Neontanzattacke“ im Kulturpalast mit besonderen Schwarzlichteffekten – das nächste Mal zu erleben bei der 5 Jahre sensor-Party am 1. April. Im Cantina auf der Sonnenberger Straße ging kürzlich eine neue „Old School Hip Hop Party“ an den Start.  Für die Stimmung und Musik sorgte kein Geringerer als DJ Mem-Brain, ehemaliger Fettes Brot DJ und einer der erfolgreichsten HipHop DJs Deutschlands. „Nach vielen Nachfragen unseres tanzwütigen Publikums greifen wir die Tanznächte wieder auf und geben das leer geräumte Parkett im Veranstaltungssaal frei für einen thalhaus-DANCEFLOOR“, verlautet es aus dem Thalhaus im Nerotal – Auftakt wird mit DJ Roscha und „schönster Disconight-Illumination“ zum Tanz in den Mai sein.  In der Kreativfabrik feiert am 25. März die neue Reihe „Queer Factory“ für Gays und Friends Premiere. DJ Chris Wacup bringt als Special Guests und Host die Drags Nicci Mix und Norma-Jean Sunrise mit in den Keller und verspricht für den Plattenteller „nur das Beste an Pop, Dance und House.“ Gespannt sein dürfen Partygänger und Livemusikfans natürlich auch auf die „sensor-Afterwork: Feier-Abend“. Das neue Format bringen wir ab 6. April an jedem ersten Donnerstag im Monat, von 19 Uhr bis schauen wir mal, im und mit dem Wohnzimmer mit Band, DJ und bester Stimmung an den Start.

Temporär und einmalig

Foyer Großes Haus
Foto: Sven-Helge Czichy

Mit den festen verlässlichen Partys ist es so eine Sache in unserer Stadt. Was Wiesbaden aber richtig gut kann: Feiern im Rahmen von anderen Ereignissen, etwa bei den ausschweifenden Partys zu den zahlreichen Filmfestivals, zu einmaligen und sporadischen Terminen, wie etwa „DJs au Canal“ (du Midi) oder DJ-Abende im „c/o*“ und im Wakker am Wallufer Platz, oder auch in buchstäblich einmaligen Locations. Legendär waren die Partynächte im „Asyl“ an der Wilhelmstraße während des Theaterfestivals „Wiesbaden Biennale“. Bei den Maifestspielen wird daran angeknüpft, aber locationmäßig in Sachen Exklusivität noch eine Schippe drauf gelegt: Das Foyer des hochheiligen großen Hauses wird zur Partyzone an vier Terminen ab 23 Uhr.

Die Bar- und Clubnacht „Wiesbaden feiert“ zeigt unter dem Motto „1 Nacht, alle Locations, 1 Eintritt“ regelmäßig, was das Wiesbadener Nachtleben zu bieten hat. Siebzehn Teilnehmer sind bei der nächsten Ausgabe am 25. März dabei, die Palette reicht von New Basement über Paparazzi und Park Café bis zu Brown Sugar, Pupasch und Hindukusch – letzteres übrigens eigentlich ein afghanisches Restaurant in der Nerostraße, aber auch gerne mal Schauplatz von Spontanpartys.

Zum Schluss: Anti-Kater-Döner

Natürlich gibt es auch noch Irish Pubs, etliche Bierstuben und manch andere Orte, wo man die Nacht zum Tag machen kann. Bleibt vor dem Schlafengehen die Frage, wo es hingeht, wenn man fertig getanzt oder getrunken hat. Der 25-jährige Insurance and Finance-Student Dennis schwört auf Döner zum Finale einer langen Nacht. „Ist das beste Mittel gegen Kater, und um 4 oder 5 Uhr morgens bekomme ich auch immer nochmal richtig Hunger. Harput oder andere Läden wären mein Tipp. In der Wellritzstraße verhungert man auch nicht am frühen Morgen“, weiß er aus Erfahrung. Die vollen Dönerläden mitten in der Nacht hier und entlang der Schwalbacher Straße und Michelsberg  bestätigen diese Aussage definitiv, und der Tipp gegen den Kater fällt mehrfach beim Trip durchs nächtliche Wiesbaden.

Na dann: Guten Appetit, guten Heimweg und Gute Nacht, Wiesbaden!