Text Magdalena Cardwell. Fotos Kai Pelka.
Für viele Städte gehört kostenloses Internet längst genauso zur Infrastruktur wie der ÖPNV. Auch Wiesbaden ist auf den Geschmack gekommen. Während die Stadt noch immer über ein Konzept grübelt, nehmen Bürger den Netzausbau selbst in die Hand.
Die vielen, blauen Kreise auf dem Laptop-Bildschirm erinnern an Sterne am Nachthimmel. Manche Kreise sind durch grüne Linien verbunden und ergeben neue Sternzeichen. Tobias Hachmer zeigt auf eine kleine Sternformation. „Das sind wir“, sagt er und schaut hoch zu den auf dem Bilderwerfer-Container aufgestellten Routern. Tobias ist Mitglied der Bürgerinitiative Freifunk Wiesbaden. Und die blauen Kreise? Alles Zugangspunkte zum Internet. So versorgten er und seine Mitstreiter dieses Jahr das sommerliche Open-Air-Filmfest auf den Reisinger Anlagen erstmals mit Internet. Bis zu 90 Besucher gleichzeitig nutzten das kostenlose WLAN auf der Wiese gegenüber des Hauptbahnhofs. Wenig später bescherte Freifunk auch den Besuchern von Folklore und des 1. Wiebadener Street Food Festivals im Kulturpark freies WLAN.
Wer heutzutage in der Stadt unterwegs ist, muss nicht auf Internet verzichten. Geringe Datenvolumen und hohe Roaminggebühren können den Spaß am mobilen Surfen jedoch trüben. Nicht nur Gastronomen bieten ihren Kunden deshalb kostenlose WLAN-Hotspots an. Auch viele deutsche Städte tüfteln seit Jahren fleißig am Ausbau ihrer digitalen Infrastruktur – meistens in Zusammenarbeit mit privaten Anbietern. In Wiesbaden blieben die Gespräche mit dem Stadtmöblierer Wall AG über ein stadtweites, kostenfreies Netz bis jetzt jedoch erfolglos. Der grüne Stadtverordnete Hendrik Seipel-Rotter wirft der Stadt fehlende Entschlossenheit bei den Verhandlungen vor. Auf eigene Kosten versucht Wiesbaden nun zumindest den Schlossplatz und das Rathaus sowie den Kulturpark mit kostenlosem WLAN zu versorgen. „Das ist natürlich löblich, reicht aber bei weitem nicht aus“, betont Seipel-Rotter. Wie es auch ohne große Investoren klappen könnte, zeigt die deutschlandweite Bürgerinitiative Freifunk nun auch in unserer Stadt.
Mit jedem Knoten wächst das Netz
„Ein Netz in Bürgerhand aufzubauen“, das war Gunnar Langers Motivation, als er sich 2013 den Freifunkern in Wiesbaden anschloss. Gar nicht so unrealistisch, denn mitmachen kann jeder mit einem Internetzugang und etwas Eigeninitiative. Eine spezielle Software macht den heimischen Router zu einem „Knoten“. So wird ein Teil der eigenen Bandbreite dem Freifunknetz zur Verfügung gestellt. Je mehr Router zu Knoten werden, desto mehr Menschen können davon profitieren – und zwar ganz ohne lästige Registrierung oder Volumenbeschränkung. Ein großes, dezentralisiertes Netzwerk entsteht. Auch die Sicherheit der privaten Knotenbetreiber haben die Freifunker bedacht, denn alle Verbindungen werden über eine Art Tunnel zu den von den Freifunkern ehrenamtlich betriebenen Gateways geleitet. Das sorgt dafür, dass die IP-Adressen der Router geheim bleiben. Da die Gateways ins Ausland führen, entfällt außerdem die „Störerhaftung“.
Obwohl sie kein ideologisches Ziel verfolgt, will Gunnar Langer der Initiative Freifunk seine politische Dimension nicht ganz absprechen. „Die elektronische Kommunikation ist heute in wesentlichen Teilen der demokratischen Kontrolle entzogen.“, kritisiert er: „Der freie Zugriff auf Informationen gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie und darf nicht von der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängen.“
Teilen ist das neue Haben
Rund 85 Knoten sind zur Zeit in Wiesbaden online, darunter einer in der Paninoteca in der Mauergasse. In Mainz sind es bereits über 250 Knoten. Die Aktivisten beider Städte sehen sich als eine Community und arbeiten eng zusammen. Seit Anfang August will auch der Kabelnetzbetreiber Unitymedia mit fünf Hotspots, unter anderem in der Langgasse und am Luisenplatz, den Ausbau des kostenlosen WLAN-Netzes vorantreiben. Weitere Zugangspunkte sollen folgen. Mit einem Antrag, den der Stadtverordnete der Piraten, Kristof Zerbe, dem Magistrat im Juli vorgelegt hat, wollen die Freifunker die Stadt mit ins Boot holen. Sollte sie ihnen den Zugang zu den Dächern stadteigener Gebäude erlauben, könnten dort montierte Richtfunkantennen das Freifunk-Signal auch über längere Strecken weiterleiten und so zum Beispiel auch Gebiete über den Stadtkern hinaus abdecken. Ein stadtweites, offenes WLAN kommt nicht nur Einheimischen und Besuchern zugute. Flüchtlinge können so zum Beispiel den Kontakt zu ihren Familien halten oder sich über Ämter informieren. Indem jeder etwas gibt, entsteht ein Netzwerk, von dem viele etwas haben. „Und dies“, sagt Gunnar Langer hoffnungsvoll, „macht die Gesellschaft ein Stück wärmer.“
Bereit zum Vernetzen? Die Anleitung zum Mitmachen und weitere Informationen auf wiesbaden.freifunk.net. Jeden letzten Donnerstag im Monat veranstalten die Freifunker, die aktuell übrigens auch in der Versorgung der Wiesbadener Flüchtlings-Notunterkünfte mit freim Wlan engagiert sind, ein offenes Treffen in den Räumen des Chaos Computer Club Mainz-Wiesbaden am Sedanplatz.