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Jugend ohne Bock?

Jugend ohne Bock? Eher eine Jugend ohne Perspektive…

Von Holger Carstensen.

„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität.“ Sagt Sokrates, vor so 2400 Jahren. Alt gegen Jung geht immer. Von allen Ressourcen ist Zeit vielleicht die kostbarste. Die Generation, die davon die Beste hatte, gegen die zu positionieren, der am Wenigsten bleibt klingt wie ein Witz am Ende der Welt. Aber here we go – Gen Z gegen Boomer.

Die sagen angeblich, die Gen- Z hat „Kein Bock“. Kein Bock auf Leistung. Kein Bock auf Zukunft. Kein Bock auf Garnichts. Unmotiviert. Psychisch nicht belastbar. Weltfremd.
Aus Sicht der Gen-Z geht es nicht um eine mögliche Zukunft, sondern um die Möglichkeit der Zukunft Punkt. Um die Frage, ob die Erwachsenen Zukunft überhaupt wollen und können. Die Sprachlosigkeit zwischen Gen Z und dem Rest der Gesellschaft ist enorm. Also: wenn eine Schublade “Gen-Z” sich mit einer Schublade, die “die Gesellschaft” heißt, versuchen würde, zu unterhalten.

Gen Z´s Erleben von prägenden biografischen Schlüsselmomenten in Schule, Pubertät, Erwachsenwerden in Isolation und Ungewissheit, die im Lock Down Realität waren, bilden sich ab in den gestiegenen Zahlen psychischer Krankheiten und Störungen seit der Pandemie. Insbesondere bei den Jüngeren. Worte wie Social Distancing und Ausgangssperre fallen einem widerwillig wieder ein. Der Elefant im Raum ist aber ganz klar das Thema Zukunft.

“Ich sehe, dass in unserer Generation die Unsicherheit groß ist”, sagt Otta, 22, die eine Ausbildung zur Erzieherin macht. “Auch gerade bei meiner Schwester, die zwei Jahre jünger ist, und ihren Freundinnen, die alle ne Ausbildung angefangen haben und dann wieder gebrochen haben. Weil das dann doch nicht war, was die sich vorgestellt hatten. Da ist große Orientierungslosigkeit.”

Otta, das ist ihr Spitzname, hat selbst Therapie-Erfahrung. Sie bestätigt, dass sie viele im Freundes- und Bekanntenkreis, vermehrt auch unter 20 kennt, die in therapeutischer Behandlung sind oder einen Therapieplatz suchen.

Bo (20) kennt das. Auch seine Schwester ist zwei Jahre jünger. “Für sie war das richtig bescheiden. Weil die ganzen Kontakte weggebrochen sind. Wir wohnen auf dem Land. Alle ihre Freunde aus der Stadt. Wo sie nicht hin durfte. Ich habe meine Freunde alle jeden Tag online an der Konsole getroffen und konnte lustig reden und tralala und sie halt gar nicht.“

Er kennt auch noch diese Ungewissheit, als er im zweiten Pandemie-Jahr ein FSJ im Kindergarten absolvierte. “Wie viele Kinder kamen, generell sehr ausgedünnt, war immer sehr spontan. Betreuung gab´s ja nur für systemrelevante Eltern. So hieß das ja. Deswegen war es oft ruhig in der Kita. Wir trugen alle Masken. Dass das, um einen Bezug zu finden-
guckt der gerade böse oder traurig- so für Mimik, Gestik, Emotionserkennung, kurz: die Entwicklung der Kinder alles andere als förderlich war – das ist klar.”

Benjamin, rangiert mit 25 am obersten Ende der Gen-Z Alters-Skala. An sein Physikstudium, das er mitten in der Pandemie begann, erinnert er sich mit mulmigen Gefühlen. “Alles war online. Ich hab niemanden kennengelernt. Insgesamt ziemlich schwierig, ein Gefühl zu entwickeln fürs Studium. Also, dass man sich untereinander austauscht, Lerngruppen bildet, der gesamte soziale Aspekt eben. Das erste Semester ging noch gut. Im Zweiten wurde es hakelig. Und zuletzt ging´s nicht mehr.” Abbruch.
In der Pandemie waren Schulen, Ausbildungsplätze und Unis in ihrer Erfahrung mit der Situation überfordert. Darunter haben die Drei gelitten. Das ist Fakt.

“Die Qualität meiner Schulausbildung hat ab dem Tag nachgelassen, wo wir nicht mehr zur Schule gehen konnten”, resümiert Bo. “Das fehlt bis heute. Das hat auch bis heute keiner nachgeholt.” Alle drei berichten über die damals fehlende digitale Ausstattung der jeweiligen Ausbildungsstätten. Oder die Abwesenheit von AusbilderInnen, LehrerInnen, Dozenten während der Lock Downs. Dem Gefühl, mit seinen Problemen alleine gelassen zu sein. Seine Schule habe dann so drauf reagiert, erzählt Bo, die Abschlussprüfungen “sehr, sehr einfach” zu gestalten. Damit niemand Nachteile hat. In Otta´s Vor-Ausbildung zur Erzieherin, der Ausbildung zur Sozial-Asistentin, fiel Corona-bedingt der komplette praktische Altenpflegeteil aus. Das ist für sie bis heute ein Nachteil bei der Jobsuche. Und bereitet ihr Sorgen bis hin zu Existenzängsten.

Depressionen, soziale Ängste und ADHS-Abklärungen. Das waren die häufigsten psychischen Post-Corona Anfragen bei den 15 bis 25-Jährigen in seiner Psychotherapiepraxis, fragt man Sascha Kern. Der Therapeut aus Wiesbaden sieht das u.a. als Folge geringerer Sozialkontakte. Auch das Gegenteil, also auffälliges Verhalten aufgrund unangemessener Emotionsregulation, das vom Gegenüber z.B. als zu fordernd oder aggressiv erfahren wird, führten zu Konflikten in Schule und Ausbildung. Und Essstörungen träten etwas häufiger als vor der Pandemie auf. Die gelten, neben dem offensichtlichen Bestreben, den Körper entsprechend einem Ideal zu optimieren, psychologisch auch als Versuch, Kontrolle zu erlangen.

Ohne sozialen Kontakt oder Miteinander ist es schwieriger, einen eigenen Standpunkt, eigene Grenzen, eine eigene Identität zu entwickeln. Was Otta, Bo und Benjamin übereinstimmend berichten, ist, dass sich mit der Pandemie der Austausch ins Netz und auf Social Media verlagert hat. Und auch nach der Pandemie weiter dort stattfindet.
“Also ich bin an sich ein sehr sozialer Typ,” beschreibt Bo sich. “60 % vom Tag bin ich unter Leuten. Du hast trotzdem immer den Kontakt auf Instagram und Snapchat mit anderen Freunden und Bekannten. Ich bin ziemlich viel am Handy. Unter der Woche sind vier Stunden Bildschirmzeit normal. Samstags auch mal neun. Ich glaube, da können sich ganz, ganz viele in meinem Alter und auch ein paar Jahre drunter und drüber anschließen, was Smartphones angeht. Und dann gibt´s ja noch Discord und so weiter.”

Immer online, oder raus sein. Soziales Erleben hat sich dauerhaft ins Netz verschoben. Verglichen mit der Offline-Welt erwarten die Kids hier andere Herausforderungen. Otta hat erlebt, wie während Corona Bekannte und Freunde auf der Suche nach der eigenen Identität, sexueller Orientierung oder Geschlecht regelrecht in einer Krise gelandet sind.
„Wenn ich es benennen müsste, würde ich sagen, die Identitätsbildung, rausfinden, für was ich stehe, ist schwieriger geworden,” so Therapeut Kern. “Weil es so viele Möglichkeiten gibt. Und gleichzeitig einen großen Druck, sich auf vielen verschiedenen Ebenen zu positionieren.”

Der Pool an Gleichaltrigen, mit denen sie sich vergleichen, sei durch das Leben online enorm vergrößert worden. Gleichzeitig bleiben diese aber schwer zu fassen. Dieser Vergleich mit einem digitalen Vorbild, bei dem ich nicht nachprüfen kann, ob es beschönigt oder optimiert ist, kann schnell ungesund werden. So entstünden Ängste, Erschöpfung, Überforderung.

Er berichtet über “richtige kleine PR-Manager”, die im Kuratieren ihrer Online-Identität erstaunliche Professionalität zeigten, tausende Follower hätten, und sich sehr bemü hten, Inhalte und Content zu kreieren. Darin sieht er mindestens zwei Probleme. Digitales Mobbing und Ausschluss wirkten gerade als Jugendlicher sehr real und bedrohlich, ordnet Kern ein. Das fände online schneller und härter statt. Und zweitens: “Dadurch, dass alles medial vermittelt ist, bauen sie eine große Distanz zum eigenen Erleben auf.“

Vielleicht findet der echte Clash zwischen Online / Offline-Lebenden statt, mit seinen unterschiedlichen Optionen und Erwartungen. Und das Alter auf dem Papier bildet es ab?
Trollen und provozieren ist oft der Modus der Online-Unterhaltung. Eine Unterhaltung in der Realität sei meistens nicht so, findet Otta: “Egal ob jetzt meine oder ältere Generation- was mir immer wieder auffällt, die Leute gehen davon aus, dass man sie richtig interpretiert. Da fehlt aber oft der Kontext, auch wenn etwas nicht böse gemeint ist, wird sich online schneller gefetzt. Da gibt´s weniger Hemmungen.” Social Media spitzt das in ihren Augen zu. “Wir haben verlernt, miteinander zu reden. Mensch zu Mensch. Das ist ein Riesenproblem.”

Für Benjamin ist das die Logik der Plattformen: “Niemand liest sich 250 Zeilen Kommentar unter einem Reel durch. Nur die, die ne polarisierte Meinung haben, die man in einem Satz zusammenfassen kann, werden gelesen und geliked.”

Komplexere Welt trifft auf verkürzte Kommunikation. “Der Witz ist glaube ich, dass diese Online-Kommunikation im Kopf so mitschwingt, bei der Offline-Kommunikation. Das macht es, glaube ich, untereinander und zwischen den Generationen schwieriger, sich über die Realität zu unterhalten”, findet Benjamin.

Die Realität ist krisengeschüttelt. Außerordentlich unordentlich. Am Ende einer alten Ordnung. Ohne, dass die Neue klar wäre.

Die vielen Negativ-Schlagzeilen aus der Offline-Welt strömen auf die, die online mehr Zeit verbringen, auch länger ein. Das ist -erforscht und nachgewiesen- psychisch belastend. Das dies zu einer Kein Bock-Haltung führte, damit kann sich kein(e) interviewte(r) Gen-Zler(in) identifizieren.

“Vielleicht eher Generation Perspektivlosigkeit. Wenn ich mir anschaue, was für mich überhaupt drin ist- ob ich jetzt viel arbeite oder wenig arbeite, macht nicht den Unterschied.” Mit dieser Hoffnungslosigkeit, die Benjamin zum Teil spürt, sei er nicht allein. “Bis auf die Leute, die sich gar nicht damit beschäftigen, gibt’s niemanden, der sagt, dass er nicht darunter leidet. Das geht von Klimawandel über Rechtsruck zu Wohnungsmarkt, also wirklich so die ganze Bandbreite. Man hat das Gefühl, da geht’s nicht voran und es ist tendenziell jetzt schlimmer.”

Bo ist generell optimistischer, sieht es in Bezug auf´s Klima aber ähnlich. “Aus meiner Sicht hat die Boomer-Generation eine miese Politik gemacht, und uns Vieles verbaut. Dass wir unsere Klimaziele nicht erreichen, ist die letzten Jahre Standard gewesen. Das wirklich was passiert -ich merk´s nicht. Aber es gibt eben Leute, die reflektiert sind, egal wie alt. Und Leute -eine sehr, sehr große Gruppe von Leuten- die ihre Augen zumachen und denken, das sind alles Probleme für in 30 Jahren. Ich würde das nicht unbedingt am Alter festmachen. Eher am Kanzlerkandidaten.”

Der Blick auf die Zukunft ist der Schlüssel für die unterschiedlichen Selbst- und Fremdwahrnehmungen zwischen den Generationen. Die Boomer wachsen in einer Gesellschaft auf, die Leistung belohnt und konkrete, materielle Auszahlungen für Anstrengungen bietet. Auch für ArbeiterInnen ist ein Eigenheim erreichbar. Die positive Haltung zur Zukunft, der Wachstums- und Leistungsgedanke prägen sie. In diesen Punkten könnten die Perspektiven kaum unterschiedlicher sein.

“Ich sehe uns eher als Generation, ich lass nicht alles über mich ergehen”, sagt Otta. Durch die Pandemie seien gesundheitsbezogene Themen wie Self Care stärker in den Fokus gerückt. “Ich arbeite mich nicht zu Tode und dann hab ich halt eben zwei Urlaubstage und zwei Krankheitstage mehr im Jahr. Aber dafü r ist meine Arbeitsqualität sogar besser. Das ist eher die Haltung.”

“Schlechte Bedingungen lassen sich leichter aushalten, wenn du die Perspektive hast, dass es besser wird. Aber das sehe ich und viele meiner Generation halt einfach nicht. Im Gegenteil. Wir sehen eher, es wird schlimmer. Und so versuchen wir, die Gegenwart einfach noch so viel zu genießen wie wir können.”

Neben Ungewissheit ist auch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit für Gen Z eine ganz andere. Psychotherapeut Kern: “Für das Handeln ist die Selbstwirksamkeitserwartung enorm wichtig, d.h. nach den motivationalen Fragen: „Was will ich tun?“ oder „Was ist mir wichtig?“ geht es vor allem darum, die Erfahrung gemacht zu haben, dass man Dinge auch umsetzen kann und dann die Frage: „Bin ich zuversichtlich, dass ich mein Ziel auch erreichen kann?“ positiv beantworten zu können. Darum geht es vor allem.“ Null Bock kann für ihn auch eine gesunde Einstellung sein. „Was wir lernen können von dieser Generation ist, bildlich gesprochen, dass sie verstanden haben: von innen sieht ein Hamsterrad halt aus wie ´ne Leiter. Und da mache ich nicht mit.“

Schaut man auf die politisch bewusst erlebte Zeit der Gen Z, von denen viele ab 16 wählen durften, sind ihre lautstark vorgetragenen Ansprüche ohne große Resonanz auf Boomer-
Seite verhallt. Otta erinnert sich an die Aufbruchstimmung, die es vor Corona zum Beispiel durch Fridays for Future gab. “Corona hat da allerdings wieder so einen Stillstand reingebracht, der nochmal extra weh tat”, findet auch Benjamin. Da wäre wieder das Motiv, dass sich die Vereinzelung, die sich in der Pandemie einschlich, verfestigt hat. Dass sich zwischen Ziel und Erreichen immer eine neue Krise stellt. Dass, um daran nicht zerbrechen, nur hilft, sich zu verbinden, real, von Mensch zu Mensch.

Benjamin ist zum Beispiel in die Jugendorganisation der Linken eingetreten. Real an Veränderung zu arbeiten tut ihm gut. Und nach der Pandemie machte er einen neuen Anlauf in Sachen Studium. Als Werkstudent arbeitet er jetzt in einem Architekturbüro in der Baustellenleitung. “Meine Chefin gibt mir viel Vertrauen und viel Verantwortung.“ Das sei zwar teilweise sehr stressig. “Aber es läuft gut und tut auch sehr gut”, lächelt er.

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