Von Falk Sinß. Fotos Frank Meißner und Christoph Voy.
Es darf wieder getanzt und gefeiert werden am letzten Wochenende im August: Folklore findet statt! Nach all den Querelen im vergangenen Jahr um Lautstärke und behördlichen Auflagen war das keinesfalls klar. Zumal der Veranstalter, das Kulturzentrum Schlachthof, angedroht hatte, wegen mangelnder Planungssicherheit das Festival nicht mehr veranstalten zu wollen.
Wie ernst gemeint das war, sei dahin gestellt. Aber die Drohung zeigte Wirkung. Zwanzig städtische Organisationen, Parteien und Einrichtungen schlossen sich zu dem Bündnis „WIr für Folklore“ zusammen und sammelten mehr als 3.000 Unterschriften für den Erhalt des Festivals. Das Stadtparlament beschloss einstimmig, dass „Folklore als wichtiges Kulturgut zu erhalten“ sei. Kein alltäglicher Vorgang, der die Bedeutung des Festivals für Wiesbaden unterstreicht.
Jetzt findet das Kulturgut zum 38. Mal statt – doch anders als bisher, und zwar nach Stand der bisher bekannten Fakten so: nur an zwei statt drei Tagen, mit weniger Programm, dafür (auf den ersten Blick) ohne Eintritt. Das Festivalgelände beschränkt sich auf die Wiese hinter der alten Halle. Das Budget für Folklore 014 stammt größtenteils aus dem städtischen Zuschuss von rund 120.000 Euro. Vergangenes Jahr hatte es rund 400.000 Euro betragen. Veranstaltungen, die in den umliegenden Gebäuden stattfinden, kosten einen kleinen Eintritt. Im nächsten Jahr soll Folklore dann wieder an drei Tagen, aber mit höheren Eintrittspreisen stattfinden.
Kritik und Verwirrung
Kritik und Verwirrung ließen nicht lange auf sich warten. Der stellvertretende Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, Jojo Walter, behauptete in einem Gastkommentar im Wiesbadener Kurier unter der Schlagzeile „Folklore fällt dieses Jahr aus“, das Festival würde ohne die Beteiligung der Jugendorganisationen stattfinden. Die Junge Union sorgt sich um den Ruf von Folklore und fürchtet, „dass dies negative Nachwirkungen auf kommende Festivals hat.“ Die Jungliberalen und die Grüne Jugend haben ähnliche Befürchtungen, die Jusos sind zwiegespalten und sehen den kostenlosen Eintritt positiv.
Die Stadtpolitik stellte zudem die Frage nach dem städtischen Zuschuss: Muss dieser nicht geringer ausfallen, wenn Programm und Umfang reduziert werden? Nein, sagte Bürgermeister Arno Goßmann (SPD) im Ausschuss für Soziales und Gesundheit, als dieser Anfang Mai seine Sitzung im Schlachthof tagte: „Ich halte es für vertretbar, dass man der Veranstaltung dieses eine Mal den gleichen Zuschuss gewährt.“ Dieser fließt laut Gerhard Schulz, Vorsitzender des Kulturzentrums Schlachthof, ohnehin zu zwei Dritteln in die Infrastruktur. Der Rest verteile sich je zur Hälfte auf die Bühnen- und Straßenkünstler.
Auch im Internet wird das, was über das diesjährige Konzept bekannt ist, eifrig kommentiert. So begrüßt ein Teil der Kommentatoren auf der Facebook-Seite von „WIr für Folklore“ das neue Konzept und freut sich auf ein kleineres und lokaleres Folklore. Andere User befürchten ein schlechteres Musikprogramm und sehen die höheren Eintrittspreise im nächsten Jahr kritisch. Auf den Punkt brachte die Verwirrung ein User, der schrieb: „Dieses Jahr kostenlos, nächstes Jahr dann ganz schön teurer. Ich weiß echt nicht, was die sich dabei denken.“
Krea und Kupa streichen Bühne
Auch viele Standbetreiber tappen zurzeit noch im Dunkeln. „Ich kann dazu noch nichts sagen, ich weiß zu wenig über das Konzept”, sagt stellvertretend ein bisheriger Betreiber, der namentlich nicht genannt werden möchte. Andere Initiativen oder Gewerbetreibende antworteten ähnlich. Klar ist zumindest, dass Kreativfabrik und Kulturpalast mit keiner eigenen Bühne bei Folklore vertreten sein werden. Dafür sei unter den bisher bekannten Umständen nicht genügend Geld vorhanden.
„Eine klarere Auskunft über die Konzeption für die Zukunft wäre wünschenswert gewesen”, sagt Marcus Agthe, stellvertretender Sprecher der Grünen Jugend Wiesbaden: „Leider wurde es versäumt, die Jugendorganisationen in diesen Prozess einzubinden.” Das Bündnis „WIr für Wiesbaden“ wäre ein gutes Mittel gewesen, um im Dialog auch die potenziellen Besucher mit einzubinden, findet er.
Die Reaktionen zeigen: Wiesbaden sorgt sich um Folklore und fragt sich, was das soll.
Das liebe Geld, die scharfen Auflagen
Organisator Dietmar Krah nennt im Gespräch mit sensor zwei ausschlaggebende Gründe für die Schritte: Geld und verschärfte Auflagen. „Folklore steht nach den eineinhalb Regentagen im vergangenen Jahr finanziell mit dem Rücken zur Wand.“ Einen höheren Zuschuss hat die Stadt nicht bewilligt. Die naheliegende Konsequenz wären höhere Eintrittspreise gewesen. „Das aber wollten wir nicht ohne Zwischenschritt einfach so einführen, nachdem wir während und nach Folklore 013 so viel Solidarität erfahren haben. Eine uncoole Botschaft“, sagt Krah.
Hinzu kommt: Vergangenes Jahr sind die Auflagen für Open-Air-Veranstaltungen verschärft worden. Seitdem muss eine sogenannte Umfeldbetrachtung durchgeführt werden. Das bedeutet, dass jetzt nicht mehr nur das Festivalgelände als solches betrachtet wird, sondern auch das umliegende Gelände. „Feuerwehr und Bauaufsicht schauen jetzt nicht nur, ob es zum Beispiel genügend Flucht- und Rettungswege auf dem Gelände gibt, sondern auch, wohin die im Ernstfall führen“, erklärt Krah. Da sich in den vergangenen zwei Jahren mit der Ansiedelung von Hessen Chemie, Hotel und Büro am Kulturpark das Umfeld verändert habe, sei eine solche Umfeldbetrachtung neu und erstmalig anzustellen: „Es gibt viele Problematiken und Gegebenheiten, die wir mit Bauaufsicht und Feuerwehr klären müssen, um das Gelände dauerhaft für Folklore, mindestens im Umfang der Jahre 2012 und 2013, nutzen zu können. Mit der Klärung konnten wir aber erst beginnen, nachdem die Gebäude samt Zuwege und Einzäunungen fertiggestellt waren.“ Das war Anfang des Jahres, als das Bürogebäude bezogen worden ist. Die Klärung aller Punkte werde sich wahrscheinlich bis Spätsommer hinziehen. Erst dann wissen die Veranstalter, wie viel Leute auf das Gelände dürfen. Mit der Zahl der erlaubten Besucher steht und fällt aber die Kalkulation.
Wer Folklore der Zukunft nicht will, kann sich verabschieden
„Unter diesen beiden Gesichtspunkten war ein Folklore 014 wie im vergangenen Jahr nicht plan- und durchführbar“, sagt Krah: „Ausfallen lassen wollten wir Folklore aber auch nicht. Deshalb haben wir gesagt: Wir machen dieses Jahr einen Cut und veranstalten Folklore 014 in einem kleineren Rahmen, dafür aber ohne Eintritt.“ Und für Besucher, die Folklore seit ewigen Zeiten besuchen und sich längst nicht mehr von angesagten Bands anstecken lassen, ist das diesjährige Festival durchaus eine Gelegenheit „goodbye“ zu sagen. „Die wollen notwendige Preiserhöhungen im nächsten Jahr vielleicht nicht mitmachen. Denen wollen wir die Gelegenheit geben, sich zu verabschieden“, sagt Krah und verspricht: „Folklore wird dieses Jahr vielleicht mehr Fest als Festival, aber es wird gut!“
Die Bands werden unbekannter und regionaler sein, aber deshalb nicht unbedingt schlechter. So werden zum Beispiel Wir sind Helden-Frontfrau Judith Holofernes und Egotronic auftreten. 25.000 Besucher wie im vergangenen Jahr wird das nicht wahrscheinlich nicht anlocken. Aber dass der Ruf des Festivals unter dieser Entscheidung leiden wird, glaubt Krah nicht. Auswärtige Besucher, die früher aus dem weiteren Umkreis angereist seien, um etwa Kraftklub, Casper oder Sportfreunde Stiller zu sehen, blieben dieses Jahr wahrscheinlich weg. „Aber die kommen wieder, wenn entsprechende Künstler auftreten“, ist sich Krah sicher. Denn: „Folklore ist großartig!“ Und selbstverständlich werde es auch wieder Info- und Verkaufsstände geben. „Jede Initiative, die mitmachen will, ist herzlich eingeladen.“
Zuversicht im Rathaus
Auch die Lokalpolitik fürchtet keine nachhaltige Schädigung. „Folklore wird keinen Schaden nehmen, nur weil es eine Neukonzeption mit einem ‚Light-Version‘-Übergang gibt. Wir sind zuversichtlich, dass das Schlachthofteam ein tragfähiges Konzept für die Zukunft vorstellen wird”, sagt Dorothea Angor, kulturpolitische Sprecherin der Rathausfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Auch die Rathausfraktionen von CDU und SPD glauben nicht, dass der Ruf von Folklore leiden wird.
Gleichzeitig wolle man das Festival nutzen, um mit den Besuchern über die Zukunft von Folklore zu diskutieren, sagt Krah. Christoph Manjura, Vorsitzender der SPD-Rathausfraktion, begrüßt das Angebot: „Wenn der Schlachthof wirklich ernsthafte Diskussionen über die Zukunft von Folklore führen will, finde ich es gut, dieses Jahr innezuhalten. Ich hoffe nur, dass die Planungen nicht schon so weit sind, dass die Diskussionsergebnisse nicht mehr einfließen können.“ Und Manuela Schon, Stadtverordnete der Linken, pflichtet bei: „Ich finde es mutig, diesen Weg zu gehen. Man muss das Publikum mitnehmen und erklären, warum man es so macht. Aber man sollte die Ergebnisse der Diskussion auch einfließen lassen für das Konzept im nächsten Jahr. Denn vielleicht stößt das diesjährige Konzept auf Zustimmung.“
Das wird sich zeigen. Der grobe Zeitplan für 2015 steht zumindest. „Wir wollen im Herbst wissen, wo wir stehen, damit wir mit den konkreten Planungen für 2015 und dem Booking beginnen können. Ab Weihnachten sollen die Tickets bestellt werden können“, sagt Krah. Wie hoch der Eintritt sein wird, kann er noch nicht sagen. „Es gibt momentan noch zu viele Unbekannte für eine saubere Kalkulation. Aber wir werden nur so viel nehmen, um Folklore auf eine vernünftige finanzielle Grundlage zu stellen, und nicht so viel, wie wir könnten.“
Folklore – die Geschichte:
Das erste „Folklore im Garten“ fand 1977 in den Reisinger Anlagen statt. Von 1978 bis 2006 wurde das Festival im Schlosspark Freudenberg veranstaltet. Seit 2007 ist das Kulturparkgelände am Schlachthof die neue Heimat von Folklore.
Folklore 014 – die Fakten:
Folklore 014 findet am 29. und 30. August statt und wird keinen Eintritt kosten. Es wird eine Bühne geben, auf der freitags vier und samstags fünf Bands spielen sollen. Bestätigte Künstler sind bisher: Judith Holofernes, Egotronic und Deine Freunde. Die restlichen Künstler werden in Kürze bekannt gegeben. Dazu wird es wie gewohnt ein Platzprogramm mit zahlreichen Straßenkünstlern geben.
Das Familienprogramm zieht vom Sonntag- auf den Samstagnachmittag. Das Festivalgelände befindet sich dieses Jahr ausschließlich auf der Wiese hinter der alten Halle. Die Wiese am Wasserturm kann zum gemütlichen Abhängen genutzt werden. Veranstaltungen, die abends in der Halle, Räucherkammer oder Kreativfabrik stattfinden, sollen einen kleinen Eintritt kosten.
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