Von Marie-Luise Raupach, Fotos von Samira Schulz
50 Jahre Woodstock – Vier Menschen aus der Region erzählen von ihren Berührungspunkten mit dem legendären Festival, das vom 15. bis 18. August 1969 stattfand. Auch einer der rund 400.000 Besucher von damals erinnert sich. Und wir verlosen Bildbände, die den Spirit von damals wieder lebendig werden lassen.
„Alright Friends, you have seen the heavy groups, now you will see morning maniac music. Believe me, yeah, it’s a new dawn.” Mit diesen Worten eröffnete Grace Slick von The Jefferson Airplane ihren Auftritt bei Woodstock, der auf Grund von Verzögerungen anstatt Samstagabend am Sonntagmorgen stattfand. Es verdeutlicht die chaotischen Verhältnisse des dennoch friedlich ablaufenden Open-Air-Festivals „An Aquarius Exhibition – 3 Days of Peace & Music“.
Woodstock beschreibt den Höhepunkt einer Protestbewegung in Amerika: Hippies, wie sie genannt wurden, setzten sich für Frieden und gegen den Krieg in der Welt ein und traten mit Idealen von Gemeinschaft, Liebe, Freiheit und Gleichberechtigung politischen Machtkämpfen entgegen. Das Festival wurde zum Sinnbild einer ganzen Generation, die ein Gemeinschaftsgefühl und den festen Glauben daran, in der Welt etwas zu bewegen, einte. 2019, fünfzig Jahre nach Woodstock denkt man zurück und fragt sich, ob es wieder Zeit wird: Mit den Friday- for-Future-Protesten scheint sich die Jugend wieder zu politisieren und zu aktivieren. So wie damals?
Damals in Bethel auf Max Yasgurs Farm
Der Wahl-Wiesbadener Erik Klingenberg, gebürtiger US-Amerikaner und seit den Achtzigern in Deutschland lebend, war als 19-Jähriger dabei bei dem Festival, das rund um den Globus Bekanntheit erlangte. Mit nur zwanzig Dollar in der Tasche und ohne Eintrittskarte trampte er mit zwei Freunden von Virginia Beach nach Bethel und kam bereits ein paar Tage vor Beginn des Festivals beim Gelände an. Glück, wie sich im Nachhinein herausstellte. Er bekam einen Job vor Ort bei der Firma „Food for Love“, die dort Hot-Dog-Stände betrieb. Ebenso half er dabei, die Zäune aufzubauen und war letztendlich während des Festivals für die Sicherheit der Besucher zuständig. Trotz 18 Stunden Schichten, Regen und Auseinandersetzungen mit berauschten Gästen beschreibt er das Festival als ein „wunderschönes Erlebnis“, das heute noch Gänsehaut bei ihm hervorrufe. Der Konsum von LSD, Marihuana, Opium und Kokain habe für eine friedliche, manchmal sogar abgedrehte Atmosphäre gesorgt, die am Ende aber alle Besucher zusammenführte. So störten auch andauernder Regen und Sommergewitter nicht.
Die einst grünen Wiesen des Farmers Max Yasgurs verwandelten sich in ein kriegsähnliches Gebiet. Massive Schlammschichten, darauf liegende, sitzende, stehende Menschen, Schlafsacklager. Als einen besonders außergewöhnlichen Moment erinnert der Wiesbadener Woodstock-Veteran sich an den Soloauftritt von Country Joe: Von einer Anhöhe betrachtete er die Bühne mit hunderttausenden Besuchern davor und Joe spielte „Feel Like I’m Fixin‘ To Die Rag“ – ein Protestlied gegen den Vietnamkrieg. Die gesamte Menschenmasse sang mit, fühlte mit, hielt zusammen. In diesem Moment sei der Spirit Woodstocks greifbar gewesen: es sollte einem Land gezeigt werden, dass die Jugend genug von Kriegen hat und sich vereint dagegen wehren wird.
Am Ende blieb ein großes Chaos übrig, das nur durch viel Hilfe von Freiwilligen beseitigt werden konnte; auch Klingenberg blieb noch ein paar Tage länger und half beim Aufräumen. Am Ende bekam er zweihundert Dollar für seine Arbeit und war glücklich, sich den Bus nach Hause leisten zu können. 50 Jahre später sagt er von sich, dass noch vieles von dem 19-jährigen Jungen übriggeblieben sei. Er habe, auch mit ein bisschen mehr Lebenserfahrung, seine Ideale von damals beibehalten und freue sich zu sehen, wenn die heutige Jugend sich für etwas einsetze. Er selbst hält die Musik und den Spirit von einst bis heute selbst als Sänger am Leben, unter anderem am Mikro der anerkannten und bundesweit gebuchten The Doors-Tributeband „Morrison Hotel“.
Der Einfluss der Musik auf Europa – und Rhein-Main
Speziell in der Musikszene hat sich in den Jahren nach Woodstock einiges getan. Rainer Zosel, jahrzehntelang als Konzertveranstalter für Agenturen im Rhein-Main-Gebiet verantwortlich, realisierte in Mainz, Wiesbaden, Frankfurt und im Saarland etliche Konzerte. Dazu gehörten auch zahlreiche Auftritte von Bands, die bei Woodstock performten. Auch seine beachtliche Konzertposter-Sammlung in seinem Taunussteiner Zuhause zeugt davon. Vor allem in den Jahren nach Woodstock, zwischen 1970 und 1990 kamen die Musiklegenden für Shows in den deutschsprachigen Raum. Einfach sei die Organisation nicht immer gewesen, berichtet Zosel. Probleme beim Anmieten der Konzerthallen, Umsteigen von bestuhlten Veranstaltungen auf Steh-Konzerte – es dauerte, bis das Feeling jener Musikrichtung in Deutschland ankam und auch akzeptiert wurde.
Besonders die Atmosphäre zwischen Bands und Konzertveranstaltern beschreibt er als außergewöhnlich im Vergleich zu heute. Dabei kam es durchaus vor, dass Veranstalter nach dem Auftritt mit der Band essen gingen und Anekdoten ausgetauscht wurden. Die Künstler hätten sich allgemein mit weniger zufrieden gegeben, weniger gefordert – sei es die Gage betreffend oder die Annehmlichkeiten im Backstagebereich. Der Ruhm und die Ehre, die ihnen heute zuteil wird, hätten sie erst über die Jahre hinweg zu spüren bekommen, so der Konzertprofi. Auch die Kommunikation habe sich anders gestaltet: Konnte man früher einfach die Künstler ansprechen, sei das „natürlich heute alles anonymer geworden und auch schnelllebiger“, schlussfolgert er.
Obwohl der ehemalige Konzertveranstalter selbst nicht beim Original in den USA dabei war, so fällt ihm prompt das „Love-and-Peace-Festival“ ein, das ein Jahr nach Woodstock auf der Ostseeinsel Fehmarn stattfand. Jimi Hendrix hatte dort einen seiner letzten Auftritte, bevor er eine Woche später an einer Überdosis starb. Die Atmosphäre und der Spirit von Woodstock seien dort zu spüren gewesen sein, nicht zuletzt wegen der Musik, den ähnlich chaotischen Verhältnissen und dem regnerischen Wetter. Die Auftritte bei Woodstock erachtet Zosel als prägend für die Musikszene in Deutschland in den Jahren danach. So habe man über das Festival Bands kennengelernt, insbesondere jene, die tougheren Rock spielten. Vor allem die Diversität der Bands und der Musik, die das Festival durch seine weltweite Bekanntheit auch nach Europa brachte, schätze er bis heute.
Spirit(ualität) von Woodstock – Hippies und die östliche Kultur
Dabei ist es nicht nur die Musik, die die einstigen Anhänger der Protestbewegung zusammenhält. Spiritualität und das Interesse an östlicher Kultur äußern sich in den Handlungen und prägen den Wunsch nach antikapitalistischen Gesellschaftsformen.
So kommt es, dass Chris Kirchner mit ihrem damaligen Lebenspartner 1979 eine Reise wagt, die mit dem Zug und Bus von Wiesbaden über Griechenland, den Iran und Afghanistan nach Indien führt. Trekking in Nepal, Aufenthalte in Ashrams, Delhi, Bombay, Goa – all das sind Stationen, bei denen sie während ihres Jahres in Indien Halt macht. Die Trekkingtour durch Nepal lehrt ihr Demut und Ehrfurcht, wie sie erzählt: Gerade das wünschte sie sich für die westliche Welt, die vom Wirtschaftsboom und dem Kapitalismus prosperierte: „Indien versprach durch seine Kultur und Religion sowohl Ruhe als auch Besinnung auf das Nötigste. Zufrieden sein mit dem was man hat, anstatt Kriege um Macht“. Bis heute haben sich die Ereignisse in Indien und ihre gesammelten Erfahrungen auf ihr Denken und ihr Handeln ausgewirkt. Während Chris erzählt, erscheint die damalige Zeit in einem ganz besonderen Zauber. Der Aufbruch in eine unbekannte Welt, die Freiheit, alles zu tun, was man möchte und der Glaube, alles zu erreichen – auch das sind Gedanken und Gefühle, die durch die Hippiebewegung in die ganze Welt transportiert wurden.
Woodstock-Picknick auf dem Öko-Weingut
Heute, 50 Jahre später ist die Faszination Woodstock präsent: viele Veranstaltungen anlässlich des Jubiläums oder mit Bezug dazu finden in diesem Sommer und bis in den Herbst hinein im Rhein-Main-Gebiet statt. Eine davon organisiert Eva Vollmer, Vollblutwinzerin aus Mainz-Ebersheim. Sie packt auf ihrem Weingut selbst an und erzählt über ihre Vorhaben, während sie im Lager Weinkisten für die nächsten Events zusammenstellt. Anfang August lud sie zum „Woodstock-Weinpicknick“, und ein bisschen sollte dabei das Gefühl von früher gelebt werden: „Damals haben sie auch alle auf der Wiese rumgelegen und haben irgendwie Spaß gehabt, und eigentlich kann man das in die moderne Zeit reinkopieren“. Auf ihrer großen Wiese kamen die Leute zum Zusammensitzen auf Decken, Kinder haben Platz zum Toben, und man trinkt gemeinsam ein Glas Wein. „Authentische Kleidung“ sei erwünscht und werde mit einem Gläschen belohnt, versprach sie im Vorfeld sie mit einem Grinsen.
Bewusstsein für Natürlichkeit und Natur allgemein spielt auch bei ihrer Weinproduktion eine große Rolle: Die Herstellung ihrer Weine findet unter ökologischem Siegel statt. Keine Pflanzenvernichtungsmittel werden verwendet, und Biodiversität im Weinberg steht für Vollmer im Vordergrund. Während die Naturverbundenheit damals vor allem für Anhänger der Hippie-Bewegung wichtig gewesen sei, scheine sie heute gesellschaftsfähig geworden – diese Entwicklung kann auch sie beobachten. Viele ihrer Besucher und Kunden würden „auf Natürlichkeit achten“, beim Wein und auch im Alltag.
Spinner damals und Spinner heute
Spricht man mit der Bio-Winzerin, wird schnell deutlich, dass sie voller Kreativität ihrer Arbeit nachgeht. Als erste in Rheinhessen druckt sie ihren Namen auf die Weinflasche und ist auch im Bereich Vermarktung Pionierin gewesen. Jahre später erst ziehen andere Weingüter nach und verstehen es, den Wein auf moderne Art zu präsentieren. Veränderungen, damals wie heute, erfordern Mut und Aktionismus. Ein bisschen Verrücktheit gehöre zur Revolution dazu, findet sie: „Damals waren es die Spinner, und heutzutage – naja, wir sind auch Spinner, weil man echt wahnsinnig ist in dem, was man tut. Genau diese Wahnsinnigkeit ist der richtige Weg“, meint sie. Dieser Funken des anders Denkens, sich gegen die Norm stellen bringt Veränderungen – Eva scheint dies in ihrem Bereich zu leben. Ihr Weingut ist ihr Woodstock.
Echte Hippies: Wo sind sie denn nun?
Die Ideale von damals – Freiheit, Gleichheit, Frieden, Liebe – sind vielleicht auch heute noch in einigen Menschen verankert. Die Art und Weise, wie das Gefühl gelebt wird, hat sich jedoch in den Augen der meisten verändert. Die grenzenlose Freiheit, der Spirit, das Gemeinschaftsgefühl und der damit verbundene Glaube, wirklich etwas verändern zu können, ist in der heutigen Gesellschaft realistischeren Ansichten gewichen. Glaubhaftigkeit und Bodenständigkeit sind Attribute, die gefordert werden, wenn sich etwas ändern soll. Durch die Digitalisierung verbreiten sich Informationen rasant, und so bleibt heute nur noch ein Zauber, denkt man an die damalige Zeit zurück. Dennoch zeigen etliche Veranstaltungen rund um Woodstock, zum Beispiel der Auftritt von Bob Dylan in Mainz diesen Sommer, oder auch die aufkeimenden Proteste junger Leute, dass die Ideen und Gedanken rund um Woodstock präsent und relevant sind und gerne erinnert wird an das Festival, das Geschichte schrieb.
Woodstock lebt
Festivals und Events mit Woodstock-Bezug und –Spirit: KUZstock (10.8.), Ziegelei Open Air Neu-Anspach (16.-18.8), Symphonic Rock Night mit Woodstock-Programm auf dem Domplatz Mainz (18.8.), Energy Rock mit „Love & Peace Revue“ (18.10.) Ausstellung Elliot Landy´s „Woodstock Vision – The Spirit of A Generation“, Karlsruhe, (8.8. bis 15.9.), Nürnberg (16.8.-30.9.), Papenburg (bis 2.9.) Woodstock-Bildbände Elliot Landy´s „Woodstock Vision – The Spirit of A Generation“, Neue Ausgabe zum 50. Jubiläum. Zweitausendeins, 224 Seiten, 29,90 Euro. Mike Evans und Paul Kingsbury : „Woodstock – Chronik eines legendären Festivals“, Riva Verlag, 288 Seiten, 24,99 Euro. Wir verlosen von beiden Büchern je 2 Exemplare: Mail an losi@sensor-wiesbaden.de |
xxx
Sehr schöner Beitrag. Ja, Woodstock lässt sich nicht wiederholen, weil die Welt heute eine andere ist. Aber man kann an die Musik der Zeit mit einem großartigen Konzert und anschließender Party erinnern.
Im Mainzer KUZ feiern wir am Sammstag, 10.8. #kuzstock
mit der Hendrix Coverband Purple-X und Marion La March als Janis Joplin. Danach legt DJ Mr. Mojo die besten Partysongs der 60er- und frühen 70er auf.