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Mehr Raum, bitte! Spots und Stimmen: Der aktuellen Kunstszene in Wiesbaden auf der Spur

Von Dirk Fellinghauer, Tamara Winter. Fotos: Kai Pelka.

Kunst hat in Wiesbaden, so viel steht fest, viele Gesichter und viele Facetten. Große Institutionen gibt es natürlich, die Kunst von Weltrang zeigen. Und was tut sich jenseits der großen und bekannten Häuser und der etablierten Kunstszene? Ebenfalls eine Menge. Und doch, den Eindruck vermittelt das Sammeln von Stimmen und das Ansteuern von Spots in Wiesbaden, längst nicht genug.

Es gibt also die großen Institutionen der Kunst in Wiesbaden, allen voran dem Museum Wiesbaden. Hier gibt es immer wieder Schauen erster Güte zu sehen – dieser Tage etwa Max Pechstein und Stephan Balkenhol, demnächst Günter Fruhtrunk. Und soeben wurde eine Sensation verkündet: Rebecca Horn, Künstlerin von Weltrang, vertraut einen Großteil ihres Oeuvres dem Museum Wiesbaden an. Eine Nachricht, die die Kunstwelt weit über Wiesbaden hinaus aufhorchen lässt.

In direkter – und in demonstrativ guter, kooperativer und freundschaftlicher – Nachbarschaft wird der Eröffnung des neuen Museum Reinhard Ernst (mre) entgegengefiebert, das sich ganz der abstrakten Kunst verschrieben hat. Auch hier: Werke von Weltrang in Wiesbaden. Soeben verkündet: Am 23. Juni ist es endlich soweit.

Das Kunsthaus auf dem Schulberg, wo derzeit vierzig Wiesbadener Künstler:innen in einer beachtlichen Ausstellung namens „Art to Take“ eine Plattform finden, ist eine weitere offizielle, in dem Fall städtische, Kunstinstitution. Und dann gibt es noch die Kunstvereine, Nassauischer Kunstverein, Walkmühle, Bellevue-Saal. Und eine Handvoll Galerien mit Platzhirsch-Status.

Eine Menge – und doch nicht genug

Und was tut sich jenseits der großen und bekannten Häuser und der etablierten Kunstszene? Ebenfalls eine Menge. Und doch, den Eindruck vermittelt das Sammeln von Stimmen und das Ansteuern von Spots, längst nicht genug.

 „art nur wo“ nennt sich so witzig wie treffend eine ganz frisch geschlüpfte Wiesbadener Kunstinitiative. „Wir sind eine Gruppe von Künstler:innen, die eine Räumlichkeit zur Realisierung vom Kunst- und Kultur-Projekten in Wiesbaden suchen“, beschreiben die 28-jährige Lilli Suckfuell, die Menschen einen niederschwelligen Einstieg in die Kunst ermöglichen will, sowie Rakim Hazaz – „mir liegt es am Herzen, die Stadt etwas bunter zu machen“, sagt der 21-Jährige, der am Staatstheater eine Ausbildung zum Bühnenplastiker macht – und Frédéric Ecker, 36, der sich im Bereich Installation, Malerei, Skulptur und Konzeptkunst stark mit Kultur-Natur-Dichometrien beschäftigt, ihr Ansinnen.

80 Raum-Interessenten auf der Liste

Das kollektivistisch agierende Trio fahndet akut nach einem Ort in der Stadt, an dem sie die Räume als Atelier und Werkstatt nutzen sowie als Veranstaltungsfläche und Begegnungsraum für die Öffentlichkeit zugänglich machen können: „Wir sehen als unser Ziel, sowohl für uns als auch lokalen Kunstschaffenden Räume zu eröffnen und dadurch kreative Potenziale zu aktivieren.“

Wie groß der Bedarf sei, zeigten ihnen die vielen Unterschriften, „um die achtzig“, auf einer Interessentenliste, die sie ausgelegt hätten

In den Räumen von „Fragmente“ in der Blücherstraße sind sie im Februar erstmals mit einer ersten eigenen Gemeinschaftsausstellung in Erscheinung getreten. Inmitten ihrer Werke erzählen sie an einem Sonntagnachmittag, was sie an- und umtreibt. Sie sprechen den zunehmend sichtbaren Leerstand an und formulieren konkrete Erwartungen an die Stadt, hier buchstäblich Türen zu öffnen.

Bubbles verbinden

„Wir wollen Leute verbinden und laut werden“, kündigen sie an. Es gebe viel Potenzial, sich zusammenzutun, bisher finde vieles in verschiedenen Gruppen in jeweils eigener Bubble statt. Sie haben nichts Hochglanz-Saniertes im Sinn, Künstler:innen lieben „unfertige“ Räume: „Wir suchen einfach einen halbwegs trockenen Ort mit einer Grundausstattung. Bloß nichts Hergerichtetes, bitte!“.

Dass man in Wiesbaden öfters als anderswo höre,  „Nein, das geht hier nicht“, sei frustrierend. Das Trio spricht auch die Scheu vor institutioneller Unterstützung an: „Das engt dann schnell ein.“ Ihr Wunsch: „Gebt den Leuten Räume, und lasst sie dann in Ruhe ihren Scheiß machen.“ Das Kollektiv will auf sich aufmerksam machen, auch durch Präsenz bei Formaten wie aktuell „Mensch-Natur-Kultur“ im Stadtwald oder im Sommer bei „Kleinode im Westend“ oder dem von der Kulturwerkstatt „Godot“ organisierten Festival „Poesie im Park“.

„Kurze Nacht“ erfrischend offen

Noch nicht involviert ist „artnurwo“ in diesem Jahr bei der „Kurzen Nacht der Galerien und Museen“, dem Kunstereignis schlechthin im Wiesbadener Kunstjahr mit diesmal 32 Orten. Neben den etablierten Häusern und Orten ist bei dem Kultereignis mit über zwanzigjähriger Geschichte eine erfrischende Offenheit auch für neue, junge, „off-spacige“ Beteiligte auszumachen.

Das Walhalla im EXIL zum Beispiel ist im Programmflyer zu finden und reaktiviert zur Kurzen Nacht sein Format der „Kunstkneipe“. In der Bar gibt es Malereien von Najel Graf und aRigo, im Theaterstudio zeigt Laura Yürtoven, auf die wir später nochmal treffen werden, Fotografien, dazu gibt es Malereien von LouChild.  Später darf auch getanzt werden – „Entronomsound“ ist angekündigt mit Electronica und Schnecko, „um loszulassen und sich in ferne, aber doch so nahe Sphären zu tanzen“.

Neuer Trend: Kunst trifft Clubbing

Kunst und Clubbing, diese Liaison ist seit einiger Zeit verstärkt in Wiesbaden auszumachen. Um 21 Uhr auf eine Technoparty? Ganz schön früh! Ungewöhnlicher Anlass in der Kreativfabrik an einem Samstag im März: Erstmals gibt es eine Vernissage vor dem Rave.

„Surrealismus Techno“ – so heißt das fünfköpfige Veranstaltungsteam, das sich vom gängigen Feierangebot abhebt. „Schon als wir unser Kollektiv vor eineinhalb Jahren gegründet haben, war uns künstlerischer Anspruch wichtig“, sagt Lea Maaß. „Der Begriff steht bei uns für Träume, verrückte Sachen und Kunst“. Nun versammelten sie eine Reihe von DJs, die einen Auftrag bekamen: Ihre Musik sollte sich blau anhören. Dazu elf Künstler:innen, die passende Werke zeigten. Erst blaue Vernissage, dann blaue Beats. Man wusste nicht, wie viele Kunstschaffende überhaupt Interesse haben, ihre Bilder zu zeigen. Die Resonanz war groß, einige der gezeigten Werke wurden nur für das Event konzipiert.

„Kultur muss bezahlbar bleiben“

„Surrealismus“-Macher Julian Büdenbender studiert International Management. Er betont: „Kultur muss bezahlbar bleiben.“ Der gebürtige Berliner weiß aus seiner Heimatstadt: „Dort gibt es so viele Veranstaltungen, wo man versucht, jungen Menschen Kultur näher zu bringen, aber muss dann trotzdem 20 bis 25 Euro Eintritt verlangen, um am Ende bei null rauszukommen. Das ist absurd.“

„Wir brauchten einen Veranstaltungsort, der die Kultur selbst fördert“, sagt Julian und freut sich: „Mit der Kreativfabrik haben wir perfekt den Vogel abgeschossen.“ Er erzählt: „Das Ziel von Kultureinrichtungen sollte immer bleiben, Menschen zu erreichen, nicht Geld damit zu machen.“  Lea fügt lächelnd hinzu: „Unser Angebot soll für so viele Menschen erreichbar sein wie möglich. Da ist die Krea genau das richtige. Sie spiegelt viele unserer Werte wider: Alle dürfen so sein, wie sie möchten und sich ausleben.“ Sie konkretisiert: „Wir wollen keinen Sexismus auf unseren Partys, keinen Rassismus und keine Homophobie. Als wir zum ersten Mal hierherkamen, dachten wir: Wow, endlich zuhause!“

Künstlerisches Arbeiten mit Werten, Haltung und Prinzipien, das hat sich auch „artnurwo“ auf die Fahnen – und auf die Webseite – geschrieben: „Wir möchten einen offenen Raum schaffen, frei von rechtem Gedankengut, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie“, ist dort zu lesen, außerdem ist die Rede vom Erhalt demokratischer Werte, der künstlerischen Freiheit sowie der Orientierung am wissenschaftlichen Konsens und der Einsatz für den Erhalt natürlicher Ressourcen und die Bewahrung der Lebensgrundlage zukünftiger Generationen.

Coole Chance, Kunst kennenzulernen

Daniil Tishchenko hat am „blauen“ Abend in der Krea zwei Acrylleinwände ausgestellt. Er ist überzeugt: „Die Idee, nach der Ausstellungseröffnung noch zusammen Party zu machen, lockt auch die an, die sonst vielleicht nicht gekommen wären. Das ist eine coole Chance für die nächste Generation, Kunst auf eine unverbindliche Art kennenzulernen und sich mit den bereits bekannten Gesichtern der Szene zu vernetzen.“ Jetzt will „Surrealismus“ raus in die Welt, hat Pläne für Projekte in Darmstadt und Mainz, aber auch Bayern und Brüssel sind im Gespräch.

Von Wiesbaden in die Welt – zum Beispiel „Electronic Arts“

In Wiesbaden etwas starten, Formate dann aber auch in andere Städte tragen – diese Idee verfolgt auch das Trio hinter „Electronic Arts“. Wieder so eine Kunst-trifft-Party-Idee. Marcel Langner, Isa Coltman und Sören Kunz stecken dahinter, die Erstausgabe Ende Januar im Heaven am Sedanplatz schlug gut ein: „Ehrlicherweise waren wir alle sehr überrascht, wieviel Zuspruch wir bekommen haben“, plaudert Sören aus dem Nähkästchen: „Wir haben mit allem gerechnet, auch das wir an dem Abend miese machen. Unser aller Antrieb war es, einfach einen schönen Abend zu haben, Künstler:innen mit Kunstinteressierte zusammenzubringen mit guter elektronischer Musik.“ Zwar stürmten Interessierte nicht sofort die Bude, aber: „Wir hatten einen Durchlauf von etwa 250 Menschen. Neben den Szenegesichtern auch viele junge Menschen, Student:innen und Kunstinteressierte.“

Als Initiatoren hätten sie tolle Rückmeldungen bekommen – und: „Wir haben circa 30 bis 40 Prozent der Ausstellung verkauft.“  Der Plan ist auch hier, mit der Veranstaltung zu wandern mit unterschiedlichen DJs und Künstler:innen: „Unser Netzwerk reicht bis nach Leipzig.“

Dinge selbst auf die Beine stellen

Die Wiesbadener Kunstszene insgesamt ist nach Einschätzung von Isa und Sören „zwar da, aber immer ein bisschen versteckt und leider noch zu klein.“ Sie selbst hätten verstanden, „dass man nicht ständig meckern darf über den Zustand, sondern selbst Dinge auf die Beine stellen muss. Und aktiv Räume schaffen, wo es nur geht.“ Sie stellen ihre Werke in Café „hier & jetzt“ ebenso aus wie in der „Tag.Werk“-Bar von Ines und David (Bild links) und nennen „tolle kleine Wiesbadener Formate“ wie Petra Bermes´ Galerie „Neongolden“ oder das neue Format „Opak“ und auch die „Kleinode im Westend“ im Sommer: „Diese Formate schaffen es, dass es lebendig bleibt und das Feuer nicht ausgeht.“

Stadt muss für Spielraum sorgen

Die kleinen Formate sind zwar fein, reichen aber nach Ansicht von Sören Kunz bei weitem nicht aus: „Es muss stadtgeförderte Projekte geben, die einen Spielraum vor allem für heranwachsende Künstler:innen bieten“. Isa und Sören schildern eine Begegnung bei den „Kleinoden“, bei dem sie auch ihr gemeinsames Loft-Atelier öffnen: „Wir hatten ein tolles Gespräch mit einer jungen Frau, die gerade ihr Abitur gemacht hatte. Sie hat Fragen zu Ausstellungsflächen in Wiesbaden gehabt, wie wir angefangen haben, was wichtig sei.“

Sie gehöre zu einer Gruppe von Künstler:innen, die keinen Platz hätten, um sich irgendwo aufzuhalten, die an öffentlichen Plätzen vertrieben werden, „weil sie sich dort aufhalten und auch mal das eine oder andere Bierchen getrunken haben“, erinnern sie sich: „Zu Ihnen gehören auch bekannte Tags, die Häuser des Westends zieren. Die einen nennen es Schmiererei, wir glauben, es ist eine gerechtfertigte Auflehnung an eine vergessene Zielgruppe, über die niemand nachdenkt.“ Die Szenekenner formulieren eine Forderung und verbinden diese mit einem Angebot: „Also liebe Stadt, fördert Räume für Kunst und Entfaltung. Wir helfen gern dabei.“

„Labor Westend“

Seit nun schon ein paar Jahren, und wegen der enormen Outputs gefühlt seit einer kleinen Ewigkeit, mischen Laura Yurtöven und Alex Simonov das Wiesbadener Kunstgeschehen auf. Dreh- und Angelpunkt ihres mal eigenständigen, mal gemeinsamen künstlerischen Wirkens ist das „Labor Westend“ in der Gneisenaustraße am Elsässer Platz. Eigene und externe Ausstellungen, Aktionen, Happenings, Konzerte, Workshops, Begegnung, Gestaltung der Schaufenster – das „Labor“ ist ein genialer Mikrokosmos der geballten Kreativität, die Laura und Alex auch selbst verkörpern. Bildende Kunst, Film, Performance, Musik, Aktion – alles geht. Und alles geht gut. Laura legt Wert auf die Feststellung, dass die Räume in erster Linie ihr Atelier – „mein Hobbykeller“ nennt sie es – seien und erst dann auch Ausstellungs- und Veranstaltungsraum.

Nicht ständig, aber wenn dann richtig, öffnet die szenige „HS Galerie“, die eigentlich gar keine klassische Galerie ist, ihre Türen im Hinterhof der Oranienstraße für Kunstinteressierte. In erster Linie ist auch dieser Ort Atelier und Arbeitsraum, betrieben und bespielt von den beiden Diplom-Designern Andreas Pistner und Florian Stucki. Am letzten März-Wochenende gibt es mal wieder eine Gruppenausstellung, Auxpeer und Jan Paul Müller sind am Start. Zur Kurzen Nacht stellen Andreas „Monkey“ Pistner und Florian Stucki selbst sowie der Maler Oliver Weiler aus.

Konzeptstore für Wiesbadener Kunst

Was den Verkauf ihrer eigenen Kunst angeht, ist es Isa Coltman und Sören Kunz „superwichtig, immer für jede Börse was dabei zu haben“. Kunst sollte, so ihr Credo, jedem zugänglich sein. „Aber wie Kunstverkauf funktioniert, ist mir auch immer noch ein kleines Rätsel“, meint Sören. Einmal habe er auf einer dreiwöchigen Einzelausstellung in Mainz nicht eine Arbeit verkauft, dann gingen auf einer Gruppenausstellung an einem Abend direkt drei Werke weg. „Wir glauben, es wäre eine super Idee, eine Art kleinen Konzeptstore zu haben, wo Wiesbadens junge Künstler:innen gezeigt werden“, meint das Kreativ-Paar: „Wechselnde Ausstellungen, Kunstveranstaltungen, Drucke, Prints, Originale.“  Sie schildern das Dilemma: „Wir haben hier beeindruckende Künstler:innen, die auf höchstem Niveau arbeiten. Zu schade, dass man keinen Ort hat, wo man sich die anschauen kann.“ Ungefördert könne man solche Projekte in Wiesbaden nicht angehen, da die Mieten zu teuer seien.

Bei diesem Vorschlag dürfte Dominik Hofmann die Ohren spitzen. Im neuen Heimathafen im Alten Gericht wabert nicht nur nach wie vor die Idee von „Kulturkatakomben“ in den Kellergewölben. Auch ein „Local Glory“-Bereich als eine Art Pop-up-Store und Giftshop mit lokalen Akteur:innen befindet sich in der Ideen-Pipeline.

Warten auf das Kunsthaus

Kunst zu zeigen – und zu verkaufen – ist also ein Thema in Wiesbaden. Und ebenso die Frage, wo und wie Kunst unter angemessenen Bedingungen entstehen kann. Gespannt warten Künstler:innen, denen Arbeitsplätze fehlen, auf neue Perspektiven im Kunsthaus. 2016 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Generalsanierung beschlossen. Die bis dahin dort ansässigen Künstler:innen mussten ihre Ateliers verlassen. Bis 2019 sollte nach ursprünglicher Planung alles fertig sein, für damals geschätzte 4,235 Millionen Euro.

Nun, im Frühjahr 2024, ist immer noch Baustelle, die Kosten wurden zuletzt mit 8 Millionen Euro beziffert. Einen konkreten Termin, wann nun wirklich wieder Kunstschaffende die zehn Ateliers beziehen dürfen, kann Monique Behr (Foto Arne Landwehr) immer noch nicht nennen. Zu viel Unwägbarkeiten nach wie vor. Aber die – in herausfordernder und mit super engagiertem Team geschulterter Doppelfunktion  –  Leiterin des städtischen Kunstreferats und des Kunsthauses macht Hoffnung, dass in absehbarer Zeit wieder Kunst und Leben einzieht 1863 errichtete weitläufige Gebäude.

Reges Leben mit ganz viel Kunst herrscht bereits in der dem Kunsthaus angeschlossenen Kunsthalle. Das hat ganz aktuell mit der Artothek zu tun – eine geniale und auch für Wiesbadener Künstler:innen wichtige Einrichtung. Genial für Kunstinteressierte: Sie können hier für einen günstigen Betrag „echte“ Kunst ausleihen, sei es für zu Hause oder fürs Büro. Hilfreich für Künstler:innen: Ihre Werke werden von der städtisch betriebenen Artothek angekauft. Und die Artothek verhilft zu Aufmerksamkeit, derzeit auch mit einer großen Ausstellung. „Art to Take“ läuft gerade zum vierzigjährigen Bestehen der Institution, vom Kunsthaus aus wolle man die Wiesbadener Kunst „wie ein Feuerwerk in die Stadt sprühen“, wie es Monique Behr zum Auftakt formulierte. Von 4,80 Euro für kreativ gestaltete Brottüten von Titus Grab bis 12.000 Euro reicht die Preisspanne der präsentierten Werke. „Es wurden bereits acht Werke in der Preisspanne von 190 bis 3000 Euro verkauft“, berichtet Kunsthaus-Pressesprecherin Regine Meldt.

Speeddating und DJ im Kunsthaus

Im Rahmen des bestens besuchten Begleitprogramm-Formats „Speeddating“ hat der junge DJ „Hurting Toes“ (Kenner werden Alex Simonov erkennen) die Besucher:innen im Kunsthaus sogar zum Tanzen gebracht. Warum auch nicht, Kunst und Clubbing ist ja angesagt, wie wir gelernt haben.

Auf „13 wunderbare Ausstellungs-, Performance,- und Konzertprojekte“ seit 2020 blickt Helena Hafemann im von ihr kuratierten „Kunstraum Wiesbaden“ in der Faulbrunnenstraße zurück. Jetzt ist erstmal Schluss: „Wir bereiten uns gerade mit Rückbaumaßnahmen auf den Abriss des Gebäudes vor.“

Kunst in den Alltag tragen

Schon seit Jahrzehntem am Puls des künstlerischen Geschehens ist Petra Bermes. In ihrem „Schnittpunkt“ hat sie einst als Pionierin Kunst im Friseursalon gezeigt. Sie betrieb die Galerie „neongolden“ in der Nerostraße und zuletzt im WiCoPop* in der Kleinen Schwalbacher Straße. Nun eröffnet sie am 1. April wieder einen eigenen Friseurladen – natürlich mit Kunst. „Kunst in alltägliche Räume, in unseren Alltag zu mitzunehmen, empfinde ich als wichtigen Beitrag“, erklärt sie: „Viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, die Zeit oder einfach nur den Mut, in Museen, Galerien, Ausstellungsorte zu gehen. Also kommt die Kunst zu ihnen, sogar während eines Haarschnittes.“ Ihre Erfahrung: „Die meisten meiner Kund:innen mögen die wechselnden Bilder sehr, und nicht wenige entscheiden sich auch für den Erwerb eines Kunstwerkes.“

„It was a blast!“ im WiCoPop*

„It was a blast!“, fasst sie die „neongolden“-Monate in der Innenstadt zusammen und spricht von „einer einzigen Erfolgsstory“ und „unendlich viel Freude“. Nicht überraschend: „Ich bin immer noch traurig, dass es keine Möglichkeit gab, das Ganze fortzusetzen“, sagt sie über das Ende der städtischen Förderung und schwärmt im Rückblick von einem echten Treffpunkt, auch mit Außenwirkung: „Täglich kamen Touristen aus der ganzen Welt in die Galerie.“ Und: „Die Jugendlichen, die in der kleinen Schwalbacher ab Nachmittag abhingen, konnte ich genauso für das Programm begeistern wie auch die älteren Menschen, die das Hepa Café besuchten.“

Neue Generation

Nach ihrer Einschätzung der Wiesbadener Kunstszene gefragt, konstatiert sie: „Da tut sich etwas!“. Auffällig und toll sei es, „dass sich immer mehr Menschen finden, die zusammen etwas auf die Beine stellen“, spürbar sei gerade auch so etwas wie ein Generationenwechsel. Ein weiterer Trend sei es, Kunst zugänglicher und weniger elitär zu vermitteln. Auch sie würde sich wünschen, dass es mehr Räume dafür gäbe, bezahlbar oder gefördert: „Ich bin überzeugt, dass sich Räume immer mit Ideen füllen lassen.“ Einen konkreten Ort hat Kennerin des Kunstgeschehens im Sinn: „Mein allergrößter Wunsch ist die Sanierung des Walhalla. Dieser Ort, mitten in unserer Stadt, wiederbelebt mit unterschiedlichsten Angeboten, Attraktionen und der Öffnung zum Mauritiusplatz hin ist das Großartigste, was ich mir für Wiesbaden im Moment wünschen kann.“

„Ich bin absolut überzeugt von der Walhalla, die Sanierung und Wiederbelebung ist wirklich wichtig in der Stadt“, gibt auch Monique Behr zu verstehen. Am jüngst veröffentlichten Nutzungskonzept gefällt ihr die offene Struktur und die „absolut wichtige“ Offenheit für Jugendliche. Offenheit vermittelt Wiesbadens oberste Kunstverantwortliche auch mit Blick auf das Kunstgeschehen der Stadt. Sie begrüßt es, dass verstärkt junge Menschen künstlerisch tätig sind. Ihr gefällt, dass auch Autodidakten sich nicht scheuen, ihr Schaffen öffentlich zu machen. Es muss nicht immer Kunsthochschule sein. Aber: Es muss immer Raum da sein.