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Mit eigenen Händen: Solidarische Landwirtschaft wächst in Mainz und Wiesbaden – Die Idee kommt an und besteht den Praxistest

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Von Falk Ruckes. Fotos Kai Pelka.

„Kennst du den Acker, auf dem das Gemüse gewachsen ist, das bei dir täglich auf dem Teller landet?“ „Kannst du dir aussuchen, welche Sorten für dich auf dem Feld angebaut werden sollen?“ Wer weder leidenschaftlicher Hobbygärtner ist, noch einen Selbstversorgerhof zu deinem Lebensdomizil auserkoren hat, muss Fragen wie diese vermutlich verneinen. Aber keine Sorge: Links und rechts des Rheins tut sich was auf den Äckern und Feldern: In Mainz und Wiesbaden sind die ersten Solidarischen Landwirtschaften, kurz Solawis, in der Region gegründet worden. Die Idee: Mehrere Privatpersonen teilen sich die Kosten und den Ernteertrag eines landwirtschaftlichen Betriebs.

Im Sommer des letzten Jahres hat sich in der hessischen Landhauptstadt das „Apfelkomplott“ zusammen gefunden. „Die Leute wollen in vielen Bereichen ihres Lebens wieder mehr in die eigene Hand nehmen“, erklärt Klaus Wollner von der Initiative: „Unser Ziel ist es, dem Einzelnen mehr Mitbestimmung über seine Nahrung zu geben.“ Zwar befindet sich die Wiesbadener Solawi noch im Aufbau und auf der Suche nach Gärtnern und Ackerland für den Anbau. Die Resonanz auf das Vorhaben  ist aber vom Start weg enorm. Auf der Interessentenliste finden sich über hundert Namen von Wiesbadenern, die am Anbau ihres Gemüses selbst teilhaben wollen. Die große Nachfrage führen die Initiatoren unter anderem auf den regionalen Ansatz und die genaue Kenntnis über die Qualität der Produkte zurück.

In Mainz wird schon geerntet

Auf der anderen Rheinseite ist man bereits einen Schritt weiter. Nach ersten Geh- und Anbauversuchen konnte die Solawi Mainz im letzten Winter genügend Land und eine Halle in Gonsenheim pachten, um richtig durchzustarten: Bei einer übervollen Infoveranstaltung im Januar dieses Jahres fanden sich sofort 120 Menschen, die bei der alternativen Nahrungsversorgung dabei sein wollten. Seitdem werden auf rund anderthalb Hektar Land von Franziska Jockers und Thilo Kaster zahlreiche Pflanzenkulturen streng ökologisch angebaut: Mit Wasser wird sparsam umgegangen, gegen Schädlinge werden keine Chemie sondern lediglich Netze eingesetzt, und als Dünger dient Pferdemist von benachbarten Höfen. Da außerdem das Gemüse in der Regel direkt nach der Ernte vor Ort an die Mitglieder verteilt wird, entfallen Energie und CO2-Emissionen für Lagerung oder lange Transportwege.

Für Thilo Kaster stellt das Konzept der Solawi Mainz vor allem „eine coole Möglichkeit“ dar, um das Bewusstsein der Leute zu verändern: „Für einen Supermarktkunden ist der Produzent seiner Nahrung vollkommen anonym. Bei uns wissen die Leute dagegen ganz genau, wer, wo und auf welche Weise etwas anbaut.“ Die Mitglieder können sogar, wenn sie Zeit finden, selbst beim Anbau helfen.

_MG_4768Nicht verkaufen, sondern verteilen

Neben dem ökologischen Ansatz umfasst aber eine Solawi auch eine grundlegend andere Art zu wirtschaften. Die Erzeugnisse werden nicht verkauft, sondern verteilt. Für das Wiesbadener Apfelkomplott steht daher der solidarische Gedanke im Mittelpunkt: Eine gesunde Ernährung soll allen Menschen zugänglich sein – unabhängig von der Größe ihres Geldbeutels. Die Initiative richtet sich daher vor allem auch an sozial Schwächere wie Alleinerziehende oder Geflüchtete. „Es ist wichtig zu verstehen, dass die Solawi Lebensmittel von ihrem marktwirtschaftlichen Preis befreit“, betont Klaus Wollner. „Jedes Mitglied zahlt lediglich nach seinen eigenen Möglichkeiten einen freiwilligen Betrag, um die Kosten des Betriebs zu decken.“

Dass dieser Ansatz in der Praxis reibungslos funktioniert, beweist die Mainzer Gruppe. Unter ihren Mitgliedern finden sich ebenso Gutbetuchte wie Finanzschwache. Auf der Jahreshauptversammlung der Solawi links des Rheins gab jeder von ihnen an, wieviel er finanziell beitragen möchte. Das Ergebnis: Die Kosten waren sofort mit leichtem Plus gedeckt. „Man darf sich ein Solawi also nicht als irgendwas total abgefahren Politisches vorstellen“, lacht Franziska Jockers von der Mainzer Gruppe. Es gehe einfach darum, ein elementares Grundbedürfnis zu stillen: Jeder soll genug zu essen haben.

Als Verbraucher Kontrolle zurückgewinnen

Die Attraktivität einer Solawi besteht für viele zudem in der Rückgewinnung der Kontrolle darüber, was überhaupt auf den Feldern angebaut wird. „Wenn wir uns die heutigen Lebensmittelkonzerne ansehen, zeigt sich, dass der Kunde mittlerweile sehr viel von seiner Selbstbestimmung abgegeben hat“, prangert Richard Eisenblätter vom Apfelkomplott an. Welche Sorten an Obst oder Gemüse in den Regalen der Supermärkte landen, bestimme schon lange nicht mehr der Verbraucher. Großproduktionen würden zudem in der Regel nur einige wenige Arten anbauen. Dieses Vorgehen könne für den Menschen sehr gefährlich werden: Eine Änderung des Klimas oder das Auftreten eines neues Schädlings kann eine bestimmte Sorte in kürzester Zeit stark dezimieren. Würde ein solches Szenario eintreten, käme es zu massiven Ernteausfällen, da schlichtweg keine Anbaualternativen vorhanden sind.

Die Solidarische Landwirtschaft lehnt sich daher auch gegen diese monokulturelle Form der Nahrungsproduktion auf. Die Mainzer Gruppe baut beispielsweise viele Dutzend verschiedene Gemüsesorten an. Diese Diversität schont nicht nur die Böden, sondern erlaubt dem Team auch, das ganze Jahr über, Woche für Woche, saisonales Gemüse zu ernten. „Dabei kommt es auch vor, dass unsere Mitglieder ganz neue Sorten kennen lernen, wie zum Beispiel den Sauerampfer“, erzählt Thilo Kaster. Die Solawi Mainz gewinnt darüber hinaus zum Teil sogar eigenes Saatgut und zieht Jungpflanzen selbst heran. Das Ziel ist eine Unabhängigkeit vom Markt, um eine Ernährungssouveränität der Mitglieder zu erreichen.

Das Konzept kommt gut an: In Mainz gäbe es genug Interessierte, um noch eine zweite Solawi-Gruppe zu gründen, und in Wiesbaden ist es auch nur noch eine Frage der Zeit, bis mit der alternativen Form des Anbaus begonnen werden kann. Für Anne-Marie Butzek vom Apfelkomplott liegen die Gründe für den Erfolg auf der Hand: „Man schließt sich mit anderen Menschen zusammen, um solidarisch und biologisch das anzubauen, was man gerne essen will. Das ist nicht nur für Städter gelebte Utopie.“

www.solawi-mainz.de , www.apfelkomplott-wiesbaden.info