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Lebenswege: Als Kind wurde Bharathi Avireddy beim Musizieren geneckt, also wurde sie Tänzerin – mit Erfolg

Von Clia Vogel. Fotos Offert Albers.

„Ich tanze seit meinem zehnten Lebensjahr“, erzählt Bharathi Avireddy. Wir sitzen im Café Maldaner, naschen Beerentorte und Petit Fours: „Eigentlich komme ich aus einer Musikerfamilie. Ich bin die erste Profitänzerin bei uns.“ Auch Bharathi, geboren in Visakhapatnam, Südostindien,  hatte ursprünglich mit Musik angefangen. Als Kind hat sie das Saiteninstrument Vina gelernt. Zum Tanz kam sie über ihre Nichte.

„Ich bin das jüngste von fünf Geschwistern, und meine Geschwister haben mich beim Musizieren immer geneckt, weil ich so viele Fehler machte. Da habe ich mir gedacht: dann gehe ich halt tanzen,“ sagt sie schelmisch. Dann wird sie ernst. „Ich habe eine Zeit lang meine Nichte zum täglichen Tanzunterricht gebracht. Die Kleine war damals vier Jahre alt und brauchte jemanden, der sie zum Unterricht begleitet. Das inspirierte mich dazu, selbst auch zu tanzen.“

Als Zehnjährige hatte Bharati ihre erste Tanzstunde. Sie erwies sich als Talent. Bereits nach einem halben Jahr beherrschte sie die Grundschritte und bekam ihre erste Choreografie, den Alaripo. Das ist der erste Tanz, den alle Tänzerinnen lernen. Er erzählt, wie eine Knospe zur Blüte wird.

Ein Tanz wie eine eigene Sprache

Das Geschichten erzählen ist die Grundlage des indischen Tanzes. Er ist wie eine eigene Körper- und Gebärdensprache: „Jede Bewegung hat eine Bedeutung. Die Haltung des Kopfes, der Arme, der Hände, der Finger, des ganzen Körpers. Für viele Worte gibt es eine spezielle Haltung.“ Viele Tänze werden seit Jahrtausenden immer wieder gezeigt. Gleichzeitig werden neue Choreografien entwickelt. Jeder einzelne Tanz folgt einer streng festgelegten Struktur. Innerhalb dieser Struktur können die Tänzerinnen und Tänzer frei improvisieren.

Begegnung mit Hotelgast aus Wiesbaden – und mit Folgen

„Bis zu meinem 16. Geburtstag bin ich sechsmal pro Woche, neben der „richtigen“ Schule, in die Tanzschule gegangen,“ erinnert sich Bharati. Nach dem Schulabschluss ging sie ins Gastgewerbe. „Ich habe als Telefonistin im Room-Service für Langzeitgäste gearbeitet. Diese Gäste haben oft für mehrere Monate oder Jahre in Indien gearbeitet und sollten sich im Hotel zuhause fühlen.“

Es gab keine Kontakte zwischen Telefonistin und Gästen. Bharathi kannte die Leute nur als Stimme am Telefon. Doch irgendwann kam sie mit einem Mann aus Wiesbaden ins Gespräch. „Er ist uns aufgefallen, weil er monatelang nie etwas wollte. Als ich nachfragte, ob alles in Ordnung sei, erklärte er mir, er möchte nicht gestört werden, weil er meditiert. Das hat mich neugierig gemacht, und wir kamen ins Gespräch.“ Erst am Telefon, dann auch persönlich.

Eheschließung, Scheidung, Gründung der Tanzakademie

Am 1. Januar 1994, ihrem 25. Geburtstag, kam Bharati als Ehefrau in Deutschland an. „Ich habe mich hier sofort zuhause gefühlt. Vielleicht habe ich eines meiner früheren Leben hier verbracht“, meint die Hinduistin. Sie glaubt an die Wiedergeburt. „Nach einem Jahr sprach ich gut genug Deutsch, um hier zu arbeiten. Ich fand einen Job am Flughafen und begann, privat zuhause, Tanz zu unterrichten.“ 2006 gründete Bharathi, mittlerweile wieder geschieden, die indische Tanzakademie. „Die Akademie ist meine jetzige Ehe. Ein neuer Partner müsste damit konkurrieren.“ Sie kann sich nicht vorstellen, dass sie noch einmal heiraten wird. „Männer sind ein bisschen wie Kinder. Sie wollen versorgt werden.“ Doch Bharathi kümmert sich lieber um ihre Schülerinnen.

Im Moment unterrichtet sie in Wiesbaden und Frankfurt: „Am Freitagnachmittag sind wir im Gemeinschaftszentrum Schelmengraben. Das wird dann nur wenig genutzt, und wir können laut sein und Krach machen. Das ist wichtig.“ Beim indischen Tanz ist nicht nur die Musik laut. Es gibt es eine starke Fußarbeit. „Wir stampfen viel mit den Füßen auf den Boden. Da muss außen um den Tanzraum Platz sein, weil sich der Schall sonst überträgt.“ Doch freistehende Räume gibt es in Wiesbaden nur wenige. Und so unterrichtet Bharathi, obwohl sie von einer Tanzschule in Wiesbaden träumt („das könnte zum Beispiel ein Raum in einem Industriegebiet sein“), im Moment hauptsächlich in Frankfurt..

Auftritte in Rhein-Main, Europa und Indien

Neben ihrem Unterricht und dem Brotjob am Flughafen veranstaltet Bharathi Bühnenshows in Wiesbaden und Frankfurt. Oft hat sie dabei Tänzer aus Indien zu Gast. „Die Kollegen machen hier Stopp, wenn sie auf Tournee sind“, erzählt sie. „Und manchmal kommt meine Familie aus Indien, und wir treten zusammen auf.“ Die Geschwister musizieren, Bharathi und die Schülerinnen tanzen. Meist im Frühling oder Herbst. Im Winter macht Bharathi dann Gegenbesuch und tanzt in Indien. Natürlich wird sie auch von Kollegen in Europa immer wieder als Gast eingeladen.