Direkt zum Inhalt wechseln
|

Geschäft des Monats: Umsonstladen Kleiderkreislauf in der Elly-Heuss-Schule am Platz der Deutschen Einheit

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Kai Pelka.

„Was ist mit den roten Schuhen?“ fragt Alexandra Manger den hageren, kleinen älteren Herrn in Gummischlappen. Der winkt etwas traurig ab. „Klappt nicht.“ Das sei ein Stammkunde, sagt die Lehrerin der Elly-Heuss-Schule. „Der braucht dringend Schuhe, sein Zeh ist kaputt, aber er hat nur Größe 40. Die ist für Männer schwer aufzutreiben. Ich hatte mich jetzt so gefreut, dass ich ein paar rote Turnschuhe gefunden hatte. Aber anscheinend waren die doch nicht die richtigen für seinen wehen Zeh.“ Schade, aber Manger und ihr Team werden nicht aufgeben, passende Schuhe für den alten Mann zu finden. Und die kosten dann auch nichts.

Das nämlich ist das Prinzip des „Kleiderkreislaufs“, den Alexandra Manger mit einem engagierten Schüler:innen-Team bereits im vergangenen Jahr auf die Beine gestellt hat: „Ich bin ein absoluter Flohmarkt-Fan. Und mir liegt Nachhaltigkeit am Herzen. Mit meiner 7. Klasse habe ich darüber gesprochen, wir fanden auch einen Zeitungsartikel, in dem stand, dass sich durchschnittlich jede:r Deutsche 66 Kleidungsstücke pro Jahr kauft“, berichtet sie und stellt rhetorische Frage: „Das ist doch viel zu viel, oder?“ Im Hintergrund nicken die Siebtklässlerinnen.

Straßenkehrer überlassen Raum

So entstand die Idee zum „Kleiderkreislauf“: „Ich dachte, wir machen einfach was an der Schule“, sagt Manger. Direktor und Kollegium fanden die Idee toll, man ging auf Suche nach einem Raum und fand im Heizungskeller den Pausenraum der ELW-Straßenkehrer, die dort auch ihr Material aufbewahren- und ihre Reisigbesen selbst binden. „Das hab´ ich bei der Gelegenheit rausgefunden, total interessant“, berichtet die Lehrerin. Die Männer waren sofort bereit, einen Teil des Raums abzugeben.

Und dann ging es auch schon los: Aus Beständen der Schüler:innen kamen jede Menge Bücher, Kleider, Spielsachen, Kleinmöbel, Schuhe und alles Mögliche zusammen. „Wir nehmen alles an, was noch gut zu gebrauchen ist.“ Die Schüler:innen sortieren die Dinge, stellen manches auf Instagram, machen Werbung, führen Aufsicht. Die Idee ist aber, dass der „Kleiderkreislauf“ allen zugänglich ist, einfach ein „Geben und Nehmen“ – im Gegensatz zu anderen Second-Hand- oder Charity-Läden, wo meist doch eine kleine Summe anfällt.

Unglaublich: Es kostet wirklich nichts

„Viele können das gar nicht glauben“, sagt eine Schülerin. „Neulich wollte mir jemand „wenigstens 30 Cent“ in die Hand drücken. Aber wir wollen wirklich nichts einnehmen.“ Im Viertel wurde per Flyer und Plakat Werbung gemacht, seitdem kommen viele Kund:innen allen Alters – auch aus der benachbarten Diakonie-Teestube. „Hier können sie sich Sachen selbst aussuchen, das finden viele gut“, sagt Alexandra Manger. Der Kleiderkreislauf ist jeden Tag geöffnet, in den Pausen und in Freistunden sind die Schülerinnen – nur ein Junge ist zurzeit dabei – anwesend. Weniger um „Aufsicht“ zu führen, eigentlich sogar mehr, um zuzuhören.

Einblicke in andere Lebenswelten

„Manche erzählen ihre ganze Lebensgeschichte“, berichtet eine andere Schülerin. „Man merkt, dass das ihnen guttut.“ Die Schülerinnen, selbst schick gekleidet, teilweise mit Luxus-Handtaschen, bekommen Einblicke in ganz andere Lebenswelten. Und das erweitere auch ihren Horizont, berichten sie: „Wir haben viele Obdachlose gesehen, die in keinem guten Zustand waren. Wir wollten für sie zumindest eine Möglichkeit schaffen, sich sauber anzuziehen“, sagt Elif Ciftcioglu.

„Ich nehme an dem Projekt teil, da der „Kaufgedanke“ sehr präsent in unserer heutigen Gesellschaft ist“, meint Wiktoria Huber, ehemalige Stadtschulsprecherin, und berichtet: „Trotz mehrerer Schilder, die erläutern, dass alles umsonst ist, reagieren viele ungläubig gegenüber dem Gedanken, nichts ausgeben zu müssen. Das Projekt hat mir gezeigt, dass ein Lächeln und ein Danke viel mehr wert sind“.

Konsumkritik als Motivation

Die Schülerin Nicola Koch schildert ihre Beweggründe: „Ich nehme an dem Projekt teil, weil ich es für wichtig halte, unseren Kleiderkonsum zu reduzieren. Einen Pullover nicht mehr anziehen zu wollen, sollte nicht das Ende sein, sondern eine Möglichkeit.“ Und Lina Schulte meint: „Es ist toll zu sehen, wie manche Leute hier zufrieden wieder raus gehen, weil sie etwas Schönes für ihre Kinder oder für sich selbst gefunden haben.“ Mit dem „Kleiderkreislauf“ bewirbt sich die Elly-Heuss-Schule nun um das „Umweltzertifikat Hessen“, um den städtischen Umweltpreis und natürlich auch beim großen Schulwettbewerb der Wiesbaden Stiftung, dem Leonardo-Award.

Öffnungszeiten Mo – Mi:10 Uhr bis 15 Uhr, Do — Fr:8  Uhr bis 13 Uhr. In den Schulferien geschlossen.

www.elly-heuss-schule-wiesbaden.de/kleiderkreislauf-der-umsonstladen