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Der visionäre Frühshoppen ist zurück – und mit ihm die Hoffnung auf ein sozialeres und lebendigeres Wiesbaden

Von Nico Lange (Text/Fotos).

Es war der erste visionäre Frühshoppen in den neuen Räumen und gleich ein doppelter Erfolg. Einerseits, weil der Veranstaltungsraum des neuen „Walhalla im EXIL“ im ehemaligen Gestüt Renz in der Nerostraße mit etwa 80 Zuhörern an einem sonnigen Sonntagvormittag aus allen Nähten platzte (und das Geschehen deshalb auch live nach vorne in den Barbereich übertragen wurde). Und andererseits, weil „Der visionäre Frühschoppen“ wieder mal gezeigt hat, dass in dieser Stadt jede Menge Menschen mit Herz und Verantwortungsbewusstsein leben, die alle etwas bewegen wollen. „Präge deine Stadt“ war das Motto des Vormittags, und wer sie prägt und wie, war hier eindrucksvoll mitzuerleben.

Nach einer Dankes- und Ausblickrede von Sigrid Skoetz vom Walhalla e.V. trat Mitstreiter und Macher Simon Hegeberg an ihre Seite um zu verraten, was das Walhalla denn nun sei – außer ein Spielort im EXIL und eben wohl auch nicht der letzte. Man mache eben alles. Von Tango über Konzerte, Bühne, Ausstellung und natürlich auch den Visionären Frühshoppen, der zum 18. Mal stattfand. Und er war mehr als hoffnungsversprechend für Wiesbaden.

Alina Schmidt vom AStA-Kulturreferat  der Hochschule RheinMain ließ sich von dem ewigen Genöle über die angebliche Rentnerstadt Wiesbaden  nicht anstecken und präsentierte eine ganze Latte von Kooperationen, um den über 13.000 Studenten mehr als nur Partys zu bieten. Das reicht vom kostenlosen Theaterbesuch – ein Renner, wie sie sagte – über – ganz frisch klargemacht – den freien Eintritt im Landesmuseum, von vergünstigten Getränkepreisen durch das Donnerstags-Ausgehen-Projekt „Studibar“ hin zu monatlichen „Queer welcome“-Veranstaltungen im Schweinefuß und im Kulturpalast, um ein Zeichen für die Vielfalt in der Stadt zu setzen. Die Initiativen seien auch immer mit wohltätigen Zwecken verbunden, für die Erlöse von Eigenveranstaltungen gespendet würden. Dass Wiesbadener Dozenten ihre Erstsemestler mit den Worten „Gut, dass ihr in Wiesbaden studiert, hier ist nämlich im Gegensatz zu Mainz nichts los, was euch ablenken kann“ begrüßen, zeige aber, dass man noch einen langen Weg vor sich habe, um dieses olle Credo endgültig zu widerlegen und abzulösen.

Gelebte Integration

Dass es gut ist, quer zu denken und sich zu öffnen, das hat auch Alina Ruiz von den Antoniuspaten auf dem visionären Podium eindrucksvoll präsentiert. Der Verein kümmert sich um die Vermittlung einer Patenschaft von 17-jährigen unbegleiteten Flüchtlingen und hilfsbereiten Wiesbadenern. Ein Jahr lang sollen die Jugendlichen, die mit dem Tag ihres 18. Geburtstags die Jugendheim verlassen müssen und dann in der Regel, wenig integrationsfördernd, in Sammelunterkünften landen, begleitet werden, einen Ansprechpartner finden und Hilfe im Alltag, bei Behördengängen, in der Schule und Freizeit erhalten. Vor allem aber sollen sie einen Anlaufpunkt haben, um unsere Kultur zu verstehen. Ridwan aus Somalia war mit seiner Patin Violet gekommen, und seine Augen und das Lächeln haben nur noch das bestätigen können, was diese „Beziehung“ ausmacht. Geborgenheit, Sicherheit, Glück und Hoffnung. Auf beiden Seiten, wie es schien. Noch etwa 30 Patinnen oder Paten sucht Adriana Ruiz für dieses Jahr. Die ersten Interessenten meldeten  sich direkt im Rahmen des Frühschoppens, Informationen und Kontaktdaten sind hier zu finden.

60 Sekunden für Visionen

Hoffnung machten auch die Ideen, die in der Visionären Minute aus dem Publikum kamen. In 60 Sekunden kamen da Ideen und schon konkrete Projekte. So wie der Wiesbadener Glückstag am 25.9. oder etwa die geplante 24-Stunden-Lesung „Menschen für Menschen“ am 17. März im Wiesbadener Rathaus im Rahmen der Woche gegen den Rassismus. Auch die in diesem Jahr stattfindende Wiesbaden Biennale hatte 60 Sekunden, um Lust auf das kommende Theaterfest zu machen. Insbesondere die Möglichkeit, sich die Kuratoren und eventuell sogar einen Künstler im Rahmen der „Hausbesuche“ nach Hause an den Tisch mit bis zu 10 Freunden einzuladen klang vielversprechend. Aber auch private Herzenswünsche fanden Anklang. Zum Beispiel die Idee ein Folklore-Tanzfest auf dem Neroberg zu veranstalten, an dem alle Kulturen tanzen und sich begegnen. Und apropos Folklore – Moderator Dirk Fellinghauer ließ in den „Visionären News“ unter anderem heraus, dass der Magistrat 200.000 EUR in den Haushalt eingestellt hat, um 2019 endlich eine Nachfolge für das Folklore-Festival zu ermöglichen. (Der Wiesbadener Kurier hat inzwischen genauer nachgefragt und diese Details in Erfahrung gebracht.)

„Es wird der Oberhammer“

Konkrete Vorhaben wie Inklusion gelingen kann, hatte auch Sven Back vom Stadtjugendring Wiesbaden im Gepäck. Aktuell wird an einem Projekt gearbeitet, in dem sich von Mai bis August Vereine und Organisationen an einem selbst gewählten Tag präsentieren können, um den Jugendlichen – Geflüchteten, aber auch hier Geborenen und Aufgewachsenen – zu zeigen, wie und wo sie ihre Freizeit in Wiesbaden verbringen können. Und das so cool, dass beide Seiten danach gar nicht mehr ohne einander sein wollen. Von der Jugendfeuerwehr über Pfadfinder, Moscheevereine, Sportvereine und Jugendzentren werde man in dieser Zeit viel sehen und hören, um Jugendliche aus dem Freizeitloch zu holen.

Soziales Wiesbaden

Den Abschluss machte dann Dirk Vielmeyer, der das mit Kris Kunst – der dann auch noch auf die Bühne kam – gemeinsam iniitierte Projekt Wisozial2030 vorstellte. „Die Würde des Menschen ist finanzierbar“ lautet die These der Initiative. Wie kann man es schaffen, die Schere zwischen extrem arm – jedes 4. Kind in Wiesbaden wächst in Armut auf – und extrem reich, Wiesbaden ist auf Platz 2 bei der Anzahl von Einkommensmillionären – zu schließen? Was muss getan werden und vor allem wie. Man wolle vernetzen, vermitteln und Vorhandenes verstärken und das alles auf dem Pfad der Argumente und der Liebe, so Kris Kunst. Na, wenn das nicht Hoffnung macht, dass Wiesbaden in Zukunft ein noch schönerer Ort wird. Ein erster Schritt kann die Lektüre – und bei Gefallen Unterzeichnunge – der Charta des Wisozial2030 Projekts sein.

Soziale Gerechtigkeit – was heißt das eigentlich?

Über die Veranstaltung hinaus: Gespräche an der Theke, Visionen im Netz

Nach zwei intensiven und inspirierenden Stunden, die unter anderem auch Sozialdezernent Christoph Manjura, die stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin Gabriele Enders, Ortsvorsteher Roland Presber und weitere Politiker unterschiedlichster Couleur aufmerksam verfolgten, blieben einige noch da, um vorne an der EXIL-Bar weiter zu diskutieren und sich auszutauschen. Wie immer haben Steve Hoffmann und Nico Becher von „Wiesbadener Visionen“ – einer zum Visionären Frühschoppen von ihnen geschaffenen und betriebenen Plattform, auf der übrigens alle visionären Vereine, Initiativen, Projekte etc. zur Darstellung willkommen sind – die Veranstaltung live begleitet – vor Ort mit technischer und visueller Unterstützung, im Netz mit Live-Twitter-Bericht, der auch hier nochmal in Ruhe nachzulesen ist: https://twitter.com/@wivisionen  Feedback und Vorschläge für künftige Themen etc. sind natürlich auch immer willkommen via Mail an hallo@sensor-wiesbaden.de, Betreff Wiesbadener Visionen.

Hier geht es zum sensor-Fotoalbum vom Visionären Frühschoppen.

Hier berichtet der Wiesbadener Kurier.

Hier kommentiert der Wiesbadener Kurier: