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Happy Birthday, Krea! Seit 20 Jahren Brutstätte der Subkultur in Wiesbaden

„Wir haben damals viel Geld zusammengekratzt und die Leuchtbuchstaben dann für schlappe acht Eure plus Mehrwertsteuer ergattert“. Typisch Krea, diese Geschichte. Foto: Dirk Fellinghauer

Von Tamara Winter. Fotos: Johanna Kuby, Dirk Fellinghauer, Kreativfabrik-Archiv

Die Kreativfabrik feiert ein fettes Jubiläum und sorgt weiterhin für mutige Unterhaltung mit Haltung. Hier ist Platz für alle kreativen Vögel der Stadt. An diesem Wochenende steigt das Festival zum Jubiläum.

Vor zwei Jahren hat sich die Kreativfabrik, für viele auch einfach „Krea“, wieder mal einen Gag zum 1. April auf facebook und Instagram überlegt. Kurz nachdem bekannt wurde, dass der Real-Markt in der Mainzer Straße schließt, teilte der Verein mit: „Nach jahrelangen Verhandlungen über die Weiterführung des Real-Marktes steht nun fest: Die Kreativfabrik übernimmt das Geschäft inklusive Belegschaft!“. Man verkündete, das Gebäude in Zukunft in Kooperation mit Kontext und dem Schlachthof gemeinsam zu bespielen. Es wurde damals zum beliebtesten Post auf den Social Media -Kanälen. April, April! Und typisch Krea.

Zwei Jahre später jedoch kam dann der tatsächliche Ausverkauf von Real. Das Team der Krea ersteigerte – kein Scherz! – die Blau-roten Leuchtstoff-Letter. Booker Cornelius Koog  erinnert sich: „Wir haben damals viel Geld zusammengekratzt und die Leuchtbuchstaben dann für schlappe acht Eure plus Mehrwertsteuer ergattert. Wir fanden die Idee einfach lustig. Das übrige Geld konnte dann in den Anbau und die Anpassung des Schilds gesteckt werden“. Nun steht am Gebäude der zum Verein gehörenden Skatehalle gegenüber vom Schlachthof hell erleuchtet „Krea“.

Oase für Freiraum

Als kulturelle Brutstätte, die seit nun zwanzig Jahren Platz für kreative Ideen bietet, organisiert das Team alles selbst und größtenteils ehrenamtlich. Es gibt bezahlbare Proberäume für lokale Bands und Raum für Initiativen und Gruppen aus dem kulturellen und sozialen Umfeld. Die Krea ist Anstifterin für Subkultur, bietet Platz für alle und fühlt sich auch heute noch den Ideen fernab des Mainstreams verpflichtet.

Über achtzig Vereinsmitglieder, acht Festangestellte, der Vorstand und viele ehrenamtlich Helfende sorgen für ein Veranstaltungsprogramm mit Konzerten, Partys, Theater und großartigen Festivals, oder auch einem Schlechte-Witze-Wettbewerb. Am ersten September-Wochenende wird nun beim dritten F.U.C.-Festival (Fragments of Urban Culture) das 20-Jährige Vereinsbestehen gefeiert. Größer denn je, und der Eintritt ist frei.

Die Ursprünge – Kampf für kulturelle Nutzung

Einst war es der Fleischereinkauf des Schlachthofbetriebs, der wurde in den 1990er-Jahren wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt. Es entstand die Interessengemeinschaft Schlachthof, die das Gelände retten und die Gründung des heutigen Kulturparks erreichen konnte. Mit dabei waren Boris Seel, seit 2014 Geschäftsführer der Skatehalle und Sebastian Schäfer, der zehn Jahre lang Vorsitzender des Krea-Vereins war. Im hauseigenen Podcast „Kellerkind“ berichten die Beiden von den Anfängen der Kulturoase. Schäfer erinnert sich: „Das gesamte Schlachthofgelände sollte abgerissen und zu einem Riesenparkplatz umfunktioniert werden, was für uns nicht in Frage kam.“

 

Die Engagierten organisierten Demos und Veranstaltungen. Unter dem Motto „Kulturpark oder wir gehen“ setzte man sich für eine kulturelle Nutzung des Geländes ein. „Wir wollten damals nicht einfach etwas fordern, sondern uns auch dafür einsetzten“, sagt Seel. Man hätte auch aufgrund des Mangels an kulturellen Spielräumen die Stadt verlassen können, aber hat sich zusammengeschlossen. Die Gründung der Krea war für Seel damals ein wichtiger Grund, in Wiesbaden zu bleiben.

Starke Mitgliedschaften und Festivals

Seit 2017 ist die Krea Mitglied im Landesverband soziokultureller Zentren und kultureller Initiativen (LAKS). Die renommierte Mitgliedschaft ermöglicht bessere Vernetzung im kulturellen Geschehen auf Landesebene. Auch ist die Krea Mitglied im „Wiesbadener Bündnis gegen Rechts“ und beteiligt sich an einer gesellschaftlichen Position gegen Rassismus, Hetze und völkischen, ausgrenzenden Strukturen. Als Mitglied im Arbeitskreis Stadtkultur beteiligt sich die Krea an der Stärkung lokaler Kulturinitiativen und vernetzt sich regelmäßig neben dem Schlachthof mit Kultur im Park-Organisatoren, Walhalla im EXIL, Marleen, Kontext und vielen mehr.

Engagement als Selbstverständlichkeit

Im Juni 2021 wurde der Vorstand neu gewählt und Jenny Müller zur 1. Vorsitzenden des Vereins. Die gebürtige Wiesbadenerin und 3sat-Reporterin stand mit ein paar ihrer bisherigen Bands wie Sugar of the Universe und Animal Bizarre selbst auf der Bühne im hauseigenen Veranstaltungskeller. Sie löste Janne Muth ab, Die vielfältigen Aktivitäten im Kulturpark mitzugestalten und sich zu engagieren ist für beide schon immer eine Selbstverständlichkeit.

„Eigentlich habe ich auf dem Gelände meine ganze Jugend verbracht, die Proberäume der Krea genutzt und die Events miterlebt“, gesteht Jenny: „Da ist klar, dass wir auch etwas zurückgeben möchten“. Es gab wenige kulturelle Freiräume für sie in ihrer Heimatstadt. Die Motivation sich zu beteiligen war groß. Janne hat dem Laden große Dienste geleistet und tut es auch weiterhin. Er betont: „Bei uns sollen alle Raum finden, die friedlich und gewaltfrei feiern wollen. Das war schon immer unser Credo“.

Krea-Menschen machen, worauf sie Bock haben

Nie kam es darauf an, dem Mainstream gerecht zu werden und große Hallen zu füllen. Es ging und geht darum, Neues zu wagen und mutige Projekte zu starten, auch für kleinere Gruppierungen innerhalb Wiesbadens. Ein besonderes Augenmerk legt das Booking, verantwortet von Cornelius Koog, darauf, dass auch regionale Bands gefördert werden und Platz zum Proben und für Konzerte erhalten. Im Vergleich zu einigen anderen Kulturvereinen hat die Krea die letzten Pandemiejahre gut überstanden. Was mitunter an einem pfiffigen Vorstand, städtischer Förderung und einer Programmplanung mit kreativen Ideen lag.

Der Verein versteht sich als Arbeitgeber für Menschen, die machen dürfen, worauf sie Bock haben – und das mit großem Erfolg. In den letzten Jahren ist man, trotz der Begleiterscheinungen der Pandemie, stetig gewachsen. Die Pandemiejahre wurden genutzt, um die Räumlichkeiten auf Vordermann zu bringen und den Betrieb auszubauen. Nun gibt es eine neue Küche im Obergeschoss und Schlaf- sowie Duschmöglichkeiten für die gebuchten Künstler und Bands. Das spart Kosten und ist ein weiterer Grund zu feiern.

„Späti“ als kultiger Treffpunkt

Ein weiterer Meilenstein ist der 2019 eröffnete Kulturkiosk vor der Skatehalle. Das Späti-Projekt hatte trotz oder insbesondere wegen der Pandemiegeschehnisse einen guten Start. Solange es die allgemeinen Corona-Verordnungen es zuließen, konnten in den Monaten April bis November an der frischen Luft Kaltgetränke, Süßigkeiten und wechselnde Gemischtwaren verkauft werden. Mittlerweile ist die sogenannte „Vogeltränke“ – eine Anspielung auf das Krähen-Logo des Vereins – nicht mehr wegzudenken. Von Donnerstag bis Sonntag versorgt das fünfzehnköpfige Kulturkiosk-Team seine Gäste mit kühlen Erfrischungen, aber auch, bei freiem Eintritt kleinen Konzerten, Lesungen und Ausnahmeevents.  Diejenigen, die Lust haben sich musikalisch einzubringen, finden dafür immer am 4. Donnerstag im Monat Gelegenheit. Auf der Open-Stage gibt es keine Grenzen und grenzenloses Entertainment.

Starkes Team schafft echtes Zuhause

Fritzi Panitz ist Kulturpark-Kenner, aber auch Musiker und Multi-Instrumentalist in unzähligen Musikprojekten. Eines davon die Ska- und Blechpunk-Band Barfoon. Ihren Proberaum hat sie seit über einem Jahrzehnt im Krea-Keller. Er hat viel gesehen und sagt dankbar: „Ohne das Team wäre die Kreativfabrik als Einrichtung nicht denkbar. Ein Gebäude allein ist kein Zuhause, auch für eine Band nicht. Es muss belebt und gestaltet werden.“ Er fügt hinzu: „Ohne das Engagement des Teams – sei es die Korrespondenz mit der Stadt, die interne Verwaltung und Organisation, Veranstaltungen zu planen, durchzuführen bis hin zur Installation von stillen Örtchen alles zu meistern –  würde es diese Kulturoase so nicht geben“.

Der 35-Jährige hat mit Barfoon das vorletzte Konzert der Krea geschmissen, bevor das Veranstaltungsverbot kam. Fritzi erinnert sich genau: „Oh, dieses Konzert haben wir damals mit gemischten Gefühlen bestritten. Einerseits haben wir uns darüber gefreut auftreten zu können, andererseits waren unsere Bedenken wegen der hohen Fallzahlen groß.“ Er sagt schmunzelnd: „Im Nachhinein bin ich froh es gespielt zu haben. Die Erinnerung hat erheblich zu unserem Fortbestehen über die folgenden Jahre beigetragen“.

Stadt hat Areal im Visier

Wie es weitergeht? Auch im letzten Jahr hat sich der Verein mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Zukunft des Gebäudes und der Vereinsarbeit im Kulturpark gestaltet werden kann. Denn klar ist, die Stadt wird die Entwicklung des Grundstücks in naher Zukunft angehen wollen. Jenny erklärt: „Sobald der Zeitpunkt da ist, sind wir gerne bereit, uns an dem Prozess zu beteiligen.“ Trotz der Turbulenzen der letzten Jahre, wurde keiner aus dem Team in Kurzarbeit geschickt und man freut sich riesig über Praktikanten und Interessierte, die mitmachen wollen! Subkultur vorwärts, es geht weiter!

An diesem Wochenende – 2. bis 4. September – steigt bei freiem Eintritt und präsentiert von sensor das große F.U.C. Fragments of Urban Culture-Festival zum 20-jährigen Bestehen der Kreativfabrik mit einem prallen Programm voller Konzerte, DJs, Vorträge, Workshops, Kinderdisko und Diskussionen, u.a. auch am Sonntag, 4.9., 12 Uhr, „Der visionäre Frühschoppen“ zum Thema „Subkultur in der Stadt“.  Offiziell eröffnet wird das Festival heute um 16 Uhr, danach geht´s weiter bis in die Nacht draußen und drinnen.