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Hochbunker als Fluxus-Museum – oder auch nicht: Torpediert die Stadt ausgereifte Investorenpläne?

Die angestrebte Wiesbadener „Kulturmeile“ zwischen Schlachthof und Staatstheater könnte spannenden Zuwachs bekommen – mit Betonung auf „könnte“. Vor über fünf Jahren wurde die Idee geboren, den seit Jahrzehnten brachliegenden Hochbunker auf der Friedrich-Ebert-Allee in ein Fluxus-Museum zu verwandeln und daneben ein Fluxus-Themenhotel zu errichten.  Es wurde zwischen den Beteiligten intensiv verhandelt, immer wieder nachgebessert, nun schien die Sache endlich in trockenen Tüchern. Bis plötzlich die Stadt Wiesbaden ins Spiel kam.

Es geht um das Grundstück Friedrich-Ebert-Allee 8, direkt gegenüber vom RMCC und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Museum Wiesbaden und dem entstehenden Museum Reinhard Ernst. Neben dem denkmalgeschützten Hochbunker aus dem 2. Weltkrieg befindet sich  ein Parkplatz, der vom direkt benachbarten Finanzministerium genutzt wird. Dieses soll sich nach langen Verhandlungen bereit erklärt haben, das Grundstück herzugeben für die Realisierung des Vorhabens des Frankfurter Projektentwicklers Steinberg & Hinkel, auf dem Areal ein öffentlich zugängliches Designhotel nebst Fluxus-Museum zu errichten – und somit den Weg freizumachen für den Verkauf an den Privatinvestor durch die Grundstückseigentümer, die Patrizia AG.

Laut bis ins Jahr 2017 zurückreichender „Timeline“ des Projektes, die sensor ebenso wie das Konzept für das Vorhaben inklusive architektonischer Entwürfe vorliegt, hat das Hessische Finanzministerium nach einer Telefonkonferenz mit Finanzminister Michael Boddenberg persönlich im April 2022 die Freigabe für den Verkauf erteilt. Nach Angaben Beteiligter bezieht sich die Freigabe zur Entmietung ausschließlich auf den angepeilten Verkauf für die Fluxus-Idee, ansonsten würde das Finanzministerium an der eigenen Nutzung bis mindestens zum aktuellen Vertragsende 2035 festhalten.

Diese Information ist relevant mit Blick auf die nun bekannt gewordenen Aktivitäten der Stadt Wiesbaden, das Grundstück zu erwerben, was die Vorhaben des Investors in Sachen Fluxus-Museum und -Hotel quasi auf der Zielgeraden torpedieren würde. Dem Vernehmen nach hat die Stadtentwicklungsgesellschaft SEG bei der Angelegenheit ihre Finger im Spiel. Bei der letzten Aufsichtsratssitzung der städtischen Gesellschaft soll es hoch – und laut – hergegangen sein, als ein angedachter Ankauf des Grundstücks durch die SEG diskutiert wurde. Eine eigene konkrete Nutzungsidee scheint die Stadt nicht zu haben und denkt offenbar eher an einen Ankauf auf Vorrat.

Entsprechende Fragen, die sensor sowohl an die Stadt wie an die SEG richtete, blieben bislang unbeantwortet. Die Stadt ließ durch ihren Sprecher sagen, dass man zu dem Thema erstmal nichts sage, und verwies auf eine in dieser Woche vorgesehene Pressekonferenz. Die SEG-Geschäftsführung reagierte bislang gar nicht.

Dafür kam eine erste Stellungnahme aus der Stadtpolitik. „Mit großer Verwunderung“ hat demnach die Fraktion Freie Wähler/Pro Auto auf die kolportierte Absicht der Landeshauptstadt Wiesbaden reagiert, das Grundstück ‚Friedrich-Ebert-Allee 8‘ anzukaufen. Christian Hill, stellvertretender Vorsitzender und planungspolitischer Sprecher der Fraktion, findet diese Angelegenheit wegen der vorliegenden Pläne des Privatinvestors „besonders pikant“. Das Vorhaben, den alten Bunker in ein öffentlich zugänglichles Fluxus-Museum umzuwandeln und auf dem Parkplatz zur Straße hin ein Kunsthotel zu errichten, bewertet Hill asl „eine absolute Bereicherung für unsere Stadt, die den Bürger und Steuerzahler keinen Pfennig kosten würde.“

Es sei daher völlig unverständlich, daß die Stadt selbst als Käufer auftreten wolle und private Investoren zurückdränge. Die Rolle der SEG Stadtentwicklungsgesellschaft in dieser Sache sei nebulös: „Es drängt sich der Verdacht auf, dass die SEG hier die Stadt für ihre teilweise undurchsichtigen Spielchen missbrauche. Da verlangen wir Aufklärung!“, so Hill.

Es ginge hier immerhin um ein Grundstück, für das sich die Stadt seit über 70 Jahren nicht interessiert habe, und urplötzlich solle ein Ankauf geradezu durchgepeitscht werden.

Man darf gespannt sein, wie sich die übrigen Fraktionen im Rathaus – insbesondere jene der Regierungskooperation aus Grünen, SPD, Linke und Volt – sowie die verantwortlichen und involvierten DezernentInnen in der Sache positionieren werden. Spannend wird auch, wie die Wiesbadener Kunst- und Kulturszene auf die Vorhaben des Investors und die der Stadt reagiert.

Wird – natürlich nach intensiver Beschäftigung mit den Plänen – der Idee  für ein im besten Fall weiteres Kultur-Ausrufezeichen der Landeshauptstadt an exponierter Stelle – mit Potenzial für Identifikation in die Stadt hinein und Alleinstellungsmerkmal nach außen – eine Chance gegeben? Oder werden die ambitionierten Pläne so zertrümmert wie einst der Flügel im Museum Wiesbaden, als Wiesbaden 1962 zum „Geburtsort“ der bis heute weltweit bedeutenden und auch von der und in der Stadt immer wieder gewürdigten, präsenten und – zuletzt im Sommer 2022 – ausgiebig gefeierten Fluxus-Bewegung wurde?

(Dirk Fellinghauer / Foto Stilbruch)

5 responses to “Hochbunker als Fluxus-Museum – oder auch nicht: Torpediert die Stadt ausgereifte Investorenpläne?

  1. „Eine eigene konkrete Nutzungsidee scheint die Stadt nicht zu haben und denkt offenbar eher an einen Ankauf auf Vorrat.“
    Dies läßt sich vermuten. Die Stadt versuchte im näheren Terrain ein Stadtmuseum zu bauen und hatte dabei stets die Kunst vernachlässigt, für die auch im Landesmuseum Platz benötigt wurde. Auch das wichtige Museum Ernst mit dem abstrakten Expressionismus benötigte einen Platz.
    Vermutlich steht die Stadtmusemslobby dahinter.

    1. ich hatte der Stadt vor vielen Jahren den Bunker als Standort für ein Stadtmuseum vorgeschlagen, fand ich naheliegend und die Stadt interessant. Allerdings wusste ich nichts von der Fluxusidee. Ich würde mich freuen über ein Museum mit Hotel. Wiesbaden hat Nachholbedarf

      1. Mein Kommentar war ursprünglich eher zynisch gemeint!
        Natürlich sollte dort mal ein Stadtmuseum hin, an die Wilhelmstr.1.
        Dies wurde von dem örtlichen Kunstkartell und opportunistischen Stadtpolitikern zugunsten des Museums Ernst und seiner Sammlung modernen amerikanischen Kitsches gekippt. Und während das Stadtmuseum in einer feuchten Gruft beerdigt wurde, fetischisiert man hier den abgetragenen Fluxus, wie nachfolgend ausgeführt. Und alles „für eine zukünftige Gestaltung und Sicherung der ldentität der Landeshauptstadt!“

  2. Liebe politisch Verantwortliche von Wiesbaden,

    liebe Entscheidungsträger,

    sowohl im Kurier als auch im Sensor wurde das Thema der FLUXUS HOTEL+MUSEUM Nutzung intensiv diskutiert, bevor es heute zur Weichenstellung kommt.

    Nahezu parallel steht die Sitzungsvorlage Nr. 22-V-61-0022 Identitätsfindung auf der Tagesordnung am Donnerstag.15. Dezember 2022.

    Der einleitenden Satz unseres Oberbürgermeisters sollte bei den weiteren Überlegungen zu der Nutzung dieses prädestinierten Standortes als Grundlage dienen:

    „Für die zukünftige Gestaltung und Sicherung der ldentität der Landeshauptstadt ist es unerlässlich, bestehende Qualitäten der Stadtgestalt zu identifizieren und künftige Entwicklungen daran anzupassen.“ (Sitzungsvorlage Nr. 22-V-61-0022)

    Es gibt neben einer physischen Vorstellung von „bestehenden Qualitäten der Stadtgestalt“ in Form von Architektur, Landschaft und Verkehrsnetzwerk den extrem wichtigen Begriff des immateriellen Kulturerbes. Diesen für Wiesbaden zu identifizieren liegt auf der Hand: In der kulturellen Wahrnehmung der Landeshauptstadt wird Wiesbaden weltweit mit einem einzigen Ereignis assoziiert: Der Geburtsstunde von FLUXUS 1962.

    Im 10 Jahres Rhythmus investiert die Stadt Wiesbaden seit 1982 regelmäßig finanziell und ideell in die Erinnerung und Wiederbelebung dieser initialen Ereignisse des Septembers 1962: Legendär für die Festspiele in Wiesbaden wurde die Zerstörung eines (bereits zuvor irreparablen) Konzertflügels auf der Bühne des damals noch Städtischen Museums Wiesbaden. Was als Affront gegen bürgerliche Traditionen wahrgenommen wurde und bis heute ikonisch in Erinnerung blieb, entwickelte sich zur (offiziellen) Quelle weltweiter bahnbrechender Umbrüche in der bildenden Kunst. Es ging um neue Lebensmodelle, um die Sensibilisierung auf das Wesentliche, um ein kollektives Miteinander.

    In unterschiedlichen Formaten wurde die skandalöse Frage ausgereizt, was geschähe, wenn man die ganzen gesellschaftlichen Konventionen und Zwänge – all die kunstvollen Worte, Noten und Figurationen, welche die Schreckensherrschaften des 20. Jahrhunderts nicht hatten verhindern können, in ein Nirgendwo führt, komplett auflöst.

    Yoko Ono, die im Alter von nur 12 Jahren den Atombombenabwurf auf ihr Heimatland miterleben musste – hinterfragt als eine der Ersten John Cages nowhere auf künstlerische Weise: Kann man die Kunst von allen alten wie neuen sinnsuchenden, sinnstiftenden Moden oder Manifesten befreien? Kann man aus dem Reich des Gegebenen radikal aussteigen?

    Auch in diesem gerade ausklingenden Jahr, dem 60 Jubiläums von FLUXUS wurde mit der stadtweiten Aktion FLUXUS SEX TIES! in den Kunstsommer 2023 eigeleitet. Aus diesem Anlass schenkte niemand geringeres als Yoko Ono den Wiesbadener:innen zu diesem Geburtstag drei ihrer einzigartigen Partituren, die alle 1962 auf der Bühne des damals noch Städtischen Museums Wiesbaden uraufgeführt wurden, der Anfang einer langen Serie von „Pieces“, die man sowohl als Anleitungen für Performances, aber eben besonders auch als (Kopf-)Filme denken kann – Imagine – auf der Suche nach einer anderen, besseren, demokratischen, friedlichen, ressourcen-schonenden Welt des Miteinanders – nichts wäre wichtiger in der aktuellen Lage.

    Bereits seit 2008 schreibt die Landeshauptstadt (Kulturamt) in Kooperation mit dem Nassauische Kunstverein Wiesbaden jährlich das Stipendium FOLLOW FLUXUS – FLUXUS UND DIE FOLGEN weltweit aus und stärkt damit zusätzlich dieses Alleinstellungsmerkmal der Stadt im globalen Kontext. Seit geraumer Zeit wird zudem die Idee einer Kulturmeilen Visitenkarte entlang der Friedrich Ebert Allee – Wilhelmstraße verfolgt.

    Was also liegt näher, als gegenüber des neuen internationalen Kongresszentrums, in unmittelbarer Nähe von Museum Wiesbaden (dem Nachfolger des Städtischen Museums), Museum Reinhard Ernst, mit der wohl größten europäischen Gutai Sammlung (japanischer Vorläufer von Fluxus) und dem Nassauischer Kunstverein Wiesbaden mit zahlreichen permanenten und temporären Fluxus Installationen und Environments, dem Museum of Subconscious (Ben Patterson), das Thema der Verknüpfung von Kunst und Leben, eine der Kernaussagen von Fluxus, genau in der Form eines FLUXUS HOTEL+MUSEUM an diesem Ort umzusetzen?

    Gelingen würde die faszinierenden Verknüpfung der traditionellen Gastgeber Rolle der Stadt aus ihrer Kur- und Bädertradition mit einer der wichtigsten und bahnbrechendsten Kunstform, die glücklicherweise in Wiesbaden „offiziell“ ihren Anfang fand!

    Bitte tragen Sie dazu bei, eine zweite Wiesbadener Walhalla zu vermeiden und unterstützen Sie das Vorhaben des FLUXUS HOTEL+MUSEUM genau an dieser prominenter Stelle.

    Auf Rückfragen freue ich mich und für tiefergehende Erklärungen stehe ich jederzeit und immer sehr gerne bereit.

    Elke Gruhn

    NASSAUISCHER KUNSTVEREIN WIESBADEN gegr. 1847
    – Zentrum für zeitgenössische Kunst / Centre for Contemporary Art –

  3. Leider passt dies ihn das Bild mancher Entscheidet dieser Stadt zu deren Verhalten es ja bereits überregional erschienene Bücher gibt.

    Sehr schade, dass solche Machenschaften Projekte vereiteln, die mit privatem Risiko der Stadt einen Mehrwert bieten.

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