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Offener Brief zum Stadtmuseum: Kulturschaffende fordern von Politikern „Mut, das Projekt neu zu denken“

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Das Streitthema Stadtmuseum erregt immer mehr Gemüter in Wiesbaden, spätestens seit der kürzlich bekannt gewordenen und gestern von der Großen Koalition erstmals offiziell bestätigten Kultur-Streichliste zur Finanzierung des Vorhabens. Die Kulturschaffenden rücken zusammen und formieren gemeinsam ihren Widerstand. In einem offenen Brief fordern die fast fünfzig Unterzeichner aus ganz unterschiedlichen Bereichen des Wiesbadener Kulturlebens nun „den Magistrat und insbesondere die verantwortliche Kulturdezernentin, die Stadtverordnetenversammlung und den Oberbürgermeister“ auf, die Kürzungsvorhaben zurückzunehmen und „eine klare, sachlich nachvollziehbare Antwort auf die Frage der Kosten und der Finanzierung des Stadtmuseums zu geben“ sowie „den Mut zu haben, das Projekt aktiv neu zu denken“. Wir veröffentlichen den Offenen Brief im Wortlaut inklusive aller Unterzeichner, zu denen auch der sensor-Chefredakteur gehört. Der Initiator des Briefs, Frederik Malsy vom Improtheater Für Garderobe keine Haftung, betont, „dass in der Kürze der Zeit nicht alle Kulturschaffenden erreicht wurden und eine noch breitere Mehrheit dahinter steht.“

„Kultur ist kein Luxus, Kultur ist Lebensmittel“ (Johannes Rau)

Und Kultur stiftet Identität. Zum Wesen demokratischer Stadtkultur gehört, dass sie dort sichtbar wird, gelebt wird und einen konstruktiven und kritischen Dialog zulässt, um ein friedliches Miteinander und die Identifizierung mit der eigenen Stadt zu fördern.

Kurz gesagt: Kultur ist nicht nur Lebensmittel, sie ist auch identifikationsfördernd!

In Wiesbaden werden diesen Entwicklungen derzeit massive Widerstände entgegengesetzt und Grenzen aufgestellt, die die Kulturarbeit in dieser Stadt erheblich erschweren.

Zugunsten eines Stadtmuseums, das sicherlich ein wertvoller Beitrag für die Stadt sein kann, werden bestehenden Kulturinitiativen und -einrichtungen Gelder und Zuschüsse gekürzt. Die Finanzierung des Stadtmuseums zulasten etablierter und beliebter, innovativer und experimentierender Kunst- und Kulturprojekte ist ein kulturpolitischer Absturz und eine konzept- und perspektivlose Geisterfahrt, die wir Kulturschaffenden aufs Schärfste ablehnen.

Der Austritt aus dem Kulturfonds erscheint nur den Kulturpolitiker/innen der Großen Koalition monetär und rechnerisch logisch, ist aber das glatte Gegenteil, die Kollateralschäden sind absehbar massiv: weitere Fördergelder, die in Mehrfachfinanzierungen erreicht werden, gehen verloren, (über-)regionale Kooperationen werden abgewürgt und synergetische Kosten-Nutzen-Faktoren aufs Spiel gesetzt; Künstler/innen und Kulturschaffenden werden Arbeitsbedingungen entzogen oder erheblich erschwert, was bis zum Entzug einer Existenzgrundlage führen kann.

Wir wollen die Perspektiven der Kulturpolitik von Wiesbaden mitgestalten. Wir fordern deshalb den Magistrat und insbesondere die verantwortliche Kulturdezernentin, die Stadtverordnetenversammlung und den Oberbürgermeister auf,

– die Idee, die Mitgliedschaft im Kulturfonds zu kündigen, zurückzunehmen,

– die beschlossenen Kürzungen nicht im Kulturbereich vorzunehmen (u.a. Kunstsommer, Förderung potentieller Nachfolger des Pariser Hoftheater)

– den Ausbau und die Vernetzung der Kulturschaffenden in Wiesbaden und der Region zu erhalten und weiter fortzuführen.

– eine klare, sachlich nachvollziehbare Antwort auf die Frage der Kosten und der Finanzierung des „Stadtmuseums“ zu geben. Das taktische und gegenseitige Ausspielen kleiner und großer Kulturschaffenden, Institutionen und Vereine durch politische Entscheidungsträger lehnen wir kategorisch ab und halten es für eine Kulturstadt wie Wiesbaden für unwürdig!

In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, dass die Durchsetzung des Beschlusses zur Finanzierung des Stadtmuseums auf die Enkelgeneration verlagert werden soll. Das ist für uns Wiesbadener Kulturschaffende weder wünschenswert noch zu rechtfertigen, geschweige denn zu billigen. Vielen Menschen in der Kulturstadt Wiesbaden ist dieses Denken und Handeln weder recht, noch von ihnen gewollt.

Ein Stadtmuseum ist mehr als ein Zeugnis der Vergangenheit. Von einem Stadtmuseum erwarten wir Lehren, Reflexionen und Inspirationen, die die Zukunft betreffen. Dies darf allerdings nicht auf Kosten der Gegenwart geschehen – auch die wird in Kürze Geschichte sein.

Wir sind nicht gegen ein Stadtmuseum, wir sind aber dafür, transparente, finanzierbare und durchdachte Konzepte zu erarbeiten, die sich Wiesbaden leisten kann und die ihrer würdig sind. Wir lieben diese Stadt. Deswegen möchten wir Wiesbaden in seiner kulturellen Vielfalt erhalten und nicht die Kulturszene durch ein nicht finanzierbares Stadtmuseum kannibalisiert sehen.

Wir bitten die verantwortlichen Politiker, auf ihre Herzen zu hören und den Mut zu haben, das Projekt aktiv neu zu denken und vielfältig Meinungen zuzulassen und in transparente Planungen einfließen zu lassen.

Wir bitten alle Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, sich am Bürgerbegehren der Bürgerinitiative „Gemeinwohl hat Vorfahrt“ aktiv zu beteiligen und das Begehren zu unterschreiben.

Herzliche Grüße,

die Unterzeichner/innen:

Frederik Malsy, Schauspieler und künstlerischer Leiter Improvisationstheater „Für Garderobe keine Haftung“

Stefanie Petereit, Geschäftsführerin Improvisationstheater „Für Garderobe keine Haftung“

Andreas Petzold, Künstler

Hartmut Boger, Direktor Volkshochschule Wiesbaden

Stefan Grötecke, Galerist projekt48 und Unternehmensberater

Christine Diez, Regie und künstlerische Leitung GOJ T-A-TR

Wolfgang Vielsack und Susanne Müller, künstlerhaus43

Ulrich Cyran, Schauspieler/Regisseur und Gründer des Werktheater Wiesbaden

Iris Atzwanger, Schauspielerin

Claudia Stump, Schauspielerin

Michael Sommer, Regisseur

Sigrid Skoetz, Leiterin Walhalla Theater

Timo Willecke (Komponist, Theatermusiker, Mitgründer des HOER-SPIELER-Emsembles)

Eva-Maria Damasko, Schauspielerin

Dirk Fellinghauer, Chefredakteur Stadtmagazin sensor Wiesbaden

Armin Nufer, Schauspieler und Regisseur

Barbara Haker, künstlerische Leitung Compagnie Lunel

Jan-Markus Dieckmann und Oliver Klaukien, Ensemblemitglieder Compagnie Lunel

Udo W. Gottfried, Bildender Künstler (Bildhauer)

Michael Tarnowski, Unternehmens- & Managementberater, Schauspieler, Regisseur und Leiter „PHOENIX Theater“

Horst Krebs, Schauspieler

Gabriele Wegerich, Soz.-Päd., Nachbarschaftshaus Wiesbaden e. V.

Peter Aurin arco- Forum Wellritzstraße

Mario Krichbaum, Schauspieler

Claudia Friedrichs, Kulturschaffende

Martin Plass, Schaupieler, Regisseur, Inhaber art-up! Büro für kreative Begleiterscheinungen, Leitung der Wiesbadener Schule für Schauspiel

Oliver Wronka, Vorsitzender Justus Wiesbaden e.V.

Dirk Brömmel, Fotokünstler

Jana Brömmel, Design

Walter Richters, Vorsitzender der Volksbildungsstätte Schierstein e.V.

Rainer Schulte Strathaus, 1.Vorsitzende Thalhaus Wiesbaden

Klaus Siebertz, Geschäftsführender Vorstand Thalhaus Wiesbaden

Holger Hebenstreit, Künstlerischer Vorstand Thalhaus Wiesbaden

Marian Drabosenik, Vorstandsmitglied Thalhaus Wiesbaden

Claus Weyrauther, Musiker

Gabrielle Hattesen, bildende Künstlerin, Wiesbaden

Barbara Naughton (Velvets Theater)

Dana Bufková (Velvets Theater)

Bedřich Hányš (Velvets Theater)

Marie-France Ecker (Velvets Theater)


Mario Bohrmann, Herausgeber Lilienjournal

Andreas Schidlowski, Kulturermöglicher

Burkhard Mohr, Komponist

Bernd Brach, Maler

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