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Hilfe in der Not: Wie Wiesbadener:innen sich weltweit bei Krisen und Katastrophen engagieren

Von Hendrik Jung. Fotos Kai Pelka.

Naher Osten, Westafrika, Griechenland oder Eifel. Von Wiesbaden leisten Menschen an vielen Orten der Welt Hilfe, wenn es zu Krisen und Katastrophen kommt.

Wo auch immer die Engagierten im Einsatz sind – manchmal helfen sie im beruflichen Kontext, manchmal im Ehrenamt und manchmal sogar in Eigeninitiative. Die hier exemplarisch vorgestellten Personen, die von grundsätzlichen Beweggründen und aktuellen Einsätzen berichten, lassen sich dabei weder von den Einschüchterungen Rechtsradikaler noch von islamistischem Terror oder von widrigen Witterungsbedingungen abhalten. Sie scheuen sich nicht vor dem „Tor zur Hölle“ und finden immer wieder Kraft, zu neuen Einsätzen aufzubrechen.

Andreas Kleber, 54 Jahre, Berufsfeuerwehrmann

„Das ist wirklich apokalyptisch! Es ist alles schwarz, bis auf die Ortschaften und ein paar Olivenhaine, die die Bauern mit ihren Wasserfässern gerettet haben“, berichtet Andreas Kleber von der Region um das griechische Olympia. Der stellvertretende Amtsleiter der Wiesbadener Berufsfeuerwehr ist im hessischen Hilfeleistungskontingent, das im August auf dem Peloponnes im Einsatz gewesen ist, für die Leitung des Versorgungsmoduls zuständig gewesen.

Rund 180 Einsatzkräfte haben sich mit 40 Großfahrzeugen auf den Weg gemacht und sind an ihrem Einsatzort angekommen, zwei Tage nachdem dort die Waldbrände gelöscht waren. „Es gab die Befürchtung, dass Wieder-Entstehungsbrände und Nachlöscharbeiten entstehen“, erläutert Andreas Kleber. Um das zu verhindern, sind die hessischen Einsatzkräfte in 24-Stunden-Schichten im Dienst gewesen. Mit Auswirkungen auf die Arbeit des Versorgungsmoduls.

Bei Lufttemperaturen um die 40 Grad Celsius hat es abends ab 20 Uhr Essen gegeben. Zuerst für die Einsatzkräfte, die um 22 Uhr mit der Nachtschicht begonnen haben. Auch die Lieferungen der örtlichen Bäckerei sind in drei Schichten erfolgt: Um fünf, sieben und neun Uhr. Dies auch, um durch die Mengen die Versorgung der einheimischen Bevölkerung nicht komplett lahmzulegen. Aus demselben Grund haben die 38 Einsatzkräfte der Wiesbadener Katastrophenschutzeinheiten, die für Betreuung, Logistik und Sanitätswesen zuständig gewesen sind, lieber längere Wege auf sich genommen, um größere Supermärkte anzufahren.

Bei Arbeitstagen von 20 Stunden, Schlafen im vom Tag aufgeheizten Zehn-Mann-Zelt und Trinkwasserversorgung aus dem Tankwagen ist es ein Einsatz mit hohen Belastungen gewesen. „Da lernt man, sich auf ein Minimum zu reduzieren“, betont Andreas Kleber. Neben der tollen Zusammenarbeit ist es die Dankbarkeit der Bevölkerung, die ihn beeindruckt hat. Weil Menschen, die gerade ihre Lebensgrundlage verloren haben, die Einsatzkräfte mit Oliven und Schafskäse versorgt haben.

Marco Kluge, 25 Jahre, Student

„Sagt Bescheid, was da los ist und seht zu, dass Ihr Leute rausbekommt“. Auf diese einfache Formel bringt Marco Kluge den Einsatzbefehl, den er gemeinsam mit knapp zwanzig weiteren Mitgliedern des Wiesbadener Ortsverbands des Technischen Hilfswerks erhalten hat. Es ist der 15. Juli dieses Jahres, und an vielen Stellen im Ahrtal weiß noch niemand, wie es dort nach der Flutkatastrophe des Vortags aussieht. Zwei Stunden nach Aufbruch aus dem Basislager haben sie es geschafft, zu Fuß über eine zumindest noch standsichere Brücke auf die andere Seite des Flussufers in Altenahr zu gelangen.

„Da stand ein 7,5 Tonner auf dem Kopf schräg gegen eine Hauswand. In dem Moment haben wir erstmal verstanden, was da für eine Gewalt dahintersteht“, verdeutlicht der Student der Studienrichtung Mechatronik. Bevor die Einsatzkräfte Gebäude erkundet haben, haben in der Regel zwei Baufachberater deren Sicherheit beurteilt.

Nur als ein älterer Herr beim Anblick der Hilfskräfte seinen gepackten Koffer geschnappt und sich über die Trümmer der Hausfassade auf den Weg zu ihnen gemacht hat, habe man kurzerhand entschieden das Risiko einzugehen, dass noch Fassadenteile hinterher fallen, um den Mann schneller aus der Gefahrenzone zu bringen. „Ich kenne Hochwasser-Einsätze und habe schon mehrfach Sandsäcke gelegt oder Keller ausgepumpt. Jetzt habe ich den Unterschied zwischen einem Hochwasser und einer Springflut verstanden“, verdeutlicht Marco Kluge, der in seiner bayrischen Heimat bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv gewesen ist.

Obwohl er alles gegeben habe, habe er nach diesem Einsatztag bedauert, dass er nicht noch mehr habe helfen können. Da zu diesem Zeitpunkt des Semesters nur noch eine Prüfung ausgestanden hat, hat er sich innerhalb eines Monats noch zwei Mal Einsätzen für jeweils etwa eine Woche beim Aufräumen der Folgen der Flutkatastrophe angeschlossen. Bewundernswert sei, dass Menschen vor Ort trotz physischer und psychischer Belastung nie aufgegeben haben.

Etienne Heijens, 65 Jahre, Chirurg

Foto: Ortho Hilfe Afrika

Im kommenden Jahr soll es wieder los gehen, für die Mitglieder der Ortho Hilfe Afrika. Der Wiesbadener Verein ist dafür verantwortlich, dass seit dem Jahr 2013 bislang 212 Menschen aus Westafrika in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, mit künstlichen Hüftgelenken versorgt werden konnten. Bereits jetzt drängt die Zeit, um die nächste Mission der Orthopäden und OP-Fachkräfte vorzubereiten, weil man erfahren hat, dass sich die Abwicklung von Luftfracht nach Burkina Faso verzögert. Aus diesem Grund organisiert man bereit jetzt Sach- und Geldspenden, um Prothesen, Infusionen und Verbandsmaterial in ausreichender Menge verschicken zu können. Da die diesjährige Mission ausfallen musste, besteht zudem keine genaue Kenntnis über die vor Ort noch vorrätigen Bestände, so dass man lieber etwas mehr Material mitnehmen möchte.

„Das Projekt ist mir wichtig, weil wir in einem der ärmsten Länder der Welt vorwiegend junge Menschen mit künstlichen Hüftgelenken versorgen können. Es sind Menschen, die durch ihr Leiden gefährdet sind, ihre Erwerbsfähigkeit zu verlieren oder diese schon verloren haben“, erläutert Etienne Heijens. Er hat sich von einem belgischen Kollegen, der bereits seit 2004 in Ouagadougou aktiv ist, dazu inspirieren lassen, ebenfalls eine jährliche Mission zu organisieren, die jeweils zwei Wochen lang dauert. Durch die Operation, die 99 % der Bevölkerung sich im eigenen Gesundheitssystem nicht leisten könnte, sind die behandelten Menschen im Anschluss nachhaltig wieder in der Lage sich selbst und Ihre Familie zu versorgen.

Damit es sich bei den Operierten auch tatsächlich um diese Zielgruppe handelt, müssen sich Interessierte vorab bewerben, damit eine Vorauswahl getroffen werden kann. „Aus vielen Rückmeldungen, von dortigen Ärzten, aber auch von den Patienten, die uns, wenn wir dort sind, besuchen kommen oder uns kontaktieren, wissen wir, dass es auch gelingt, dass sie ihre Familien wieder ernähren können, verdeutlicht Etienne Heijens.

Theresa Breuer, 35 Jahre, Krisenjournalistin

Foto: Julie Hotz

Die aus Wiesbaden stammende Theresa Breuer berichtet seit 2012 als Reporterin aus dem Nahen Osten. Nach Stationen in Israel, Kairo und Beirut lebt sie seit Anfang 2018 in Kabul, Afghanistan. Dort wurde sie im Zuge des durch den überstürzten Truppenabzug der Amerikaner ausgelösten Chaos auch zur Aktivistin. Sie gehört zu den Initiatorinnen der „Kabulluftbrücke“ (www.kabuluftbruecke.de) über die unter widrigen Umständen mehrere Hundert Menschen aus Afghanistan evakuiert werden konnten. Unser geplantes Interview mit Theresa Breuer, die derzeit von Pakistan aus arbeitet, kam trotz mehrerer Anläufe nicht zustande. Die verabredeten Videointerview-Termine musste sie wegen der Umstände und Erfordernisse ihres humanitären Einsatzes immer wieder verschieben. Wir planen, eine Geschichte mit und über Theresa in einer kommenden Ausgabe nachzuholen.

Bis dahin empfehlen wir schon mal diesen aktuellen Beitrag des ARD-Kulturmagazins „titel thesen temperamente“ über Theresa Breuer und ihre Arbeit:

https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/videos/filmemacherin-theresa-breuer-luftbruecke-kabul-video-100.html

Susanne Seulberger, 51 Jahre, Floristin

Ob in Flüchtlingslagern an den europäischen Außengrenzen wie auf Lesbos oder bei Calais, ob bei rumänischen Kindern, die der Prostitution entgangen sind oder nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Susanne Seulberger hat in den vergangenen Jahren an vielen Orten geholfen. „Ob bei Einsätzen mit der Notfallseelsorge oder bei Fahrten in Flüchtlingslager oder Katastrophengebiete habe ich immer Respekt und oft ist mein Herz schwer bei der Gewissheit, was mich erwartet. Oft weiß ich, dass es ein Gang in die Hölle ist“, erklärt Susanne Seulberger, „aber ich weiß immer, dass ich die Hölle wieder verlassen kann und auch mit schlimmen Erlebnissen irgendwie fertig werde“.

Bei all den Eindrücken, die sie dabei gesammelt hat, habe sie seit fünfzehn Jahren ihr Engagement bei der Notfallseelsorge in Wiesbaden am meisten geprägt. Nach mehrmonatiger Schulung ist sie dort zunächst als Praktikantin aktiv gewesen und übernimmt auch heute noch Einsätze, wenn sie gerade in Wiesbaden ist. Hier hat sie Freunde, die sie unterstützen. Einmal habe sie nach einem Einsatz nachts eine Freundin angerufen, um über das Erlebte zu sprechen. Allerdings sei kurz darauf der nächste Einsatz eingegangen.

„Ich bin wieder los, weil für mich die Regel gilt: Gott gibt mir nur so viel wie ich aushalten kann. Ich bin nicht streng gläubig, aber ich lebe im Vertrauen auf diese Regel“, berichtet Seulberger. Ihre Unterstützung für Flüchtlingslager in Griechenland hat mit dem Sammeln und Verschicken von Kleiderspenden begonnen. Mittlerweile hilft sie aber lieber vor Ort, lernt Menschen kennen, erkennt Versorgungslücken und Möglichkeiten zu helfen. „Mit dem ganz normalen Leben kann ich nicht mehr viel anfangen, was wohl die Folge dieser Arbeit ist“, verdeutlicht Susanne Seulberger. Stattdessen hat sie eine Ausbildung zur Trauerrednerin und eine Weiterbildung in systemischer Führungskompetenz gemacht und arbeitet an ihrem Projekt Zuversicht, zu dem etwa ein Trauerhotel gehören soll.

Weiterlese-Tipp: Editorial Oktober-sensor – „… über ein `das ist aber schlimm´ hinaus …“.