Text Dirk Fellinghauer. Fotos Kai Pelka, Dirk Fellinghauer, Veranstalter.
Mit voller Wucht aus der Zwangspause. Unsere Stadt blüht auf. Der bisher nicht so wirklich sommerliche Sommer kehrt nochmal zurück. Begegnungen und Beobachtungen.
„Summertime … and the livin´ is easy“ – wer kennt diesen Song nicht. Diesen Song, der eine Arie ist eigentlich, aus der Oper „Porgy and Bess“ von George Gershwin, und der dann den Weg heraus fand und zum meistgecoverten Jazz- und Pop-Standard aller Zeiten wurde. Ich habe ihn öfters im Ohr, wenn ich mich in diesem Sommer in der und durch die Stadt bewege. Das Leben ist auch in Wiesbaden wieder „leicht“, geradezu explosionsartig haben sich seit dem Ende des Lockdowns Aktivitäten, Ankündigungen und reichlich gute „endlich wieder“-Laune ausgebreitet in unserer Stadt. „The livin´ is easy“ in Wiesbaden. Easy, Wiesbaden. WIeasy … Schlendern wir los!
Schlagartig zurück ins Leben
Besonders augenscheinlich war das Wiedererwachen, erst recht seine Vorboten, direkt vor meiner Bürotür, oder besser gesagt hinter meiner Bürotür. Verlasse ich das Pressehaus, in dem die sensor-Redaktion zuhause ist, durch den Hinterausgang, gehe ich sozusagen durch den Haupteingang hinein in die Altstadt. Die Wagemannstraße ist hier die traditionelle Ausgehmeile, mit Institutionen wie Ludwig´s und Litfasssäule, mit Der Eimer, Zum Schweijk oder Lenz.
An den Tagen vor der dann doch recht schlagartigen Beendigung des (Gastro-)Lockdowns wurde hier – oder auch in den zahlreichen Restaurants der Goldgasse oder rund um die Badhaus Bar in der Häfnergasse – überall geräumt, gewischt, heraus/geputzt. Die Wirte und ihre Teams waren bester Laune und vorfreudiger Erwartung, dass sie endlich wieder das tun dürfen, wofür sie da sind: Gäste willkommen heißen. Längst dürfen sie wieder. Im „Schiffchen“ wird gefeiert wie eh und je. Mindestens.
Mitnehmen, was geht – der Sommer wird (zu) kurz
Und: Die Kultur ist zurück! Ich sah eine Anzeige des Hafen 2 in Offenbach der für sein neues Kulturangebot war mit der Devise „Die Sinne reparieren“. Ein schöner Gedanke. Unternehmungen und Möglichkeiten warten auch in Wiesbaden ohne Ende. Ich fürchte, dieser Sommer ist viel zu kurz für all das viele, was jetzt möglich ist und angeboten wird. Folgt auf die Unterforderung die Überforderung? Ich lese eine Kolumne, die vorm „Nachhol-Burnout“ warnt und mahnt, eben nicht zu meinen, jetzt alles Versäumte nachholen zu müssen. Mag sein, einerseits. Andererseits – frei nach Fassbinder: Schlafen kann ich auch noch, wenn der nächste Lockdown kommt. Also rein ins pralle Leben. Mitnehmen, was geht. Miterleben, was geht. Wiedersehen, wen geht. Kultur, Gastro, Einzelhandel unterstützen, wo es geht.
All die bekannten Spielstätten und Kultureinrichtungen sind wieder – man muss wohl sagen, sind glücklicherweise noch – da. Die Großen wie Staatstheater, Museum, Schlachthof – mit Backyard und Picknick-Konzerten -, und auch kleine Bühnen melden sich mit großen Vorhaben.
„Marleen“ macht Kultur im Shoppingcenter breit
Und Neues entsteht: Im „Lili“ – dem Shoppingcenter am Hauptbahnhof, in dem man alles Mögliche, aber sicher kaum Kultur erwarten würde – gibt es nun „Marleen“. Ein neuer riesiger unerwarteter Raum für die freie Wiesbadener Kulturszene. 435 Quadratmeter für Veranstaltungen, 202 Quadratmeter für Proben. Angezettelt vom Kulturbeirat mit einem Runden Tisch „Räume“ beim OB, vermittelt vom ob seiner öffentlichen „Unsichtbarkeit“ gerne von Argwohn begleiteten Citymanager Axel Klug, möglich gemacht durch den „Lili“-Centermanager Robert Klemm. Dieser macht den Eindruck, dass er es – natürlich auch unter Win-Win-Gesichtspunkten im Sinne einer Belebung des Centers – ernst meint mit dem Angebot, dass die Kultur sich breit machen darf in seinem Hause.
„Kultur macht sich breit“ – genau dies ist das Motto der neuen Pop-Up-Spielstätte, die mindestens bis Ende dieses Jahres, unter Regie von Kulturamt-Referentin Franziska Domes und ihrem Team, kostenfrei an Kulturschaffende aller Sparten vergeben wird. Eine coole Sache, das – und übrigens auch der mal richtig gelungene und für Wiesbadener Verhältnisse „mutige“ visuelle Auftritt, erdacht und gemacht von Designer Paul Etzel. Abgefahrener Ort, wirklich spannendes Programm. Ich komme wieder, hoffentlich oft.
„Kultur-Dschungel“ entsteht Unter den Eichen
Neues entsteht nicht nur unten in der Stadt, sondern auch droben über der Stadt. Unter den Eichen ist der „Kultur-Dschungel“ entstanden. Auf dem Gelände des ehemaligen Anny- Lang-Hauses wächst buchstäblich eine ganz besondere Kulturstätte. Das „Sommertheater im Nerotal“, dem sein namengebender Spielort schon letzten Sommer flöten gegangen ist, hat dort nun sein eigenes Grundstück pachten können und startet auf diesem mit einem Mix aus eigenen Stücken, Gastspielen und Konzerten mit Künstler:innen aus ganz Deutschland durch.
„Ein großer, verwunschener und wilder Garten, üppig grünend mit lauschigen Ecken und verschlungenen Pfaden, versteckten Winkeln, um sich zurückzuziehen und ständig neuen Blickpunkten, bildet den großen Rahmen für den Zusammenklang Kultur und Natur, Schauspiel und Musik“, beschreibt Sommertheater-Gründer und -Leiter Jan Dieckmann das Vorhaben: „Mitten in der Stadt begibt sich der Besucher auf eine Reise und findet einen Zugang zu einer anderen Welt.“ Es ist eine großartige Welt!
Volle Kulturdröhnung auf dem Freudenberg
Die Beschreibung würde auch zu einer weiteren Droben-auf-dem Berg-Kulturstätte bestens passen – dem Schlosspark Freudenberg. Komplett raus aus der Stadt, aber mit Bus, für Geübte mit dem Fahrrad oder gar mit einem ausgedehnten Spaziergang zu Fuß, bei Bedarf auch mit dem Auto schnellstens zu erreichen, ist dies ein seinerseits verwunschener Ort.
Auch hier gibt es den ganzen Sommer lang, bis weit in den September hinein, zusätzlich zur unglaublichen Atmosphäre des Ortes selbst, die volle Kulturdröhnung. „Shelter from the Storm“ ist nicht nur der Titel des von sensor präsentierten und in Kooperation mit dem Walhalla im EXIL realisierten Festivals, sondern auch des Theater-Performance-Stücks der Wanderbühne Freudenberg. Das lasse ich mir nicht entgehen. Keinesfalls entgehen lasse ich mir den Termin am 26. September. Da muss, darf, werde ich selbst auf der Bühne sitzen – und mit ganz bestimmt höchstinteressanten Gästen und „Der visionäre Frühschoppen“ moderieren.
Rückkehr der Freiluftkinos
Auch Freiluftkino gibt es im Schloss Freudenberg-Park in diesem Sommer – so wie glücklicherweise auch wieder auf jeden Fall beim „SCHIFF“-Festival im Schiersteiner Hafen (das lief von Ende Juli bis Anfang August) und auch beim Klassiker, dem „Bilderwerfer“-Open-Air-Kino auf den Reisinger Wiesen (12. August bis 4. September). Ein klasse (Geheim-)Tipp ist auch das Open-Air-Kino aus dem Bus heraus vor dem Museum Wiesbaden. Der Filmemacher Kai Schmidt zeigt hier bis 2. Oktober jeden Freitag und Samstag ab 19 Uhr in besonderer Atmosphäre seine spannende Indien-Doku „Pilot of Heaven – The last life of Hare Dutt Sharma“. Getränke müssen Filmfans hier selbst mitbringen, da keine vor Ort verkauft werden dürfen.
Superklasse wird sicher auch das von sensor präsentierte goEast-Autokino vom 1. bis 3. September auf dem Dern´schen Gelände. Hier erfahrt ihr, was wann läuft und könnt sogar für jeden Abend „ein Auto“ gewinnen.
Versteckt mit besten Aussichten: Szenewirte starten „Chateau Nero“
Auf einem nochmal anderen Wiesbadener Berg, dem Hausberg Neroberg, ist eine neue Gastronomie gestartet – und vom Start weg eingeschlagen. Heaven und Sherry & Port machen gemeinsame Sache auf einem Plateau oberhalb des Weinbergs – versteckt, aber mit grandioser Aussicht über Wiesbaden. „Chateau Nero“ heißt der Weinstand, an sechs Tagen die Woche gibt es ab nachmittags bis (mit Rücksicht auf die Nachbarn) spätestens 22 Uhr feine Weine und Kleinigkeiten zu Essen. Für die Anreise empfiehlt sich die wieder fahrende Nerobergbahn, Fahrradstellplätze gibt es ebenfalls genügend.
Linda Zimmermann, Betreiberin des „Heaven“ und Mitbetreiberin des „Kiezgarten am Sedanplatz“, erzählte mir von dem Projekt, als ich auf selbigem an einem Montagabend – allwöchentlicher Livemusiktermin in dem glücklicherweise weiter bestehenden wunderbaren Westend-Biergarten – vorbeischaue. Nicht alleine, sondern in Begleitung von Kalle Harberg.
„Merian“ blickt auf Wiesbaden
Dieser ist für vier Tage aus Hamburg zu Gast in Wiesbaden, genauer gesagt im Westend. Er ist Redakteur bei „Merian“ und recherchiert für eine Reportage über den besonderen Stadtteil in der „Wiesbaden“-Ausgabe der Reisemagazin-Institution, die am 23. September erscheinen wird. Ich darf ihm bei einem gemeinsamen Rundgang „mein“ Westend zeigen und entdecke es bei der Gelegenheit auch gleich selbst ein bisschen neu.
Wobei es hier einfach immer und ständig Neues entdecken gibt, in diesen Zeiten sogar mehr denn je. An der Ecke Bismarckring/Goebenstraße sorgt die Eisdiele „Santini“ seit diesem Sommer für Schlangen. Direkt gegenüber hat „Luis Wasabi To Go“ eröffnet. Der supernette Brasilianer ist seit fast zwanzig Jahren Sushikoch. Das schmeckt man, neben Klassikern hat er auch eigene Kreationen wie die „Westend Roll“ im Angebot. Großartig auch, dass das in der Goebenstraße mutig mitten im Lockdown mit reinem To-Go-Angebot eröffnete „Bovins pure & natural“ nun auch auf der kleinen Terrasse und im noch kleineren Restaurant Gäste empfangen darf.
Junge Kreative rufen „Goebenkiez“ aus
Als wir dort mit besten Freunden zum ersten Mal „richtig“ essen und nach dem Dessert noch auf einen Absacker zum „Brückenschlag“ an der Kreuzung Goebenstraße/Scharnhorststraße gehen, spricht uns ein kleines Grüppchen nettester Menschen an. Sie eröffnen uns, dass sie soeben den „Goebenkiez“ ausgerufen haben, nebst Instagram-Account und Webseite (www.goebenkiez.de). Genau für solche Momente und Begegnungen liebe ich „mein“ Westend.
Oder auch für Orte wie das endlich wieder geöffnete „Tagwerk“ am Bismarckring. Dorthin zieht es uns vom Brückenschlag spontan zum nun aber wirklich allerletzten Absacker – um kurz vor Mitternacht empfangen uns Ines und David sehr freudig und herzlich und mit einem „Wir wollten gerade schließen … Setzt euch!“. Leider wurde den Beiden nun auch noch eine fette Baustelle vor die Tür gesetzt, so dass es schon wieder vorbei ist mit dem netten kleinen Gärtchen. Aber drinnen können wir es uns weiter gut gehen lassen.
Rheinufer mausert sich mehr und „Meer“
Wenn mir etwas fehlt in Wiesbaden City, dann ist es ein Fluss. Umso mehr freue ich mich, dass der dann ja doch nicht wirklich weit entfernte Rhein am Ufer in Kastel rund um Theodor-Heuss-Brücke und Reduit sich mehr und Meer – ups, Freud´scher Vertipper – mausert zu einem Ort urbanen und mediterranen Lebens. Ganz besonders natürlich die wundervolle „Kransand“-Bistrobar, die unkompliziert und charmant die Menschen versorgt, die sich auf den Steinmauern mit besten Aussichten auf den Rhein, nach Mainz und in den Sonnenuntergang lümmeln und dort auch regelmäßig tanzen.
Ein anderer schöner nah-am-Wasser-Ort ist der Schiersteiner Hafen. Ob ich es schaffe, in diesem Sommer endlich mal wieder zu „suppen“? Wie ich gerade erfahren habe, gibt es einen Stand-Up-Paddling-Verleih. Für 15 Euro pro Stunde kann man sich unter www.hai-charter.de sein Board mieten. Und wenn ich dann da bin, hoffe ich, dass bis dahin auch Massi Namet und Marcus Wenig da sind. Die Macher von „Riesling im Hindukusch“ und „Glyg“ haben auf der Hafenpromenade einen coolen Container-Kiosk namens „Deck 17“ eröffnet.
Tür an Tür in der Walkmühle: Institution trifft (R)evolution
Apropos Wein. An einem tropischen Sommerabend Mitte Juni schafften wir es endlich, zum ersten Mal – den Laden gibt es seit 35 Jahren – das „Vinotto“ in der Walkmühle zu besuchen. Natürlich saß auch an diesem Abend der zum Inventar gehörende Ex-OB Achim Exner am Nachbartisch. Auf dem Nachhauseweg machten wir direkt nebenan noch eine aufregende Neuentdeckung. Und eine buchstäblich coole noch dazu. Die Jungs von „hurra“ – die Zwillingsbrüder Jan und David Schäfer und Julian Nicolai – haben hier in einer unfassbar abgefahrenen Gewölbe-Location – dem einstigen Brauerei-Eiskeller – ihre Wein & Sektmanufaktur eröffnet. Raumtemperatur: ca. 10 Grad. Was für ein Flash! Draußen sitzt es sich aber auch sehr gut. Ein Geheimtipp: der gehopfte Riesling, den die hurra-ler an der Hochschule Geisenheim entwickelt haben – eine faszinierende „Craftwine“-(R)evolution.
Nach dieser Begegnung warder nächtliche Nachhauseweg durch den magisch anmutenden Dürerpark noch schöner. Überhaupt die Parks unserer Stadt. Einer abhängenswerter als der andere! Magisch schön war auch der Weg, als wir an einem Samstagabend mit dem Fahrrad ins Adamstal fuhren. In lauschigster Umgebung gibt es hier Leckeres vom Grill und ins Glas – und auch auf die Ohren. Einige der lässigsten der wachsenden, vernetzten, aktiven Szene (überwiegend) junger DJs legen hier regelmäßig Vinyl auf. I like this Sound of Wiesbaden!
Endlich Leben AUF der Nerostraße
Unbedingter immer-wieder-Ansteuer-Tipp des Wiesbaden-Sommers 2021 ist auch die Nerostraße. Endlich dürfen auch hier die Gastronomen Tische und Bänke rausstellen und auf umgewandelten Parkplätzen ihren Gästen eine gute Draußen-Zeit bereiten.
Geschäfte und Gastronomie … Einige überleben die Pandemie nicht, anderes sprießt. Zufällig im Vorbeiradeln entdecke ich in der Unteren Albrechtstraße das „Old Vineyard“. In den früheren Räumen der „Les Deux Dienstbach“-Zwillinge hat Björn Falch hier ein tolles Flammkuchen-Restaurant eröffnet und einiges vor in Sachen Livemusik, Tastings und im Herbst und Winter auch Fondue. Neu sind auch das anspruchsvolle Fischrestaurant „Pescaletta“ im komplett umgestalteten Hansa Hotel oder das vietnamesische Restaurant „Bun Cha“ auf der Taunusstraße. Was sich sonst alles tut in Sachen „Kommen und Gehen“, steht brühwarm hier.
Sommer-Tipp: Regelmäßig www.sensor-wiesbaden.de, facebook / sensor.wi, Instagram / sensor_wiesbaden, Twitter / sensorWI – ansteuern und stets up to date bleiben in Sachen #andthesummerisWIeasy
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Sommer in Wiesbaden – persönliche Eindrücke, festgehalten von sensor-Fotograf Kai Pelka:
Danke für die schöne Zusammenfassung und ja, es sind natürlich auch wieder einige meiner Glücksorte dabei, aus dem gleichnamigen Buch über #Wiesbaden: Das Rheinufer in Mainz-Kastel, die Walkmühle, der Sedanplatz und natürlich der Schiersteiner Hafen… Danke für die regelmäßigen Infos aus der Stadt, die eigentlich so langweilig gar nicht ist, nicht wahr?