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Wer sind unsere Nachbarn – Intensive „Annäherungen“ über Porträtprojekt

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Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Arne Landwehr.

Dass eine türkische Oma einen wild gelockten Alt-68er „trifft“, ist nicht alltäglich. Das Projekt „Annäherungen“ dreier pensionierter Kunsterzieher macht diese und viele andere Begegnungen möglich.

Ein Foto. Eine Zeichnung. Ein Scherenschnitt. Drei verschiedene Arten, sich künstlerisch einem Gesicht anzunähern, den Menschen in verschiedenen Facetten abzubilden, seine Persönlichkeit in diesen Portraits zu erfassen. Doch Christiane Steitz, Doris Henrichs und Harald Pulch wollten noch mehr: Ein ganzes Stadtviertel durch die Porträts seiner Bewohner lebendig werden lassen. In den vergangenen Monaten haben sich die drei Kunsterzieher im Ruhestand ganz diesem Projekt gewidmet. „Annäherungen“ – an das Viertel zwischen Rheinstraße, Bahnhofstraße und Kaiser-Friedrich-Ring. Anfängliche Skepsis, ob sich genügend Menschen fänden, wich wachsender  Begeisterung.

„Uns macht das Projekt richtig glücklich“, sagt Christiane Steitz. 25 „Modelle“ sollten gefunden werden, 40 meldeten sich. Ein Querschnitt der Bewohner, der seine demographische Struktur abbildet – ganz wie von den Machern gewünscht. Zwischen 7 und 85 Jahren, aus verschiedensten Berufen, Lebenszusammenhängen und Herkunftsländern: Menschen, die sich sonst wohl nie begegnet wären, obwohl sie auf engem Raum wohnen. So wie Achim Königstein, Psychologe, 57 Jahre alt, Ela Aydin, Musikstudentin (21), die 55-jährige Tagesmutter Sabine Stein oder der 67-jährige Grafiker Reinald Ludwig-Goerke mit Wurzeln in Südafrika. Alle haben sich von Harald Pulch fotografieren, von Doris Henrichs zeichnen lassen und für Christiane Steitz in ihren alten Fotos gekramt, damit diese einen filigranen Scherenschnitt daraus machen konnte.

Intensive Momente: „Wie sie mich angesehen hat!“

„Spannend“ ist das häufigste Wort, das in dieser Gesprächsrunde fällt, die sich so zum ersten Mal trifft. Denn die Modellsitzungen mit Doris Henrichs fanden natürlich ebenso separat statt wie die Foto-Spaziergänge mit Harald Pulch. Und Christiane Steitz arbeitet sowieso allein mit ihrer ungewöhnlichen, beeindruckenden Technik, die extreme Geduld erfordert. „Spannend“, eigentlich ein abgegriffenes Klischeewort, aber hier war es tatsächlich so, dass sowohl die Künstler Spannung empfanden – wer wird sich melden? Welche Geschichten werden wir hören? Wer sind all unsere Nachbarn eigentlich? – als auch die Portraitierten. „Wie sie mich angesehen hat!“ sagt beispielsweise Reinald Goerke und meint damit die intensive Sitzung, als Doris Henrichs ihn zeichnete: „Es war gar nicht klar, wer hier wem die Seele raubt“. Eine sehr intime Situation, obwohl sie nur etwa eine halbe Stunde dauerte. Ein Foto ist schneller gemacht – und daher ist auch der verblüffende Effekt entstanden, dass auf den Fotos von Harald Pulch alle lächeln, auf den Zeichnungen eher ernst geblickt wird. „Niemand kann eine halbe Stunde lächeln, ohne dass es gekünstelt wirkt“, erklärt die Künstlerin. Das Viertel übrigens kommt nur als „Licht und Farbwert des Hintergrundes“ vor, meint Fotograf Pulch, der sich spontan gegen seinen eigentlichen Plan entschied, seine Modelle vor wiedererkennbare Fassaden zu stellen.

Alte Familienbilder als Scherenschnitte

Ganz anders arbeitet Christiane Steitz, die die alten Familienbilder als Scherenschnitte nachvollzog und so zum Beispiel Ela Aydin mit ihrer türkischen Oma portraitierte oder Achim Königstein als wild gelockten „Alt-68er“. „Ich war sofort begeistert von dieser Idee: Etwas Neues, mit ungewöhnlicher Nähe kombiniert“  sagt Königstein, der seine drei Porträts anschaut und findet: „Ja, ich bin all das da“. Sabine Stein fand die Situation ungewohnt, „sich ganz hinzugeben, keinen Einfluss auf meine Darstellung zu haben“, doch schließlich den Künstlern den Vertrauensvorschuss zu geben und nicht enttäuscht zu werden. Dass quasi „nebenbei“ Kontakte entstanden sind, lag vollkommen im Sinne der drei Kreativen. „Ela wohnt seit fünfzehn Jahren über uns, mehr als einen Gruß im Treppenhaus hatten wir aber noch nicht ausgetauscht“, sagt Christiane Steitz. Jetzt reden die beiden Frauen miteinander wie Freundinnen. Und so ging es auch mit dem polnischen Filmregisseur, mit der Leiterin einer Seniorenbegegnungsstätte, einem türkischen Kioskbetreiber, einem kleinen Mädchen  und allen anderen, deren dreifache Lebensbilder nun in einer Ausstellung gezeigt werden.

Die Ausstellung ist in der Galerie „Lichtbild“, Herderstraße 22, am 31. Mai und 1. Juni, jeweils 11 bis 17 Uhr, zu sehen.

http://www.galerie-lichtbild.com/